Rettungsschiff „Aquarius“: „Warum wir die Leute nicht zurück nach Afrika bringen“
In einem Beitrag fragte sich Barbara John, warum Flüchtlinge auf dem Mittelmeer nicht nach Tunesien gebracht werden. Weil es rechtlich gar nicht geht. Eine Erwiderung von Sea-Watch.
“Bringt doch die Leute zurück nach Afrika!” Diesen Satz habe ich seit der Gründung von Sea-Watch schon Tausend Mal gelesen. Mindestens. Wenn das von Trollen auf Facebook oder Twitter kommt, kann ich damit leben. Mit so einer Einstellung verliert man Weltkriege, denke ich dann, und manchmal nehme ich mir die Zeit, um diese Leute auf die gültige Rechtslage hinzuweisen.
Wenn jedoch die ehemalige Ausländerbeauftragte des Berliner Senats (CDU) in ihrem Kommentar vom 17.06. öffentlich behauptet, die Aquarius hätte mit 629 Schutzsuchenden an Bord einfach Tunesien anlaufen können, bin ich schockiert. Denn Barbara John müsste das eigentlich besser wissen. Wenn sie die ohnehin steuerbordlastige Stimmung im Land weiter befeuern möchte, kann sie das leidergottseidank tun, denn in Europa gilt Meinungsfreiheit. Sie sollte allerdings bei den Fakten bleiben.
Also antworte ich ihr das, was ich auch den Internet-Trollen immer antworte: Nein - geht nicht, aus juristischen Gründen.
“Wollen die Flüchtlingsretter die Rückkehr nach Afrika verhindern?” fragt sie und ich will das überhaupt nicht abstreiten. Unter anderem im Zuge kolonialer und postkolonialer Ausbeutungsprozesse hat sich Europa durchaus Verantwortung aufgeladen. Außerdem bin ich in einer Zeit aufgewachsen, als in Europa Grenzen geöffnet wurden und ich habe damit durchweg positive Erfahrungen gemacht.
Das tut jedoch überhaupt nichts zur Sache, denn was “die Flüchtlingsretter” wollen, spielt bei der Zuweisung eines sicheren Hafens keine Rolle. Die Entscheidung, welchen Hafen ein Rettungsschiff ansteuert, wird von der zuständigen Rettungsleitstelle getroffen, nicht von der Kapitänin des betroffenen Schiffes.
Auch auf dem Meer gilt internationales Recht
Grundlage dafür sind das Seerecht, die Europäische Menschenrechtskonvention, sowie die Genfer Flüchtlingskonvention. Warum schickt uns die Rettungsleitstelle also nicht nach Tunesien? Dazu reicht ein Blick in den aktuellen Bericht von Amnesty International: Staatsbedienstete wenden die sogenannte “Grillhähnchen-Foltermethode” an, bei der an Händen und Füßen gefesselte Gefangene um eine Stange gedreht werden.
Auch als LGBTI*Person hat’s eins in Tunesien nicht leicht, deswegen gilt das Zurückweisungsverbot. Würden wir also “einfach Tunesien ansteuern”, wie John es vorschlägt, würden wir uns strafbar machen. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof hat dazu im Fall Hirsi Jamaa sehr deutlich geurteilt, als die italienische Küstenwache das mit dem Zurückbringen nach Afrika zu Gaddafis Zeiten mal ausprobierte – und das ist gut so. Deswegen laden ja auch Frontex und die Bundeswehr Gerettete nicht in Tunesien ab. Rechtlich ist das klipp und klar: Tunesien fällt aus.
Später im Text begibt sich Frau John dann vollends auf den Kurs von Salvini, Storch und Seehofer: Anstatt eines fairen Asylverfahrens ist Frau John, die sich im Übrigen als Expertin beim BAMF engagiert, ein sogenannter “Leuchtturm der Hoffnung” genug, ein “großes Migrationszentrum, eröffnet 2017 mit deutscher Hilfe.” Das klingt interessant. Dahinter verbirgt sich allerdings lediglich ein 35 Quadratmeter großer Empfangsraum mit zwei Mitarbeitenden, die rückkehrende Tunesier bei der Arbeitsplatzvermittlung unterstützen. Dies erfährt man aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Fraktion Die Linke. Mit einer Asylaufnahmeeinrichtung hat das nichts zu tun.
Seenotrettungen sind kein Ersatz für politische Lösungen
Frau John ist leider nicht die Erste, die es mit den Fakten nicht so genau nimmt, um zivile Seenotrettungs-Organisationen zu diffamieren. Fake-News liegen im Trend. Genau deswegen – und nicht wegen Menschen auf der Suche nach einem besseren Leben – stehen Deutschland und Europa dort, wo sie jetzt stehen: am Abgrund. In Einem sind wir uns jedoch einig: “So wichtig Seenotrettung ist, sie kann kein Ersatz sein für eine klare Politik”.
Wir sind dort draußen nur, weil es keine sicheren und legalen Wege nach Europa gibt, und die Häfen in Italien sind nur deshalb dicht, weil der Rest Europas Italien jahrelang im Stich gelassen hat. Deshalb fordert Sea-Watch seit gestern die Europäischen Staaten mit einer Petition auf, endlich Verantwortung zu übernehmen und den Weg frei zu machen für eine politische Lösung, damit Seenotrettung wie wir sie betreiben überflüssig wird.
Der Autor ist Sprecher der Flüchtlingsrettungsorganisation Sea-Watch.
Ruben Neugebauer