Potsdamer Rechtsextremismus-Forscher: Risiko, dass bewaffnete Terrorzellen entstehen, „ist besonders hoch“
Der Politologe Gideon Botsch über den Wahl-Eklat von Thüringen, die rechtsextrem dominierte AfD und historische Vergleiche. Ein Interview.
Der Rechtsextremismus-Forscher Gideon Botsch leitet die Emil Julius Gumbel Forschungsstelle Antisemitismus und Rechtsextremismus am Moses-Mendelssohn Zentrum (MMZ) und ist Privatdozent an der Uni Potsdam. Das Gespräch führte Jan Kixmüller.
Das Interview erschien zuerst in der „PNN“.
Herr Botsch der Wahl-Eklat von Thüringen wurde wiederholt mit dem Ende der Weimarer Republik verglichen. Was halten Sie davon?
Der Weimarer Vergleich verkennt die Herausforderungen der Gegenwart. Die Gegenwart an einem Extrembeispiel der Weltgeschichte zu messen hilft in der Analyse nur bedingt.
Die Unterschiede sind erheblich: die AfD ist keine NSDAP, das beginnt schon in der Altersstruktur, die AfD ist mittelalt bis alt, keine junge Bewegung, wie es die NSDAP war. Die AfD ist klar rückwärtsgewandt, während die NSDAP auch modernisierende Elemente in sich aufnahm.
Welche Bedeutung messen Sie den Ereignissen von Erfurt zu?
Das ist noch gar nicht abzusehen, so lange diese Krise anhält, so lange wir nicht wissen, wie die Union und FDP diese Krise überwinden werden.
In allererster Linie ist es eine Krise der CDU und FDP. Die AfD hatte einen Tageserfolg zu verbuchen, der sie aber strukturell nicht wirklich weitergebracht hat.
Sie hat sich so die Option verbaut, in einer gemeinsamen Opposition mit Union und FDP an einem neuen Machtprojekt zu arbeiten, das ist nun deutlich schwerer geworden. Die Szenerie, in der ein Mann einen anderen Mann beschämt, ist nur eine sehr kurzfristige Freude.
Was macht die Vorkommnisse bedenklich?
Erschütternd finde ich, dass eine Partei wie die CDU, die in der Geschichte der Bundesrepublik immer eine Partei der Staatsräson und Ordnung war, sich zu so einem symbolischen Akt bereitfindet, der die Partei am Ende als Trümmerhaufen zurücklässt.
Die Union hätte nicht den Linken Boden Ramelow wählen müssen, sie hätte ihre Stimmen zwischen Kemmerich und Enthaltung splitten können.
Dann hätte sie in der Opposition zeigen können, warum sie diese Regierung für falsch hält. Nun hat sie sich selbst einen Schaden zugefügt, von dem ich nicht weiß, wie sie ihn wieder loswerden kann.
Was hat dahintergesteckt?
Der Hintergrund dieser Entscheidung ist ganz offensichtlich ein pathischer Antikommunismus. Hier muss der Weimarer Vergleich dann doch erlaubt sein: Antikommunismus als krankhafte Angst des Bürgertums vor einem kommunistischen Umsturz hat damals die Akzeptanz der NSDAP als das vermeintlich kleinere Übel bei dem nicht nationalsozialistischen Teil des Bürgertums mit bewirkt.
Heute haben wir in Deutschland nicht einmal jene starke kommunistische Kraft, die republikfeindlich ist, zur Revolution aufruft und von der Sowjetunion unterstützte wird.
Wenn nun FDP und CDU einen eher sozialdemokratisch gefärbten Ministerpräsident, der einer Partei angehört, die nicht mehr die SED ist, zu einem Gefährdungspotenzial für die Demokratie machen, dann steht das einer vernünftigen Lösung im Wege.
Die aktuelle Umfrage von FDP und CDU in Thüringen belegen, dass die Parteien sich damit selbst keinen Gefallen tun.
Was halten Sie davon, die AfD ins politische System einzubinden, um sie so zu zähmen, wie es Adenauer mit seinerzeit nationalkonservativen Kräften gemacht hat?
Verfassungsfeindlicher Rechtsextremismus wurde in der frühen Bundesrepublik nicht integriert, sondern ausgegrenzt. Rechtskonservative die sich auf die Westbindung und das Grundgesetz einlassen konnten, wurden in die Union eingeschmolzen oder konnten als nationalliberale Kräfte in die FDP eingehen.
Die große Versuchung für die Union war dann 1970 als die NPD angesichts der Ostverträge der Union ein Angebot gemacht hat, Teile der Union in ein nationaloppositionelles Bündnis – die Aktion Widerstand – einzubringen.
Hier hat sich die Union in staatspolitischer Verantwortung verweigert, sie ist diesen Weg nicht mitgegangen, obwohl sie damals deutschlandpolitisch deutlich andere Positionen vertrat als in späteren Jahren.
Die Erfahrungen des Einbindens und Zähmens rechtsextremer Parteien können für den deutschen Fall nur sehr bedingt gesehen werden.
Wird die tatsächliche Ausrichtung der AfD vielfach verkannt?
Anders als einige zuständige Behörden haben zwei Drittel der Bundesbürger den Radikalisierungskurs der AfD ganz klar erkannt.
Anfängliche Sympathien im gemäßigt rechtskonservativen und migrationskritischen Bürgertum sind verflogen. Das Wählerpotential der AfD entspricht zurzeit etwa dem rechtsextremen Einstellungspotential von 10-15, regional und vor allem in Ostdeutschland 20-25 Prozent.
Es wird sehr schwer sein, diese Wähler in den nächsten Jahren zurückzuholen, sofern die AfD sich nicht selbst sabotiert. Man wird lernen müssen damit umzugehen, dass ein Teil der Wähler die man bisher eingebunden hat, rechts außen wählt.
Die Union muss sich überlegen, ob sie weiter den rechten Rand bedienen will, wie sie das über Jahrzehnte getan hat – mit der Ablehnung einer regulierenden vernünftigen Einwanderungspolitik.
Oder ob sie sich einer modernen Politik aufschließen will, mit dem Bewusstsein, dass man auf mittlere Sicht einen Teil der Wählerschaft verliert und eine Fundamentalopposition im Parlament entsteht.
Andere Europäische Länder können damit auch umgehen. Aus der Existenz einer rechtsextremen Minderheit in den Parlamenten darf man nicht den Untergang des Abendlandes machen.
Wie schätzen Sie den sogenannten Flügel der AfD ein?
Der Flügel ist ein Netzwerk in der Partei. Er ist nicht Björn Höckes Werk, sondern von Anfang an von Alexander Gauland vorangetrieben worden.
Durch sein regelmäßiges Auftreten, die Erstunterschrift der Erfurter Resolution als Gründungsdokument des Flügels ist Gauland dem Flügel klar zuzuordnen, wie auch der der Brandenburgischen AfD-Chef Andreas Kalbitz dem Flügel zurechnen ist.
Der Flügel kontrolliert heute die AfD, die Partei hat zugelassen, dass sie von dieser rechtsextremen Flanke, die innerparteilich eine Minderheit darstellt, kontrolliert wird. Niemand kommt in der Partei am Flügel vorbei.
Deswegen sprechen wir auch von einer bundesweit rechtsextrem dominierten Partei. Wer in der AfD eine Machtposition bekommen und erhalten will, muss seien Kotau vor dem Flügel machen, wie Jörg Meuthen und Alice Weigel das getan haben.
Wer das nicht macht wie Georg Pazderski in Berlin wird brutal abgesägt.
Auch rechts von der AfD tut sich viel. Das Bundeskriminalamt warnt mittlerweile davor, dass zunehmend rechtsextreme Netzwerke entstehen. Deckt sich das mit ihren Erkenntnissen?
Nehmen sie das Bundesland Brandenburg. Hier ist deutlich zu sehen, dass die vergangenen fünf bis sieben Jahre nicht nur ein Aufschwung der AfD bedeutet haben, sondern auch für das Spektrum rechts davon, das im offenen Neonazismus angesiedelt ist.
Wir merken in dem vom Verfassungsschutz beobachteten Bereich Bewegung und Zuwachs, auch an Gewaltbereitschaft. Es gibt mehr Rechtsextremisten, und zugleich einen größeren Teil, der bereit ist, Gewalt anzuwenden.
Und wir müssen mit einiger Sorge sehen, dass sich das auch in staatlichen Sicherheitsapparaten manifestiert. Das ist tatsächlich etwas Neues und Beunruhigendes.
Solche Einzelfälle sind aus Bundeswehr, GSG9, Polizei und bis in die Verfassungsschutzbehörden bekannt geworden. Das Bild dazu ist allerdings noch sehr diffus.
Sind Sicherheitsbehörden trotz ihres Auftrags besonders anfällig für rechts?
Es gab auch in der Vergangenheit in der Polizei etwa höhere Werte rechter Einstellungen. Aber wenn wir den Eindruck gewinnen, dass Teile dieser Dienste ihre Position benutzen, um rechtsextreme Politik zu machen, Gewalt zu befördern und sich zu vernetzten, um strategisch vorzugehen, dann haben wir eine andere Dimension der Bedrohung.
Das heißt nicht, dass es eine Schattenarmee wie in der Weimarer Republik gibt, als die oberste Kommandoebene in den Diensten angesiedelt war und die Aktionen nach unten durchgereicht wurden.
Es gibt sehr ernstzunehmende Bemühungen, so etwas heute nicht zuzulassen. Doch auch wenn es sich nur um Einzelpersonen handelt, ist die Lage gefährlicher geworden.
Ist zu befürchten, dass bewaffnete Terrorzellen entstehen können?
Das Risiko ist besonders hoch. Wir haben einen neuen Typus von Täter, was wir in Halle im vergangenen Oktober erleben mussten, nämlich der Vergemeinschaftung und Vernetzung über das Internet, auch wenn Planung und Ausführung der Tat erst einmal einem Einzeltäter zuzuordnen sind.
Ein Risiko sehe ich besonders, wenn die Möglichkeit solche Hassgefühle auf der Straße zu artikulieren etwas abflaut.
Seit rund anderthalb Jahren lassen die Straßenproteste, etwa Pegida, nach. Einzelne, sehr radikalisierte Gruppen suchen nun aber nach Wegen, weiter zu machen. Das befördert erfahrungsgemäß die Zellenbildung, die Gefahr, dass es zum Terrorismus kommt, ist dann besonders groß.
Die jüngst von der Polizei ausgehobene rechtsextreme Gruppe hatte zum Ziel, das politische System der Bundesrepublik stürzen und dafür offenbar bürgerkriegsähnliche Zustände anzuzetteln. Wie ernst müssen wir das nehmen?
Dieses Bürgerkriegs-Kalkül wird nicht aufgehen. Die islamistischen Anschläge, die ähnliche Ziele verfolgten, sind ja von der deutschen Bevölkerung mit einer bewundernswerten Besonnenheit aufgenommen worden, ähnlich wird sie auch auf diese Form von Terrorismus reagieren.
Aber wie beim Islamismus heißt das keineswegs, dass wir das Bedrohungspotenzial unterschätzen dürfen.
Innenminister Seehofer prüft das Verbot weiterer rechtsextremer Gruppen. Ist das hilfreich?
Das Verbot von Vereinen ist dann geboten, wenn sie sich kriminell betätigen. Zudem kann auch die Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus ein Verbot rechtfertigen.
Ob das auch nach dem NPD-Verbotsurteil vom Januar 2017 durch das Bundesverfassungsgericht Bestand hat, werden nun Verwaltungsgerichte klären müssen.
Ob sich so etwa ein völkisch-antisemitischer Verein wie „Die Artgemeinschaft“ verbieten lässt, muss sich zeigen. Ich denke, dass das deutsche Rechtssystem beim Thema Nationalsozialismus mit dem Grundsatz „Wehret den Anfängen“ bislang gut beraten war.
Trügt der Eindruck, dass gegenwärtig rechtes Gedankengut und fremdenfeindliche Anschauungen verstärkt in den öffentlichen Diskurs einsickern?
Die Grenzen der Sagbarkeit sind bewusst verschoben worden – nicht nur von der AfD, sondern auch von bürgerlichen Medien. Auch von den Feuilletons der Leitmedien.
Sie sind bewusst verschoben worden, weil man bestimmte Dinge wieder sagbar machen will. Aus unterschiedlichen Gründen, zum Teil ehrenwert zum Teil nicht.
Ein Beispiel bitte.
Nehmen Sie die Diskussion in der „Zeit“, ob man mit Rechten reden muss. Die Frage dabei ist, wie weit man dabei geht, welche Stimmen man dabei akzeptiert, welche nicht.
In solchen Debatten ist dann zu hören, ob man denn immer die Belange kleiner Minderheiten beachten müsse, ob man etwa Unisex-Toiletten überhaupt brauche, der normale Deutsche denke doch da ganz anders.
Oder schauen Sie sich an, was in Talkshows heute unwidersprochen möglich ist – oder in der Lokalpresse unhinterfragt und unkritische erscheint. Hier sind Standards eingerissen worden.
Nehmen sie beispielsweise die Frage, ob man die Herkunft von Straftätern im Polizeibericht auch nennen soll, wenn es dafür keinen sachlichen Grund gibt. Die Brandenburger Polizei benennt das nun ganz offensiv immer.
Das halte ich für ein gefährliches Spiel mit dem Feuer. Viele sozialwissenschaftliche Studien, etwa aus dem angelsächsischen Raum, zeigen eindeutig die langfristig schädliche Wirkung: Vorurteile werden stabilisiert oder gar erzeugt, das führt zu Diskriminierung.