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Der Berliner Erik Marquardt war auf den Schiffen „Seefuchs“ und „Seawatch 3“ als Seenotretter im Mittelmeer dabei.
© Erik Marquardt

Flüchtlinge auf dem Mittelmeer: „Ich schäme mich“

„Ich möchte mich entschuldigen, bei den Menschen, die ertrinken werden, obwohl Europa das verhindern könnte.“ Grünen-Politiker Erik Marquardt war mit Flüchtlingsrettern auf dem Mittelmeer unterwegs. Ein Gastbeitrag zum Weltflüchtlingstag.

Anderswo wird geredet, hier gerettet, Heute bin ich zurück. Am Abend eine Finissage meiner Ausstellung, gestern noch auf dem Mittelmeer. Es fühlt sich fremd an, die Diskussionen sind kälter geworden, obwohl sie schon lange vor meinen Seenotrettungsmissionen nicht von Wärme geprägt waren.

Ich glaube gar nicht, dass Kanzlerin Angela Merkel, Innenminister Horst Seehofer oder Ministerpräsident Markus Söder im Zweifelsfall wirklich bewusst ist, wie die Situation auf dem Mittelmeer ist oder warum sich die Menschen auf den Weg machen. Sie kennen die Leere nicht, die man fühlt, wenn man Menschen nicht mehr helfen kann.

Sie kennen das Gefühl nicht, Menschen auf einem überfüllten Boot ins Gesicht zu schauen, während sie davon berichten, wie es sich anfühlt, ohne Würde und Freiheit zu leben – wie es sich anfühlt, für ein paar hundert Dollar auf einem Markt versklavt und vergewaltigt zu werden. Und wahrscheinlich verdrängen sie die Aktenordner mit den bürokratischen Berichten über systematische Vergewaltigungen, Folter und Sklaverei in Libyen gern.

Es gab auch schöne Erfahrungen

Es gibt diese Berichte in den Büros der Verantwortlichen zwar, aber es ist etwas anderes, wenn ein junger alleinreisender Mann berichtet, dass er während der Folter seine Mutter anrufen musste, die die schmerzhaften Schreie ihres Sohnes während der Elektroschocks so lange anhören musste, bis sie bereit war, ihr Haus zu verkaufen und ihn freizukaufen, damit er nicht getötet wird. Es ist etwas anderes, wenn man ernst nimmt, dass Menschen lieber auf dem Wasser sterben, als weiter auf unmenschliche Art und Weise behandelt zu werden.

Ich habe in den vergangenen Wochen viele Erfahrungen gemacht, auch schöne. Aber der Hass, die Wut und Unwissenheit, die einem von europäischen Schreibtischen und Sesseln entgegenschlägt, ist ekelhaft. Es ist uns Seenotrettern eigentlich egal, ob wir dafür geliebt oder gehasst werden, was wir tun. Es geht nicht um Anerkennung, sondern um Menschenleben. Aber die alternativen Fakten, die sich weit verteilen, sind erschreckend. Während wir jeden Einsatz mit der offiziellen Seenotleitstelle absprechen und die Wut sich gegen NGOs entlädt, die in Zusammenarbeit mit der Seenotleitstelle genau das Gleiche tun, was auch Küstenwache und Militärschiffe auf See tun: Menschen vor dem Ertrinken retten und dann an einen sicheren Ort bringen. Warum wir die Menschen dann nicht zurück nach Libyen bringen, werden wir oft gefragt. Weil es verboten und unmenschlich wäre, lautet die einfache Antwort. Deswegen bringt auch die italienische Küstenwache die Menschen nach Italien.

Dutzende ertranken

Ich kann nach fünf Wochen auf See, in denen Hunderte gerettet wurden und Dutzende ertranken, nicht die richtigen Worte finden, um die Situation zu beschreiben, aber ich schäme mich. Ich schäme mich dafür, dass so viele Menschen in Europa sie lieber sterben lassen, als sie zu retten. Ich schäme mich dafür, dass meine Regierung eine gewalttätige Küstenwachenmiliz in Libyen unterstützt, die mit widerlichen und völkerrechtswidrigen Methoden die Menschen in Lebensgefahr bringt. Ich schäme mich dafür, dass so viele Menschen sterben müssen und dass sich darüber so wenige empören. An welchem Punkt der Geschichte befinden wir uns, wenn es zum Verbrechen wird, Menschen vor dem Ertrinken zu retten?

Ich schäme mich dafür, dass wir Menschen in Not nicht helfen können, und dass es möglich wurde, in diese Situation zu geraten. Ich schäme mich dafür, dass die Seenotretter auf dem Mittelmeer noch nicht wissen, ob sie weiter Menschenleben retten können – rechtlich und finanziell.

Ich möchte mich entschuldigen, bei den Menschen, die ertrinken werden, obwohl Europa das verhindern könnte. Aber eine Entschuldigung wird sie nicht retten.

Es tut mir leid.

Der Berliner Erik Marquardt ist Fotograf und Grünen-Politiker. Er hat in den vergangenen Wochen auf den Schiffen „Seefuchs“ und „Seawatch 3“ der Rettungsorganisation Sea-Watch e.V. als Seenotretter im Mittelmeer gearbeitet und die Flüchtlingsrettung dort zum Weltflüchtlingstag fotografisch dokumentiert.

Erik Marquardt

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