ZPS-Protest bei Höcke in Bornhagen: Ramelow: "Der Blick auf die Holocaust-Opfer ist verloren gegangen"
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) ist verärgert über das "Denkmal der Schande" bei Björn Höcke in Bornhagen. Ein Interview.
Herr Ramelow, wann waren Sie zuletzt in Bornhagen?
Das ist schon eine ganze Weile her. Vier Wochen, vielleicht sechs Wochen. Jedenfalls nicht mehr seit dem auf dem Nachbargrundstück von Björn Höcke der Nachbau eines Holocaust-Mahnmals errichtet wurde.
Ihr erster Gedanke bei dieser Installation?
Nach der Dresdner Rede von Herrn Höcke auf dem Nachbargrundstück einen Nachbau des Mahnmals zur Erinnerung an die ermordeten Jüdinnen und Juden zu errichten, ist provokante Kunst, die den Finger in die Wunden der AfD-Geschichtsverleugnung legt. Aber dabei ist es ja leider nicht geblieben.
Die Künstler gaben an, sie hätten Höcke zehn Monate lang nach seiner Dresdner Rede überwacht, ihm einen „zivilgesellschaftlichen Verfassungsschutz“ zur Seite gestellt. Höcke nannte das Zentrum für Politische Schönheit wegen seiner angeblichen Observierung „Terroristen“, der thüringische Landtagspräsident Christian Carius von der CDU verglich die Aktion mit den „Zersetzungsmethoden der Staatssicherheit“. Wie sehen Sie das?
Den Stasi-Vergleich teile ich nicht. Er ist genauso überzogen wie umgekehrt die Aussagen des Künstlerkollektivs über die vermeintliche Überwachung als ein ziviler Verfassungsschutz. Ich sehe das kritisch. Auf diese Weise zerstören die Aktivisten selbst ihre stille Kunstform. Reinhard Schramm, der Vorsitzende der jüdischen Landesgemeinde Thüringen, hat gesagt, die Aktion sei vielleicht gut gemeint, aber schlecht gemacht. Ich setze inzwischen auch hinter das „gut gemeint“ ein Fragezeichen.
Inzwischen erklärt die Künstlergruppe, Höcke sei nicht überwacht worden, alles sei nur Fake gewesen. Nehmen Sie dem Zentrum für Politische Schönheit diesen Rückzieher ab?
Wer eine provokante Kunstaktion, die auf die Verleugnung der Erinnerung an den Holocaust aufmerksam machen will, was ich wichtig finde, selbst zur „Show“ erklärt, delegitimiert sich selbst. Mehr ist dazu nicht zu sagen. Zu diesem Komplex laufen Ermittlungsverfahren, zu denen ich mich als Ministerpräsident aus rechtsstaatlichen Erwägungen grundsätzlich nicht äußere.
Am Wochenende eskalierte der Konflikt, nachdem ZPS-Aktivisten die Reifen ihres Autos zerstochen wurden. Das ZPS sagt, die Polizei würde in der „national befreiten Zone“ die Installation nicht hinreichend schützen.
Das weise ich scharf zurück. Offenkundig ist eine derartige Verdrehung der Dinge Teil der Kunstaktion. Ich verurteile die Reifenstecherei wie jede Straftat. Die Polizei war seit Beginn der Aktion Tag und Nacht in Bornhagen präsent.
Am Wochenende schrieben Sie auf Twitter, das „Zentrum für politische Schönheit“ sei armselig und verspiele jeden Respekt. Angeblich hätten Sie den „Naziüberfall“ auf das Auto der ZPS-Aktivisten relativiert. Was ist vorgefallen?
Wer, wie das ZPS, meint, Orte in Thüringen pauschal als „national befreite Zonen“ zu verurteilen und alle Menschen dort als potenzielle Nazis zu bezeichnen, schlägt denjenigen ins Gesicht, die unter oft nicht leichten lokalen Bedingungen zivilgesellschaftliche Arbeit gegen Rechtsextremismus machen. Die Behauptung zudem, die Polizei habe eine der nachgebauten Stelen beschädigt, entbehrt meines Wissens der Grundlage. Eine Kooperation mit den Nachbarn im Ort wird durch das nun geschaffene Klima erheblich erschwert. Die von mir geführte rot-rot-grüne Landesregierung arbeitet beharrlich und konsequent gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Akteuren für ein Thüringen, das bunt und integrativ ist.
Was treibt ZPS-Chef Philipp Ruch und seine Mitstreiter an?
Diese Frage können nur Herr Ruch und das Zentrum für Politische Schönheit beantworten. Es ist allerdings schon merkwürdig: Am Wochenende haben wir erleben müssen, wie die ganze AfD auf ihrem Parteitag in Hannover deutlich weiter noch nach rechts verschoben wurde, Höckes Flügel feierte einen Triumph nach dem anderen. In Bornhagen aber geht's um zerstochene Reifen und Pappmaché und das ZPS bekämpft anscheinend vordringlich die thüringische Landesregierung und mich persönlich. Da verschieben sich doch völlig die Maßstäbe.
Bereits Frühjahr 2016 planten Antifa-Aktivisten vor Höckes Wohnhaus in Bornhagen eine Demonstration. Sie sprachen damals mit Blick auf diesen Protest von „Nazi-Methoden“. Welchen Unterschied gibt es zwischen der ZPS-Aktion jetzt und der damals geplanten Demonstration?
Ich bleibe dabei: Politische Demonstrationen vor den Privathäusern von Politikern sind inakzeptabel. Die Privatsphäre muss ein geschützter Raum bleiben. Das ganze Crescendo, die ganze Tonalität mit der jetzt wider besseres Wissen ein ganzes Dorf unter Generalverdacht gestellt wird, macht es schwer zu begreifen, was an der Aktion des Künstlerkollektivs noch Kunst ist und was nur noch politische Show. Der Blick auf die Opfer des Holocaust, um die es eigentlich gehen sollte, ist doch völlig verloren gegangen. Das ist sehr, sehr bedauerlich.
Der Linke-Politiker Bodo Ramelow ist seit Dezember 2014 Ministerpräsident von Thüringen. Er steht an der Spitze einer rot-rot-grünen Koalition. Das Gespräch führte Matthias Meisner.