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Aktionskunst: 24 Stelen hat das "Holocaust-Mahnmal" in Bornhagen, Wohnort des thüringischen AfD-Politikers Björn Höcke.
© Patryk Witt/Zentrum für Politische Schönheit
Update

Protest gegen rechten AfD-Politiker: "Denkmal der Schande" vor der Haustür von Höcke

In Bornhagen im Eichsfeld, Wohnort von AfD-Politiker Björn Höcke, haben Aktivisten eine Kopie des Holocaust-Mahnmals errichtet - eine Aktion gegen rechte Umtriebe in der AfD.

Philipp Ruch vom "Zentrum für politische Schönheit" (ZPS) ist guter Dinge. "Es gibt ein bisschen Unruhe in der ,national befreiten Zone', sagt der Aktionskünstler, der sich auf dem Nachbargrundstück des rechtsradikalen AfD-Politikers Björn Höcke im Eichsfeld-Dorf Bornhagen eingemietet hat. Zunächst unter Planen verborgen, wurde dort in den vergangenen Wochen ein aus 24 Betonstelen errichtetes zweites "Holocaust-Mahnmal" errichtet - am Mittwoch um sieben Uhr morgens lüfteten die Künstler das Geheimnis.

Das neue "Mahnmal" ist eine direkte Anspielung auf die Brandrede von Höcke im Januar im Dresdner Ballhaus Watzke. Dort hatte der thüringische AfD-Vorsitzende das Holocaust-Mahnmal in Berlin-Mitte als "Denkmal der Schande" bezeichnet und eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad gefordert".

Ruch spricht von einer "privaten Gartengestaltung". Die Polizei sei vorab informiert worden und mit einem Streifenwagen vorbeigekommen, alles habe seine "gute deutsche Ordnung". Sogar Wanderwegweiser wurden aufgestellt. Touristen finden nun nicht nur den Weg zur oberhalb des Dorfes gelegenen Burgruine Hanstein, sondern auch zur zweiten Attraktion des Ortes, die - sollte die Finanzierung gelingen - bis 2019 stehen bleiben soll. Höcke habe, so schildert es Ruch, vom Fenster seines Hauses aus das Geschehen beobachtet, ihn aber nicht angesprochen.

Via Facebook teilt das ZPS am Nachmittag mit: "Ein rechter Mob, der sich zunächst auf Höckes Grundstück versammelt, bedroht am Nachmittag Journalisten und Künstler, blockiert das Denkmal und begeht Sachbeschädigung (eine der Livecams wurde zerstört). Die Polizei zieht sich trotz offensichtlicher Bedrohung zurück, gewährt keinen Schutz und lässt wissen: 'Falls etwas passiert, wird es dauern, bis wir kommen!' Das Denkmal ist über Nacht also schutzlos!" Eine unabhängige Bestätigung dieser Vorwürfe gibt es nicht.

Die 24 Betonstelen in Bornhagen sind exakte Nachbildungen und gewissermaßen Ableger der 2711 symbolischen Sarkophage, aus denen das Holocaust-Mahnmal in Berlin besteht. Das ZPS macht seit Jahren mit spektakulären Guerilla-Kunstaktionen von sich reden. Für die veranschlagten Kosten von 28.800 Euro suchen die Aktionskünstler noch Unterstützer. Bis Mittwochvormittag war die Summe vollständig zusammengekommen. Das Kunstprojekt soll im Livestream im Internet verfolgt werden können. Allerdings sperrt Youtube nach der Aktion den Kanal des "Zentrums für politische Schönheit" mit rund 2600 Abonnenten, schaltet ihn nach Protesten wieder frei. Einzelne Videos sind bei Vimeo verfügbar.

"Zaun an Zaun zum Posterboy der Rechten"

"Weil Höcke ein ,heimlicher Verehrer' des Denkmals ist, bauen wir es ihm jetzt direkt vors Haus", erklären die Aktionskünstler in einem Video. Sie wohnten seit zehn Monaten "Zaun an Zaun zum Posterboy der Rechten" und beobachteten seitdem aus der Nachbarschaft das Treiben des thüringischen AfD-Partei- und Fraktionschefs. Der Thüringer Verfassungsschutz habe über Jahre den rechtsextremen Terror der NSU protegiert und gedeckt. Deshalb habe das ZPS den "Zivilgesellschaftlichen Verfassungsschutz Thüringen" gegründet. Weil das Bundesamt für Verfassungsschutz Björn Höcke - so wie die AfD insgesamt - nicht beobachte, laufe an dessen Wohnort nun "die aufwendigste Langzeitbeobachtung des Rechtsradikalismus in Deutschland".

Fraktions- und Landesvorsitzender in Thüringen: der AfD-Rechtsaußen Björn Höcke.
Fraktions- und Landesvorsitzender in Thüringen: der AfD-Rechtsaußen Björn Höcke.
© dpa

Das ZPS schlägt Höcke dazu "einen Deal" vor. Wenn der AfD-Rechtsaußen sich bereiterkläre, vor dem Mahnmal - in Berlin oder Bornhagen - auf die Knie zu fallen wie einst Bundeskanzler Willy Brandt, um für die deutschen Verbrechen des Zweiten Weltkriegs um Vergebung zu bitten, werde "die zivilgesellschaftliche Überwachung vorerst eingestellt".

Höcke erwägt Kandidatur für den Bundestag

Ruch als künstlerischer Leiter des ZPS betont: "Wir haben das Mahnmal aus der deutschen Hauptstadt um 180 Grad gedreht. Wir wollen und können die grotesken Forderungen zur Geschichtspolitik nicht auf sich beruhen lassen. Auch nicht nach fast einem Jahr ohne Distanzierung. Die Erinnerung muss gerade in den braunen Ecken des Landes in Beton gegossen werden." In Dresden hatte Höcke wörtlich gesagt: "Wir Deutschen sind das einzige Volk, das sich ein Denkmal der Schande ins Herz gepflanzt hat." Und: Die deutsche Geschichte werde "mies und lächerlich gemacht. So kann es und darf es nicht weitergehen."

Die Mitinitiatorin des Berliner Holocaust-Mahnmals, Lea Rosh, begrüßt den Nachbau des Denkmals. "Das ist eine wunderbare Idee", sagt sie. Die Aktion so kurz vor der Weihnachtszeit sei eine "herrliche Bestrafung" für Höcke. So müsse er vor seinem Haus den Nachbau des Denkmals für die ermordeten Juden Europas erdulden. Ein Kreis um Rosh und den Historiker Eberhard Jäckel (1929-2017) hatte den Bau des Mahnmals angeregt.

AfD-Politiker stellt Strafanzeige

Der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen hingegen ist äußerst erbost: "Es ist widerwärtig, dass so etwas in Deutschland überhaupt möglich sein kann." Seine Partei werde alles daransetzen, "dass diese sogenannten Künstler zur Rechenschaft gezogen werden". Höcke selbst spricht von einer "Belagerung meines Privatanwesens durch Linksextremisten". Mit Blick auf die vom ZPS selbst behauptete "Langzeitbeobachtung" von Höcke stellt der ultrarechte Dresdner AfD-Bundestagsabgeordnete Jens Maier Strafanzeige gegen die Aktivisten. Er spricht von einem "absolut unvertretbaren Eingriff in das Privatleben". Auf Facebook erklärt er: "Die geistigen Erben der Stasi und der Gestapo schrecken vor nichts mehr zurück!"

Thüringens Landtagspräsident spricht von Stasi-Methoden

Auch der Präsident des Thüringer Landtags, Christian Carius (CDU), verurteilt die Aktion: "Die Gesamtaktion des ,Zentrums für politische Schönheit' hat nichts mit Kunst zu tun. Das Abhören und Ausspionieren von Abgeordneten und ihren Familien gleicht den Zersetzungsmethoden der Staatssicherheit."

Höcke hält sich aktuell nicht nur eine Kandidatur für den AfD-Bundesvorstand offen, sondern erwägt auch, bei möglichen Neuwahlen für den Bundestag anzutreten. Gegen ihn läuft ein Parteiausschlussverfahren, das noch unter der Führung der damaligen AfD-Chefin Frauke Petry eingeleitet worden war. Es dürfte mit Blick auf die neuen Machtverhältnisse in der Partei im Sande verlaufen. Begründet wurde das Parteiausschlussverfahren auch mit dem Verdacht, Höcke habe unter dem Pseudonym "Landolf Ladig" für NPD-Zeitschriften geschrieben.

2016 demonstrierte die Antifa in Bornhagen

Schon 2010 und Jahre vor Gründung der AfD hatte sich Höcke an einem Neonazi-Aufmarsch in Dresden beteiligt. Im Mai vergangenen Jahres gab es Debatten um eine von Antifa-Gruppen geplante Demonstration in Bornhagen. Damals entschied ein Gericht, dass direkt vor Höckes Wohnhaus nicht protestiert werden dürfe. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) erklärt damals dazu: "Meine politische Meinung dazu ist gefestigt: keine Demonstrationen vor privaten Wohnhäusern von Amts-und Mandatsträgern."

Im Oktober gab es auf der Frankfurter Buchmesse heftige Tumulte rund um einen Besuch von Höcke beim rechten Antaios-Verlag des mit ihm befreundeten neurechten Publizisten Götz Kubitschek. Mit Blick auf die Leipziger Buchmesse im März wird diskutiert, wie mit rechten Verlagen umgegangen werden soll.

Das ZPS: Symbolische Akte platzen in politische Realität

Bestatter schaufeln am 19.06.2015 Erde auf Sarg mit den sterblichen Überresten eines 60-jährigen Flüchtlings auf dem Friedhof Alter Zwölf-Apostel-Kirchhof in Berlin. Die Beerdigung ist eine Aktion des "Zentrum für Politische Schönheit" die damit gegen die EU-Flüchtlingspolitik protestiert.
Bestatter schaufeln am 19.06.2015 Erde auf Sarg mit den sterblichen Überresten eines 60-jährigen Flüchtlings auf dem Friedhof Alter Zwölf-Apostel-Kirchhof in Berlin. Die Beerdigung ist eine Aktion des "Zentrum für Politische Schönheit" die damit gegen die EU-Flüchtlingspolitik protestiert.
© Rainer Jensen/dpa

Das ZPS um "Chefunterhändler" Philipp Ruch besitzt ein besonderes Talent dafür, künstlerische, also symbolische Akte so wirkmächtig in die politische Realität platzen zu lassen, dass die Grenzen zwischen Inszenierung und Aktivismus knirschen. Prägender Stil ihrer „Eulenspiegel trifft Stadtguerilla“-Inszenierungen ist die Verbindung von Subversion, Provokation und moralischem Furor. Was verlässlich die "Darf man das?"-Fragen wogen lässt.

Für ihre Aktion "Erster Europäischer Mauerfall" entführte die Gruppe die Gedenkkreuze für die Berliner Mauertoten am Reichstagsufer, um sie an den europäischen Außengrenzen – zu Fanalen für das Sterben Geflüchteter umgedeutet – wieder aufzustellen. Für die "Kindertransporthilfe" fingierten die Künstler eine Homepage von Familienministerin Manuela Schwesig, auf der die Aufnahme von 55.000 syrischen Kindern in deutsche Pflegefamilien zugesichert wurde.

Zuletzt ließen die ZPSler unter anderem einen Tigerkäfig vor dem Gorki-Theater errichten, in dem sich geflüchtete Menschen freiwillig verspeisen lassen sollten ("Flüchtlinge fressen – Not und Spiele"). Oder sie installierten, im Rahmen von "Sophie Scholl 2017", einen ferngesteuerten Drucker im Fenster eines Istanbuler Hotels, der Flugblätter in Richtung Gezi-Park spie.

Dem ZPS ist schon so ziemlich alles vorgeworfen worden. Von medialen Selbstdarstellertum bis zu hohlem Pathos. Die Kraft ihrer Inszenierungen hängt dabei tatsächlich zu nicht geringen Teilen von den Gegenwehr-Reflexen der Öffentlichkeit ab. Der "Erste Europäische Mauerfall" versetzte das gesamte politische Berlin in Aufruhr und verwandelte den damaligen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert in einen grimmigen Theaterkritiker ("blanker Zynismus"!). Von der Aktion "Flüchtlinge fressen" ist nicht viel mehr in Erinnerung geblieben als ein Streit um die Tigerhaltung mit dem Grünflächenamt Berlin-Mitte. Obwohl sich die Aktion im Herzen gegen die Visumspflicht für Kriegsflüchtlinge wendete.

Proteste wird auch das Denkmal vor Höckes Haus nach sich ziehen. Mutmaßlich auch Rechtsstreitigkeiten. Wie sieht’s aus mit dem Urheberrecht von Mahnmal-Architekt Peter Eisenmann? Zu dieser Frage sei im Vorfeld recherchiert worden, kein Problem, versichert Philipp Ruch in einer SMS. Die spannendere Frage ist ja ohnehin, was jetzt überwiegen wird: Skandal-Bohei? Oder inhaltliche Auseinandersetzung? Der gleiche Konflikt, den zu Lebzeiten regelmäßig Christoph Schlingensief provoziert hat – wenn er Arbeitslose zum Massenbad im Wolfgangsee zwecks Überflutung von Helmut Kohls Urlaubsdomizil aufrief. Oder vor der Wiener Staatsoper Asylsuchende in einem Container unter "Ausländer Raus!"-Flagge versammelte.

An welchen Revisionisten-Sound wir uns im politischen Alltag wieder gewöhnen wollen, das ist die spannende Frage im Stück mit Hauptdarsteller Höcke. Zurückdenken ist angebracht. (mit dpa, epd)

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