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Die syrische Metropole Aleppo wurde durch russische Bombardements in Schutt und Asche gelegt.
© Hassan Ammar/AP/dpa

Erprobtes Kalkül: Putins Lehren aus dem Syrien-Krieg – und wie er sie jetzt anwendet

Mit massiver Gewalt geht Russland gegen die Ukraine vor – ohne nennenswerte militärische Gegenwehr des Westens. Das erinnert an Syrien.

Zerbombte Städte, Millionen Flüchtlinge und ein zynisches Kalkül des Machthabers: Elf Jahre nach Ausbruch des Konflikts in Syrien am 15. März 2011 erlebt die Welt in der Ukraine einen neuen Krieg, in dem Russland mit militärischer Übermacht die Bevölkerung eines Landes zum Aufgeben zwingen will. Aus dem Krieg im Nahen Osten ergeben sich ernüchternde Erkenntnisse für die Ukraine.

Als Syriens Machthaber Assad im Frühjahr 2011 mit großer Gewalt auf Forderungen nach Demokratie reagierte, war die Empörung im Westen groß. Mehr aber auch nicht. Denn im Kriegsfall lautet das Mantra des Westens: Es gibt keine militärische Lösung für derartige Konflikte. Sogar Flächenbombardements, gezielte Attacken auf Schulen und Krankenhäuser oder das Abriegeln und Aushungern großer Städte ändern in der Regel nichts an dieser Haltung.

Das versteht Putin als Schwäche, die es zu nutzen gilt. Er führte erst auf der Krim und im Donbass, dann in Syrien der Staatengemeinschaft vor Augen, dass mithilfe von Kampfjets und Soldaten sehr wohl politische und militärische Ziele erreicht werden können. Dass auf dem Schlachtfeld entschieden wird, wer das Sagen hat. Wenn es überhaupt zu Verhandlungen kommt, diktiert sie Russland aus einer Position der Stärke.

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Der Einsatz in Syrien lehrte Moskau jedoch vor allem, dass mit nennenswerter Gegenwehr der Amerikaner und Europäer nicht zu rechnen ist. Das wurde dem Kremlchef spätestens 2012 klar. Damals warnte US-Präsident Barack Obama Syriens Herrscher Assad vor einem Giftgaseinsatz.

Der tat es ein Jahr erwiesenermaßen dennoch – und kam ungeschoren davon. Für Putin stand damit fest: Der Westen ist zu einer Intervention nicht bereit. Diese Tatenlosigkeit hat Russland ermutigt, Ende September 2015 direkt in Syrien einzugreifen.

Der Westen unternahm auch nichts, als der Kampf gegen die Opposition mit immer größerer Brutalität geführt wurde. So gab es zwar wie jetzt in der Ukraine viele Rufe nach einer Flugverbotszone, um die Zivilbevölkerung vor Angriffen zu schützen. Doch davor schreckte Obama ebenfalls zurück: Die USA wollten eine direkte Konfrontation mit Russland nicht riskieren.

Und Washington will es bis heute nicht. Putin soll für seinen Einmarsch in die Ukraine mit Sanktionen bestraft und zum Einlenken gezwungen werden. Aber sich ihm in den Weg stellen, das wagen weder die Amerikaner noch die Europäer oder die Nato. Nach Einschätzung von Markus Kaim aus gutem Grund. „Der Syrienkonflikt war ein Kampf der Regionalmächte. Es ging Russland darum, seinen Einfluss im Nahen Osten auszubauen. Aus Sicht des Westens spielte sich das an der europäischen Peripherie ab.“

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Der Krieg in der Ukraine besitze eine ganz andere Dimension, sagt der Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik. „Dieser Konflikt findet auf der Ebene der Supermächte statt. Es geht um Nuklearwaffen. Das ist eine andere, viel gefährlichere Kategorie.“

Viele Syrer, wie hier in Idlib, solidarisieren sich mit den Menschen in der Ukraine.
Viele Syrer, wie hier in Idlib, solidarisieren sich mit den Menschen in der Ukraine.
© Anas Alkharboutli/dpa

Rücksichtslosigkeit lohnt sich

Der Anblick der ukrainischen Stadt Charkiw nach dem Bombardement durch die russische Armee erinnert an die Verwüstungen in der syrischen Wirtschaftsmetropole Aleppo. Die Großstadt wurde anfangs von Rebellen gehalten, doch 2016 zerstörten russische Luftangriffe große Teile der Stadt.

Zehntausende Menschen starben, Hunderttausende mussten fliehen. Für Assad und Russland zahlte sich die Gewalt aus: Im Dezember 2016 mussten sich die Aufständischen geschlagen geben und Aleppo räumen. Die Schlacht war ein Wendepunkt im Krieg.

Der mutmaßliche Angriff auf eine Entbindungsklinik in der eingeschlossenen ukrainischen Stadt Mariupol wirkte ebenfalls wie eine Szene aus dem Syrien-Krieg. Luftangriffe und Artilleriebeschuss auf zivile Einrichtungen sollen Terror verbreiten und den Widerstand der Gegner brechen.

Der Umgang mit den sogenannten humanitären Korridoren in der Ukraine gleicht ebenfalls einer Taktik aus dem Syrienkrieg. Bei der Belagerung von Rebellen-Hochburgen nutzten syrische und russische Militärs die Vereinbarungen über den Abzug von Zivilisten aus dem Kampfgebiet dazu, den Druck auf die Gegner zu erhöhen.

Trotz lokaler Waffenruhen setzten sie ihre Bombardements fort. Obwohl Rebellenkämpfer freies Geleit für den Rückzug erhalten sollten, wurden sie festgenommen. In einigen Fällen nutzten Angreifer wie Verteidiger die Feuerpausen und humanitären Korridore als Gelegenheit, ihre Truppen neu zu gruppieren und zu verstärken.

Einwohner der ukrainischen Stadt Irpin versuchen, sich vor den Angriffen der russischen Armee in Sicherheit zu bringen.
Einwohner der ukrainischen Stadt Irpin versuchen, sich vor den Angriffen der russischen Armee in Sicherheit zu bringen.
© Dimitar Dilkoff/AFP

Lügen und Desinformation gehören zur Kriegsführung

Glaubt man Assad, geht es in Syrien nicht um den Krieg eines Machthabers gegen das eigene Volk, sondern um den Kampf einer legitimen Regierung gegen Terroristen. Die „Feinde des Heimatlandes“ müssten besiegt werden, sagte Assad im vergangenen Jahr. Dazu zählt er jeden, der sich gegen ihn wendet – ob bewaffnet oder friedlich.

Das russische Verteidigungsministerium meldete nach den ersten Angriffen seiner Luftwaffe in Syrien 2015, ein Kommandozentrum des „Islamischen Staates“ (IS) sei zerstört worden. Aber nach Angaben westlicher Staaten griffen die russischen Jets Gebiete an, in denen der IS nicht aktiv war. Heute verweist Moskau zur Begründung des Einmarschs in die Ukraine auf angebliche „Nazis“ in der Regierung in Kiew.

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In Syrien greifen die syrische und die russische Armee nach Angaben von Hilfsorganisationen gezielt Krankenhäuser und Schulen in Rebellengebieten an. Trotz aller Belege für solche Attacken streiten Damaskus und Moskau die Vorwürfe ab. Ähnlich verhält es sich im Ukrainekrieg.

Der Beschuss der Entbindungsklinik in Mariupol wird von Moskau als Fake News bezeichnet. Das Krankenhaus sei militärisch genutzt worden. Das Leugnen ist auf russischer Seite Teil der Kriegsführung. Als westliche Staaten der Assad-Regierung den Einsatz von Giftgas nachwiesen, reagierten Damaskus und der Kreml mit der Behauptung, nicht die Regierungstruppen, sondern die Rebellen hätten diese C-Waffen eingesetzt.

Syriens Machthaber Baschar al Assad beherrscht das Land wieder zu weiten Teilen, dank seines Verbündeten Wladimir Putin.
Syriens Machthaber Baschar al Assad beherrscht das Land wieder zu weiten Teilen, dank seines Verbündeten Wladimir Putin.
© Louai Beshara/AFP

Gewalt kann den Krieg gewinnen, aber nicht den Frieden

Mit Brutalität, massivem Militäreinsatz und russischer Hilfe gegen die Aufständischen gelang es Assad ab 2016, die Niederlage im Krieg abzuwenden. Heute kontrolliert die Regierung des Präsidenten wieder etwa zwei Drittel des Staatsgebietes. Die Opposition herrscht nur noch über die Provinz Idlib an der türkischen Grenze. Russland hat in allen Gebieten westlich des Euphrat die Lufthoheit.

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Allerdings kann von einem vollständigen Sieg für Assad oder gar Frieden keine Rede sein. Weite Teile des Landes liegen in Trümmern, mehr als die Hälfte der fast 18 Millionen Syrer haben durch den Krieg ihre Heimat verloren. Zudem ist Syrien de facto zerteilt. Alle Gebiete östlich des Euphrat werden von der kurdisch dominierten Miliz SDF mit Unterstützung der USA kontrolliert. Im Norden hält die türkische Armee mehrere Gebietsstreifen besetzt.

Iranische Gruppen und die pro-iranische Hisbollah aus dem Libanon, als Helfer Assads ins Land gekommen, haben sich ebenfalls in Syrien festgesetzt. Nicht einmal in seinem eigenen Herrschaftsbereich kann Assad für Ruhe sorgen. Die Repression und die katastrophale wirtschaftliche Lage lösen immer wieder Revolten aus, zuletzt im vergangenen Jahr in der südlichen Provinz Daraa. Jener Gegend, in der im März 2011 der Aufstand gegen den Diktator begann.

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