zum Hauptinhalt
Koalition der Widersprüche: Die Chefs der Fünf-Sterne-Bewegung und der Lega, Luigi Di Maio (links) und Matteo Salvini (rechts). In ihrer Mitte der neue Ministerpräsident Giuseppe Conte.
© Andreas Solaro/AFP

Neue Regierung für Italien: Über Rom flattert die Flagge der Angst

Es scheint, als wolle erst einmal der kleinere Koalitionspartner in Rom sein Programm durchsetzen. Gegen Migranten. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Andrea Dernbach

Eine Woche erhitzter römischer Koalitionsverhandlungen lang war die Rede vom Zerfall Europas. Gemeint waren die höheren Ausgaben, die die beiden Parteien versprochen hatten, die Italien seit Freitag regieren, gemeint waren Staatsschulden, EU-Stabilitätskriterien und die Sorgen der Märkte. Gleich am ersten Arbeitstag der Neuen lässt sich besichtigen, worum man sich eigentlich sorgen müsste.

Steuererleichterungen zuerst einmal für Unternehmen

Den ersten Aufschlag in dieser Koalition der Widersprüche hatte ausgerechnet der nach Stimmprozenten weitaus kleinere Partner, der Chef der rechtsradikalen Lega, Matteo Salvini, der am Wochenende schwor, er werde keinem Schiff mehr Italiens Häfen öffnen, das Flüchtlinge im Mittelmeer aufnehme, und legte am Montag gleich nach: Italien sei ab sofort nicht mehr „Europas Flüchtlingslager“. Künftig werde das ganze Land mit Abschiebezentren überzogen, aus denen die ungeliebten Fremden dahin zurückgeschickt werden können, wo sie hergekommen sind.

Der Alarm über Italiens neue Schulden kann nach diesem ersten Wochenende der neuen Regierung dagegen ein paar Stufen herabgestuft werden: Ein Parteifreund Salvinis, der als aussichtsreicher Kandidat für eine Staatssekretärsstelle im Wirtschaftsministerium gilt, erklärte, die Steuererleichterungen würden erst einmal für Unternehmen eingeführt, Italiens Privathaushalte müssen bis 2020 warten. Mindestens.

Der Staatspräsident habe sein Veto gegen einen Euro-Skeptiker im Kabinett eingelegt, gegen einen wie Salvini habe er nichts gehabt, seufzt Tommaso Montanari, Kommentator des Polit-Magazins „Micromega“. Und kritisiert das seltsame Schweigen der Fünf-Sterne- Bewegung, der mit 33 Prozent deutlich stärkeren Regierungspartnerin: „Während sich die Hoffnung auf die Fünf Sterne verflüchtigt, flattert über dem Palazzo Chigi (Sitz des Ministerpräsidenten, Anm. d. Red.) die Flagge der Angst.“

München und der Neue in Rom auf einer Linie

So weit ist es noch nicht, über die neue Regierung ist noch nicht einmal in den beiden Kammern des Parlaments abgestimmt. Aber es ist auffallend, dass in den ersten Schlagzeilen, die sie macht, nicht die sozialen Versprechungen der neuen Regierung stehen und mit denen vor allem die „Sterne“ ihren Wahlerfolg einfuhren, sondern die Abwehr von Migranten. Fatal flankiert von einer Nachricht von noch weiter südlich: In Kalabrien wurde am Samstag ein junger Mann aus Mali erschossen. Er hatte angeblich Metall auf einem seit Jahren verlassenen Fabrikgelände gestohlen. Er hatte sich außerdem für die Rechte der afrikanischen Erntearbeiter eingesetzt, die wie er für Hungerlöhne auf den Obstfeldern im Süden arbeiten. Dieser Mord am ersten Tag der neuen Regierung und eines Innenministers, eben Salvini: Die italienische Öffentlichkeit erinnerte sich sofort an Salvinis Applaus für einen Attentäter, der nach dem Mord an einer jungen Italienerin wahllos auf Schwarze schoss und mehrere verletzte.

Während also Brüssel und die Ratingagenturen sich erst einmal eine kleine Atempause nehmen können, werden die, die sich andere Sorgen um Europa machen, ihn eher anhalten. Die „Flagge der Angst“ flattert schließlich nicht nur auf dem Palazzo des römischen Premiers, sondern anscheinend auch über der Münchner Staatskanzlei. Deren Hausherr, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, verkündet jetzt fast wortgleich den Katalog des rechtsradikalen Italieners: „Abschiebedruck erhöhen“ durch ein Netz von Lagern in Bayern, dazu eigene Charterflüge, die das Flüchtlingsproblem zurückfliegen sollen.

Die Ausländer-Raus-Zielgruppe wird enttäuscht sein

Natürlich werden den starken Worten beiderseits der Alpen deutlich weniger starke Taten folgen. Vor den sozialen und Sicherheitsproblemen in großen Lagern warnt sogar die Polizei, Salvinis Hafenblockade dürfte ein glatter Verstoß gegen internationales Recht sein, Söders Spezialflieger den Widerstand der Betroffenen und der Zivilgesellschaft vor den Flughäfen kaum brechen.

Der Überbietungswettbewerb um die härteste Maßnahme wird aufseiten der Ausländer-raus-Zielgruppe also nichts als Enttäuschung produzieren. Und damit, wie stets in der Vergangenheit, den Ruf nach mehr. Wann endlich drückt jemand auf die Stopptaste? Dies von den Sozialdemokraten zu erwarten, ist in Rom ebenso unrealistisch wie in Berlin. Doch die Kanzlerin könnte den Schuss aus Italien gehört haben. Ihr Bekenntnis zu EU-Solidarität in der Flüchtlingsfrage ist jedenfalls dort angekommen. Sie wird wissen: Nach einem Schwenk nach rechts wäre sie nicht mehr die passende Führungsfigur.

Zur Startseite