„Kretschmer, verpiss dich!“: Sachsens Ministerpräsident will mit Corona-Demonstranten sprechen – und wird bepöbelt
Ohne Maske wollte Michael Kretschmer bei einem Corona-Protest seine Pandemie-Politik erklären. Doch ihm schlug der Zorn der Wutbürger entgegen.
Sachsens Ministerpräsident und CDU-Chef Michael Kretschmer suchte Volksnähe - und machte dabei auch vor Rechten nicht halt. Seit Wochen versammeln sich im Großen Garten in Dresden Kritiker der Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus, darunter auch, das muss man in diesem Fall klar sagen, auch ausgewiesene Corona-Leugner.
Am Samstag mischte sich Kretschmer unter die Wutbürger, die dort demonstrieren. Oder, wie sie in Anlehnung an die Pegida-Aufmärsche sagen, „spazieren“. Die sächsische Polizei wertet die Zusammenkünfte nicht als Versammlung, obwohl sich mehrere hundert Menschen beteiligen.
Die Demonstration am Samstag ist nicht angemeldet, mobilisiert wird über Gruppen des Messenger-Dienstes Telegram. Die behördlich vorgeschriebenen Sicherheitsabstände setzt die Polizei nicht durch.
Kretschmer kommt im Freizeitdress. Er trägt eine grüne Jacke und hat sein Fahrrad dabei. Er versucht zunächst geduldig, Sachsens Umgang mit der Pandemie zu verteidigen, mit strikten Ausgangsbeschränkungen und später vorsichtigen Lockerungen. Dies sei der „richtige Weg“ gewesen.
„Du bist doch der blödeste Hammel, den Sachsen je gesehen hat“
Er habe, sagt Kretschmer, beispielsweise über die Schließungen in den Bereichen Gastronomie und Einzelhandel mit entschieden. „Viele andere Dinge“ - etwa dass Volkswagen seine Werke geschlossen habe - hätten hingegen „mit der Politik gar nichts zu tun“.
Viel weiter kommt der CDU-Politiker, der bei seinem Auftritt keinen Mundschutz trägt, nicht. „Kretschmer, dich wählen wir demnächst ab mit deinen Grünen in der Regierung“, ruft ein Mann dazwischen. „Du bist doch der blödeste Hammel, den Sachsen je gesehen hat.“ Von anderer Seite schallt es dem Ministerpräsidenten entgegen: „Kretschmer, verpiss dich!“
Die Demonstranten am Palaisteich sind in extrem aufgebrachter Stimmung. „Corona - Jahrhundertlüge“, ruft ein Demonstrant. Ein anderer schreit dem Ministerpräsidenten entgegen: „Kretschmer, sie sollten sich schämen. (...) Sie haben das deutsche Volk ins Unglück mit gestürzt.“
Verzweifelt bittet Kretschmer, seine Argumente vortragen zu können. „Sie dürfen", wird ihm entgegnet, „aber nicht mehr lange“. Kretschmer zieht bald ab, von den Demonstranten quasi verjagt.
Dem CDU-Politiker hätte klar sein können, dass der Dialog-Versuch in diesem Umfeld mutmaßlich nach hinten losgeht, dass Reden mit Rechten nichts bringt. Auch im Großen Garten sind viele Rechtsradikale und Verschwörungstheoretiker unter den Protestierenden.
In Reichsbürger-Outfit zum Protest
Einer erscheint in Reichsbürger-Outfit, mit Uniform, Pickelhaube und schwarz-weiß-roter Flagge am Revers. Ein anderer trägt ein T-Shirt, auf dem Frakturschrift steht „Kraft durch Freunde“, in Anlehnung an die nationalsozialistische Organisation Kraft durch Freude.
Andere haben Neonazi-Embleme auf ihrer Kleidung. Vom Band läuft auf der Demonstration ein Lied des Verschwörungstheoretikers Xavier Naidoo.
Die „Sächsische Zeitung“ berichtet, dass die Demonstranten keiner einheitlichen Gruppierung zuzuordnen gewesen seien. Einige hätten einfach nur keine Maske tragen wollen. Andere hätten der Politik kollektives Versagen in der Krise vorgeworfen. Und wieder andere hätten von einem erfundenen Virus gesprochen, „um die Menschen gefügig zu machen“.
Doch abgesehen davon, dass mit den Demonstrationen teilweise auch die bürgerliche Mitte erreicht wird: Schon in den vergangenen Wochen ist klar geworden, dass viele der Proteste von Corona-Skeptikern in Ost wie West von Rechtsextremisten organisiert werden.
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Im thüringischen Gera beispielsweise hatte ein Reichsbürger den Corona-„Spaziergang“ am Samstag bei der Stadt angemeldet. In Halle an der Saale mobilisierte der Neonazi Sven Liebich am Samstag zum Protest. Auf seinem T-Shirt war ein Bild von Anne Frank, mit dem er das Holocaust-Opfer verunglimpfte.
In Pirna war ein AfD-Mann Versammlungsleiter, der auch Polizist ist
Auch in Sachsen stecken Rechtsradikale hinter vielen der Demonstrationen. In Aue im Erzgebirge etwa organisierte ein Stadtrat der rechtsextremistischen NPD einen Corona-Protest, in Plauen versammelte sich die neonazistische Kleinpartei „Der III. Weg“.
In Chemnitz wurden Proteste von der rechtextremen Organisation Pro Chemnitz organisiert. In Pirna bei Dresden, wo es mehrfach zu Zusammenstößen mit der Polizei kam, mobilisieren AfD-Leute zu den teilweise nicht genehmigten Versammlungen. In einem Fall fungierte dort sogar ein AfD-Kommunalpolitiker als Versammlungsleiter, der Beamter der sächsischen Polizei ist. Gegen ihn läuft ein Ermittlungsverfahren.
Kretschmer twitterte nach seiner Konfrontation mit den Protestierern ein Foto von sich, auf dem er - anders als bei seiner Begegnung mit den Wutbürgern des Corona-„Spaziergangs“ - einen Mundschutz trägt. Mit Hashtag #unterwegsfürsachsen schrieb die sächsische Staatskanzlei dazu: „Unterwegs im Großen Garten in Dresden. Mit Bürgerinnen und Bürgern habe ich über die verschiedenen Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus diskutiert.“ Anschließend hätten die Mitarbeiterinnen der dortigen Gastwirtschaft ihr Hygienekonzept erläutert.
Dass er selbst keine Maske trug, erläuterte Kretschmer laut „Sächsischer Zeitung“ so: „In jedem anderen Kontext hätte ich meine Maske aufgesetzt.“ Hier aber habe er Respekt vor den Bürgerinnen und Bürgern zeigen wollen. Wenn er sich dadurch mit Corona anstecke, liege das in seiner persönlichen Verantwortung.
Andere bewerten Kretschmers Auftritt deutlich kritischer, der in Leipzig lebende Buchautor Michael Kraske etwa, der sich seit Jahren mit den sächsischen Verhältnissen auseinandersetzt. Er twitterte am Samstag: „Die Anbiederung der CDU Sachsen an Pegida war falsch. Die Anbiederung von Kretschmer an das Milieu der Verschwörungsideologen und Corona-Leugner ist genauso falsch. Nix gelernt.“