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Hinter vorgehaltener Faust. Dass er aus der Partei ausgeschlossen werden könnte, fürchtet Björn Höcke nicht mehr.
© imago/Christian Thiel

AfD-Politiker: Björn Höcke sucht seinen Weg aus der Deckung

Wo immer er auftritt, jubeln sie. Der Nationalist Björn Höcke hat sich ein Netzwerk geschaffen, das sogar in der AfD vielen unheimlich ist – doch das reicht ihm nicht mehr. Ein Porträt.

Von seinem anderen Leben zeugt nur noch die Tasche. Sie steht in seinem Büro neben dem Schreibtisch auf dem Boden. Braun, das Leder schon abgegriffen, eine Lehrertasche. Sie passt nicht hierher. Nicht in dieses grell erleuchtete, fast sterile Büro, von dem aus Björn Höcke die AfD-Fraktion im Thüringer Landtag führt. Nicht zu Anzug und Krawatte. Sie steht da, wie zum Beweis, dass es diese andere Zeit wirklich gegeben hat. Eine Zeit vor dem Hass.

Ein grauer Novembertag in Erfurt, Björn Höcke sitzt neben einer Deutschlandfahne in seinem Büro, die Beine überschlagen. „Wenn Sie sich die Abiturberichte meiner Schüler anschauen könnten“, sagt er, „sähen Sie ein ganz anderes Höcke-Bild.“ Ganz anders als die Medien ihn darstellten. Viele Jahre sei er an seinem Gymnasium in Hessen Vertrauenslehrer gewesen. „Dazu wählen einen die Schüler. So eine Wahl ist immer auch ein Vertrauensvotum.“ Es klingt stolz.

Schon jetzt hat Höcke bei seinen Anhängern Kultstatus

In diesen Tagen gibt es wieder Aufregung um den ehemaligen Geschichtslehrer. Aktivisten vom „Zentrum für Politische Schönheit“ haben neben Höckes Haus in Thüringen einen Nachbau des Berliner Holocaust-Mahnmals errichtet. Sie sagen, sie hätten ihn auch observiert und Dossiers über ihn angefertigt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts auf Nötigung. Und die „Neue Zürcher Zeitung“ betitelte einen Artikel über ihn mit: „Björn Höcke, der meistgehasste Politiker Deutschlands“.

Wie wird man vom beliebtesten Lehrer der Schule zum meist gehassten Mann der Republik?

Auch in der AfD müssen sie sich gerade wieder fragen, was für ein Mensch Björn Höcke eigentlich ist. Die Partei hält in Hannover am kommenden Wochenende ihren Bundesparteitag ab. Es geht um die Wahl des Bundesvorstands. Seitdem Ex-Parteichefin Frauke Petry mit der AfD gebrochen hat, steht ihr Co-Vorsitzender Jörg Meuthen allein an der Spitze. Er will wiedergewählt werden. Doch auch die anderen Plätze des 13-köpfigen Gremiums werden neu besetzt. Und noch immer hält sich Höcke offen, ob er kandidieren will.

Der Parteitag könnte damit zur Richtungsentscheidung über den künftigen Kurs der AfD geraten. Höcke und seine Anhänger sind in dem von ihm gegründeten nationalistischen „Flügel“ versammelt. Sollten sie im neuen Bundesvorstand stark vertreten sein, würde das als Rechtsruck in der Partei gewertet – denn selbst wenn Höcke nicht kandidiert, würde er seinen Einfluss vergrößern. Austritte von vergleichsweise gemäßigten Mitgliedern dürften die Folge sein.

Schon jetzt hat der 45-Jährige bei einem Teil der AfD-Mitglieder Kultstatus. Regelmäßig wird er mit Jubel und „Höcke, Höcke“-Rufen begrüßt. Dabei will ihn der Bundesvorstand eigentlich aus der Partei werfen, seit er im Januar in seiner umstrittenen Dresdner Rede eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ gefordert hatte und gegen eine „dämliche Bewältigungspolitik“ wetterte. Von Höcke stammen auch rassistische Aussprüche wie der vom „lebensbejahenden afrikanischen Ausbreitungstyp“. Bereits 2015 wollte man ihn des Landesvorsitzes in Thüringen entheben, weil er sagte, nicht alle NPD-Mitglieder seien rechtsextrem. Höcke gilt als einer der radikalsten Vertreter seiner Partei. Selbst für viele in der AfD ist seine Haltung inakzeptabel.

„Ich war ein wilder und ungezogener Schüler“

Er arbeitet daran, dass sich das nun ändert. Die Akzeptanz, nicht seine Haltung. Er ist freundlich, zur Begrüßung schüttelt er einen Moment zu lang die Hand. Auch ein Medienberater der AfD-Fraktion ist anwesend. Nach seiner Dresdner Rede hielt Höcke sich zurück. Erst seit der Bundestagswahl sucht er wieder mehr die Öffentlichkeit. Interviews sind trotzdem selten. Er will keine Angriffsfläche mehr bieten.

Höcke hat einen Arm über die Lehne des Sofas gelegt, im Hintergrund tickt unüberhörbar laut eine Uhr. Er sei, erzählt er, ein Lehrer gewesen, der sich in die Schüler habe hineinversetzen können. Er selbst, in Rheinland-Pfalz aufgewachsen, „war ein wilder und ungezogener Schüler, der Autorität als Selbstzweck nicht akzeptieren konnte“. Trotzdem habe er als Lehrer nicht alles durchgehen lassen. „Mir war es immer wichtig, die Schüler selbst zu einem Urteil kommen zu lassen.“

Er habe ein paar Lehrer gehabt, die es geschafft hätten, die Schüler zu faszinieren. Die in bestimmten Momenten anfingen, „sich die Liebe zu ihrem Fach auf die Zunge zu legen.“ Da sei es den Schülern kalt den Rücken heruntergelaufen und ihnen sei klar geworden: So möchte ich auch sein. „Wenn mir das in dem einen oder anderen Fall auch gelungen sein sollte, wäre ich stolz darauf.“

Ein bisschen muss es für den Geschichtslehrer Höcke immer noch so sein, wenn er vor Parteifreunden redet, sich am Jubel der Menge, dem eigenen Pathos berauscht. Bei seiner Dresdner Rede dröhnte er, die deutsche Geschichte werde in den Schulen mies und lächerlich gemacht. Er rief: „So kann und darf es nicht weitergehen!“ Da standen sie im schummrig beleuchteten Ballhaus Watzke auf, skandierten seinen Namen und wollten gar nicht mehr aufhören. Im Parteiausschlussantrag gegen ihn heißt es, wenn man Höcke reden höre und die Augen schließe, fühle man sich ins „Dritte Reich“ zurückversetzt.

Eine Niederlage würde seinen Nimbus beschädigen

Hinter vorgehaltener Faust. Dass er aus der Partei ausgeschlossen werden könnte, fürchtet Björn Höcke nicht mehr.
Hinter vorgehaltener Faust. Dass er aus der Partei ausgeschlossen werden könnte, fürchtet Björn Höcke nicht mehr.
© imago/Christian Thiel

Es ist schwer zu sagen, was bei Höcke echt ist und was Inszenierung. Ein Ex-Fraktionskollege bezeichnete ihn einmal als „Chamäleon“, das sich perfekt seiner Umgebung anpasse. Auf der Bühne ist er der Demagoge, der seinem Publikum sagt, was es hören will. Im persönlichen Gespräch gibt Höcke den nachdenklichen, heimatverliebten Politiker. Bei einer Neonazi-Demonstration in Dresden 2010 war er einer von denen, die im Chor riefen: „Wir wollen marschieren!“. Vor den Schülern der nahbare Pädagoge.

Das Gespräch dauert mittlerweile eine Stunde, da sagt Höcke, er müsse jetzt los. Im Norden Erfurts findet ein Schweigemarsch statt gegen die drohende Schließung des örtlichen Siemens-Werks. Auch Höcke will da hin, schließlich bemüht er sich, im Osten die AfD als eine Partei der „kleinen Leute“ zu präsentieren. Höcke packt seine Sachen, draußen nieselt es. Er braucht einen Schirm. „Den AfD-Schirm?“, fragt die Sekretärin. „Natürlich den AfD-Schirm“, sagt Höcke. Den kann man später auf allen Bildern gut erkennen.

Höcke, der „Tiger im Käfig“?

Weil Höcke zu einer Arbeiterdemo aber nicht mit seinem großen Dienstwagen fahren will, steigt er mit den anderen aus der Fraktion in einen blauen Minibus. Die Kollegen plaudern, machen Witze über Höckes Privatauto, einen Lada. Einer erzählt von seiner Magenverstimmung. Mit seinem gut geschnittenen Anzug und dem schwarzen Mantel, wirkt Höcke ein wenig fehl am Platz, er schaut aus dem Fenster. Eingeweihte haben dem „Spiegel“ erzählt, Höcke fühle sich in Thüringen wie ein „Tiger im Käfig“. Es scheint zu stimmen.

Bislang hat Höcke nie die große Bühne auf Bundesparteitagen gesucht, hat sich nie zur Wahl gestellt. Das hängt auch damit zusammen, dass nicht klar ist, ob er eine Mehrheit finden würde. Eine Niederlage würde seinen Nimbus beschädigen. Vielleicht braucht er so einen Posten aber auch nicht, um Einfluss in der Partei zu nehmen. Das glaubt sogar Ex-Parteichefin Petry. „Seine inzwischen immer zahlreicheren Anhänger sind längst fest auf allen Ebenen verankert und bestimmen wahrnehmbar den Ton“, sagte sie vor einigen Wochen. Unter dem Einfluss von Höcke und Alexander Gauland vollziehe die AfD einen Richtungswechsel. Zu einer „sozialpatriotischen Partei“, wie Petry das nennt. Vor allem im Osten verfolgte die AfD bereits im Wahlkampf diesen nationalen Kümmerer-Kurs. Sie forderte soziale Gerechtigkeit – für Deutsche.

Doch Höcke scheint sein Einfluss nicht mehr zu reichen: Wenn er sich nicht in den Bundesvorstand wählen lässt, werde er bei Neuwahlen eine Kandidatur für den Bundestag erwägen, sagt er. „Dann wäre das die politische Spielwiese.“

Manche sehen Höcke als „spiritus rector“ des „Flügel“

Wie wichtig Höcke in der Partei jetzt schon ist, zeigte sich Anfang September. Da hat der „Flügel“ zum jährlichen Treffen unterhalb des Thüringer Kyffhäuser-Denkmals eingeladen. Mit seinem rotbraunen Sandstein ist das massive Bauwerk weithin sichtbar. Die Spätsommersonne scheint, als die Parteiprominenz auf dem Parkplatz vorfährt. Wer sich hier blicken lässt, hegt mindestens Sympathien für den „Flügel“. Aus den Autos steigen die Landeschefs von Niedersachsen, Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt. Auch Parteivize Alexander Gauland und Jörg Meuthen, der AfD-Chef, sind dabei.

Die Treffen dienen dazu, dass sich die „Flügel“-Leute noch besser vernetzen können. Denn der „Flügel“ ist kein Verein, er hat keine Struktur, nur ein kleines Machtzentrum. Bei den Zusammenkünften werden Handynummern ausgetauscht, Mailadressen, man kann sich in Whatsapp-Gruppen eintragen lassen.

Je nach Quelle wird die Anhängerschaft des „Flügel“ auf zehn bis 30 Prozent der AfD-Mitglieder geschätzt. „Der Flügel ist von einigen Parteifreunden als Machterlangungsstruktur missverstanden worden“, sagt Höcke. Er sei vielmehr ein loses Netzwerk. „ Und wie das bei losen Netzwerken so ist, verbinden sich Partei-Freunde in den einzelnen Landesverbänden informell, um Mehrheiten zu generieren, wenn es um Parteitage geht.“

Es bleibt die Frage, welchen Einfluss Höcke auf den „Flügel“ hat. Einige sähen ihn als dessen „spiritus rector“, sagt Höcke. Also als jemanden, von dem sich der „Flügel“ geistig leiten lässt.

Vermutlich trifft es das sogar. Höcke ist zwar gut darin, seine Feinde in der Partei zu identifizieren, aber er ist kein besonders gewiefter Machtstratege. Seine Führungsrolle beruht vor allem auf der Bewunderung seiner Anhänger. Einige tragen sogar Jute-Beutel mit Höckes Konterfei, auf denen steht: „Geht aufrecht!“.

Höcke will die AfD als „Bewegungspartei“

Hinter vorgehaltener Faust. Dass er aus der Partei ausgeschlossen werden könnte, fürchtet Björn Höcke nicht mehr.
Hinter vorgehaltener Faust. Dass er aus der Partei ausgeschlossen werden könnte, fürchtet Björn Höcke nicht mehr.
© imago/Christian Thiel

Es gibt Erzählungen von AfD-Parteitagen, da werden die Bewerber für die Landeslisten oder eine Direktkandidatur gefragt, wie sie zu Björn Höcke und zum Ausschlussverfahren stehen. Die Antwort ist nicht selten ausschlaggebend dafür, ob sie gewählt werden. „Mag sein“, sagt Höcke dazu nur.

Mittlerweile geht in der Partei kaum noch jemand davon aus, dass Höcke ausgeschlossen wird. Anfang 2018 wird das Landesschiedsgericht in Thüringen ein Urteil fällen. Es wird den Parteiausschluss wohl ablehnen – schon allein weil mehrere Höcke-Anhänger in dem Gremium sitzen. Nachdem Petry, die größte Widersacherin Höckes, die Partei verlassen hat, ist es auch unwahrscheinlich, dass der Bundesvorstand den Prozess in die nächste Instanz treibt. Es gibt sogar Anträge für den Bundesparteitag, das Verfahren auf der Stelle zu beenden. Werden sie angenommen, wäre es das Comeback für Höcke.

Und Höcke, der Lehrer, hat gelernt. Er ist vorsichtig geworden. „Ich rede eigentlich gerne frei, aber das mache ich jetzt nicht mehr.“ Er hält sich stärker zurück und glaubt, seinen Fehler gefunden zu haben: „Als Politiker müssen Sie wie ein Lehrer didaktisch reduzieren. Ich habe hochkomplexe Sachverhalte oft nicht verständlich genug kommuniziert.“ Gleichzeitig verharmlost er das, was er gesagt hat: „Eine falsche Rede, ein paar falsche Begriffe, einen falschen Ton – was ist das denn eigentlich gegen die Fehlleistungen des politischen Establishments?“ Es wird deutlich: Den Inhalt seiner Reden bereut er nicht. Er steht hinter seinen Worten.

„Wer so etwas tut, der ist in meinen Augen ein Terrorist.“

Am vergangenen Samstag betritt Höcke die Bühne einer Tagungshalle in Leipzig. Das rechte „Compact Magazin“ hat unter dem Motto „Opposition heißt Widerstand“ eingeladen – als Redner tritt hier auch Martin Sellner, Galionsfigur der völkischen „Identitären Bewegung“ auf. Höcke wird mit stehenden Ovationen empfangen. Hier will er über die Mahnmal-Aktion neben seinem Haus sprechen. „Wenn ich alleine wäre“, sagt er, „dann könnte ich mit einem Lächeln auf den Lippen sagen: Welcher Politiker bekommt schon zu Lebzeiten sein eigenes Denkmal vor die Haustür gestellt?“ Gelächter. Doch er sei Vater von vier Kindern. „Wer so etwas tut, der ist in meinen Augen ein Terrorist.“ Tosender Applaus. Von den ganz Rechten wird er heiß geliebt.

Höcke spricht in Leipzig auch zu denen, die befürchten, dass die AfD sich im Bundestag zu stark dem verhassten Polit-Establishment annähert. „Die AfD muss eine Bewegungspartei sein und bleiben“, ruft er. Er hat diesen Begriff schon oft gebraucht, er kommt gut an bei den Leuten von Pegida und Co. In der AfD ist er umstritten. Hat eine Bewegung nicht immer einen Führer?

Auch einer seiner ehemaligen Schüler erzählte vergangenes Jahr dem Online-Magazin „Vice“, dass sich Höcke im Unterricht wiederholt auf die Abhandlung „Psychologie der Massen“ des Franzosen Gustave Le Bon bezogen hatte. Regelrecht fasziniert sei er davon gewesen. In dem Werk heißt es: „Die Masse ist eine Herde, die sich ohne Hirten nicht zu helfen weiß.“ Dieser Hirte brauche einen Nimbus, einen Zauber, der alle kritischen Fähigkeiten lähme.

Man dürfe nicht betriebsblind werden, sagt Höcke

Höcke sagt auf der Fahrt zum Siemens-Marsch, dass der Begriff der Bewegungspartei skandalisiert worden sei. Man müsse einfach im Kontakt mit dem Volk bleiben, nicht betriebsblind werden. Deshalb müssten AfD-Parlamentarier Arbeit auf der Straße machen.

Am Siemens-Werk angekommen, sehen Höcke und seine Kollegen schon von weitem Politiker wie Ministerpräsident Bodo Ramelow oder Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee stehen, die ein Banner halten. Höcke und seine Leute fädeln sich in der zweiten Reihe ein, noch vor den SPD- und Linken-Mitgliedern. Und dann stellt sich Höcke so hin, dass er von vorne sichtbar ist. Auf einem Bild wird es am Ende sogar so aussehen, als hätten sie ihn in die erste Reihe gelassen – die Granden der thüringischen Politik.

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