Neun Jahre Syrienkonflikt: „Russland und der Iran haben den Krieg für Assad entschieden“
Kein Frieden in Sicht? Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, über Syrien, militärische Fakten und die Grenzen der Diplomatie.
Volker Perthes ist seit 2005 Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, die den Bundestag und die Bundesregierung in außen- und sicherheitspolitischen Fragen berät.
Herr Perthes, seit neun Jahren herrscht Krieg in Syrien. Warum gelingt es der Diplomatie nicht, den Konflikt einzudämmen?
Das Mantra, es gebe nur eine politische Lösung, bleibt zwar im Grunde richtig. Doch die Akteure an Ort und Stelle haben zumeist auf militärische Entscheidungen gesetzt. Und damit auch Ergebnisse erzielt. In derartigen Fällen sind der Diplomatie die Hände gebunden.
Sind Waffen effektiver als Verhandlungen?
Nun, die zynische Antwort wäre: Militärische Siege schaffen klare Verhältnisse. Nachkriegssituationen sind gewöhnlich stabiler, wenn es im Krieg oder Bürgerkrieg eindeutige Entscheidungen gegeben hat, die nicht zu einer zweiten Runde einladen. Die Kontrahenten halten in der Regel ohnehin Verhandlungen für die zweitbeste Lösung. Wenn die Akteure nicht die Aussichtslosigkeit eines militärischen Vorgehens erkennen, lassen sie sich gar nicht erst auf Gespräche ein. Es sei denn, die internationalen Unterstützer üben Druck auf ihre Verbündeten aus. Aber den muss es eben auch geben.
Es mangelte an Druck von außen?
Es hat durchaus Phasen gegeben, in denen die Hauptkontrahenten – die Regierung in Damaskus unter Machthaber Baschar al Assad und verhandlungsbereite Rebellen – kriegsmüde waren. Zugleich wurden beide Seiten gerade in der Zeit zwischen 2014 und 2016 von ihren jeweiligen Unterstützern gewissermaßen über Wasser gehalten. Sie sahen also keine echte Notwendigkeit, sich auf Verhandlungen einzulassen. Als dann die Gespräche unter Ägide der Vereinten Nationen Anfang 2016 begannen, war das Interesse an ernsthaften Verhandlungen sehr unterschiedlich ausgeprägt.
Sie gehörten selbst zum Stab des früheren UN-Syrienbeauftragten Staffan de Mistura. Auch ihm ist es nicht gelungen, den Kontrahenten Einhalt zu gebieten. Sind die Vereinten Nationen mit einer derartigen Aufgabe überfordert?
Die Vereinten Nationen sind häufig der Reparaturbetrieb der Weltgemeinschaft. Wenn die Staaten ihre Dinge nicht selbst vernünftig regeln können, dann rufen sie nach den UN, werfen ihr die Trümmer in den Schoß und sagen: Zieht ihr, bitte schön, den Karren wieder aus dem Dreck.
Wie haben Sie die Verhandlungen erlebt?
Ich war auf zwei zentralen Ebenen an den Gesprächen beteiligt. Zum einen bei den direkten Verhandlungsrunden mit den Konfliktbeteiligten. Die UN haben es dabei leider nicht geschafft, die Kontrahenten an einen Tisch zu bekommen. Erst dem Syrien-Gesandten Geir Pedersen ist zumindest gelungen, gemeinsame Debatten im sogenannten Verfassungskomitee zu organisieren. Doch dieses Gremium ist mittlerweile ebenfalls gelähmt.
Und die zweite Ebene?
Das waren die Verhandlungen und mehr oder weniger wöchentlichen Treffen der sogenannten International Syria Support Group, die sich aus den wichtigsten Mitgliedern der UN, Europas und der Region zusammensetzt. Dazu gehört auch die zwei Jahre von mir geleitete Waffenstillstands-Taskforce. Dort ging es darum, die Staatengemeinschaft auf eine möglichst gemeinsame Linie zu verpflichten, um die Grundlage für eine dauerhafte Feuerpause und echte Friedensverhandlungen zu schaffen. Aber die Vereinten Nationen können bei solch komplexen Aufgaben nur so gut und erfolgreich sein, wie es ihnen die Mitgliedsstaaten erlauben. Und ehrlicherweise muss man sagen: Die Mitglieder lassen sich bis heute gerade in der Syrienfrage eher von ihren eigenen Interessen treiben.
Gab es irgendwann einen Moment, wo Sie dachten: Ach, es bewegt sich ja etwas?
Oh ja, den gab es! Das war Ende 2015. Damals hatte der Sicherheitsrat die UN-Resolution 2254 verabschiedet, auf deren Grundlage dann Anfang 2016 die sogenannten intra-syrischen Verhandlungen unter der Ägide der UN in Genf begannen. Die USA, Russland und führende europäische Staaten einschließlich wichtiger Regionalmächte wie Saudi-Arabien versuchten zu dieser Zeit, einen Waffenstillstand durchzusetzen. Der hielt acht Wochen.
Woran sind die Gespräche gescheitert?
In erster Linie hängt ein Krieg davon ab, wie sich die unmittelbar gegenüberstehenden Parteien verhalten. Schlecht sieht es für Gespräche aus, wenn die Kontrahenten den Konflikt militärisch entscheiden wollen und dafür externe Unterstützung erhalten. Das Regime in Damaskus konnte spätestens Ende 2015 fest auf anhaltende Waffenhilfe aus Russland und dem Iran setzen. Deshalb hielten Assads Vertreter es nicht für wichtig, ernsthaft über Frieden zu reden. Und die Rebellen, der bewaffnete Arm der Anti-Regime-Opposition, war zu diesem Zeitpunkt bereits zu schwach, zu gespalten und zu sehr unter dem Druck des „Islamischen Staates“, um das Regime militärisch zu ernsthaften Verhandlungen zwingen zu können. Wären sie dazu in der Lage gewesen, hätten sie sicherlich auch eine militärische Lösung zu ihren Gunsten bevorzugt.
Wovon gingen die Diplomaten damals aus?
Russland, die USA, die Türkei, Europa, Deutschland – alle waren sich 2012, 2013 mehr oder wenig einig in der Einschätzung, dass das Assad-Regime ums Überleben kämpft und auf sich gestellt keinen Bestand hat. Dass der Herrscher in Damaskus sich früher oder später dem Druck beugen und weichen müsse. Allerdings hat man daraus ganz unterschiedliche Schlussfolgerungen gezogen.
Inwiefern?
Für Russland und Iran war es klar, dass Assad im Amt gehalten werden muss. Die Europäer, die Türkei und die einflussreichsten arabischen Staaten haben in der einen oder anderen Weise versucht, die Opposition zu unterstützen, haben dabei aber nur zum Teil auf eine verhandelte Lösung gesetzt. Amerikas Haltung war recht inkonsequent. Einerseits haben die USA durch Waffenlieferungen an die Opposition den Konflikt weiter militarisiert. Andererseits reichte die Hilfe nicht aus, um das Blatt zugunsten der Assad-Gegner zu wenden. Das Ziel der Vereinten Nationen, über Verhandlungen auf eine Machtteilung in Damaskus hinzuarbeiten, ist von den Mitgliedstaaten in jedem Fall nur unzureichend unterstützt worden.
Lange Zeit setzte der Westen auf die USA als Ordnungsmacht. Warum ist diese Rechnung nicht aufgegangen?
Es ist für die Europäer eine leichte Übung zu sagen, die Amerikaner haben es wieder einmal verbaselt. Selbst wenn die Kritik richtig ist: Syrien liegt geografisch in unserer Nähe; Europa hat ein eigenes Interesse und vielleicht auch eine größere Verantwortung, hier etwas zu bewirken. Wirksame europäische Syrienpolitik hätte damit beginnen müssen, sich auf eine Linie und nicht nur auf Textbausteine zu verständigen. Das war aber nicht der Fall. Alle haben zwar mit der Opposition sympathisiert. Aber Frankreich und Großbritannien haben beispielsweise Waffenlieferungen an die Rebellen befürwortet. Deutschland hat der Opposition von Beginn an geraten, eine Militarisierung des Aufstands möglichst zu vermeiden und auf einen Verhandlungsprozess zu setzen.
Alles änderte sich, als Russland im September 2015 aufseiten seines Schützlings Assad in den Krieg eingriff. Welche Ziele verfolgt Wladimir Putin?
Zunächst wollte und will er das syrische Regime retten. Russlands Armeeführung war Mitte 2015 offenkundig zur Überzeugung gekommen, dass sich Assad nur an der Macht halten könne, wenn Moskau zu dessen Gunsten interveniert. Putins Botschaft lautete: Wir lassen keinen vom Westen und von Teilen der arabischen Welt geförderten Aufstand gegen den Herrscher in Damaskus zu. Mittel- und langfristig ging es darum, Russland als Großmacht im Nahen Osten wieder ins Spiel zu bringen. Und zudem der arabischen Welt zu zeigen, dass Moskau seine Verbündeten nicht im Stich lässt – auch wenn man selbst Kritik an deren Politik habe. Die USA dagegen seien unzuverlässige Alliierte. Heute entscheidet Russland weitgehend über die Grenzen syrischer Souveränität. Etwa darüber, wo türkische Truppen syrisches Staatsgebiet kontrollieren dürfen.
Assad steht kurz davor, mit Idlib die letzte von der Opposition gehaltene Provinz zurückzuerobern. Ist der Krieg damit beendet?
Der Krieg ist strategisch entschieden. Dabei kommt es auch nicht darauf an, ob das Regime alle Grenzregionen vollständig zurückerobert. Entscheidend ist, dass Assad wieder die großen Städte und wichtigsten Verkehrsverbindungen kontrolliert. Perspektivisch dürften auch die Ölanlagen im Osten bald wieder zu seinem Herrschaftsgebiet zählen. Das heißt aber nicht, dass damit Frieden herrscht.
Sondern?
Teile des Landes werden vom Regime behandelt, als seien sie Besatzungsgebiet. Wer sich Assad einmal in den Weg gestellt hat, wird als besiegter Feind behandelt. Das Land hat ein Viertel seiner Bevölkerung ins Ausland verloren. Und die Regierung zeigt keinerlei Interesse, dass diese Menschen zurückkehren.
Was wird aus Syrien?
Auf absehbare Zeit wird das Land ein sehr schwacher, innerlich zerrissener Staat sein. Und unter russisch-iranischer Hegemonie bleiben. Vor allem Moskau wird sich bemühen, den Westen zu bewegen, den Wiederaufbau zu finanzieren. Doch solange Assad herrscht, werden sich die Europäer wohl kaum darauf einlassen.