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Augen zu und durch: Bundeskanzlerin Angela Merkel und Unions-Fraktionschef Volker Kauder vor der Entscheidung zur "Ehe für alle".
© Kay Nietfeld/dpa
Update

Ehe für alle: Nur die Liebe zählt

Ein Vierteljahrhundert wurde politisch gestritten, wer heiraten darf. Jetzt dürfen plötzlich alle. Was ist in der Regierung und in den Parteien passiert?

Es war ein Coup mit Vorlauf – nicht geplant, aber letztlich doch beabsichtigt. Nicht geplant war, dass ein junger Mann die CDU-Chefin Angela Merkel am Montagabend auf die „Ehe für alle“ ansprach: „Wann kann ich zu meinem Freund Ehepartner sagen?“ Merkel hätte den Zuhörer beim „Brigitte“-Talk im Gorki-Theater vertrösten können. Doch sie trat eine politische Lawine los.

Die Andeutung, dass man das heikle Thema „in Richtung einer Gewissensentscheidung“ lösen sollte, setzte alle Parteien im Bundestag unter Entscheidungsdruck – die eigene und die anderen. Bis auf CDU und CSU hatten alle die „Ehe für alle“ zur Bedingung für eine nächste Regierungskoalition gemacht. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz zog Dienstagfrüh die Konsequenz: Abstimmen, und zwar sofort.

War das eine einsame Entscheidung der Kanzlerin?

Nein, ganz und gar nicht. Am Montag berieten die Vorstände von CDU und CSU in Berlin und München über das Wahlprogramm. Wer anschließend genau hinhörte, konnte merken, dass sich bei der „Ehe für alle“ etwas verschoben hatte. Da tadelte CSU-Chef Horst Seehofer, dass die anderen Parteien eine Frage zum Wahlkampfthema machten, die doch eine „höchstpersönliche Entscheidung“ sei, und versprach: „Wir werden jetzt sachlich ohne Parteipolitik die Debatte führen.“ Dabei war die Debatte in der Programmkommission schon ein Stück weiter. Merkel berichtete am Montag von der Begegnung mit einer lesbischen Frau, die mit ihrer Partnerin mehrere Pflegekinder betreut – und wenn das Jugendamt diese Konstellation befürworte, könne man nicht mehr mit der Sorge um das Kindeswohl argumentieren. Merkel und Seehofer war klar, dass das Thema sie im Wahlkampf und bei Koalitionsverhandlungen plagen würde.

Hat die SPD den Koalitionsbruch riskiert?

Wenn ein Koalitionspartner mit der Opposition gemeinsam den anderen überstimmt, ist das ein offener Bruch. Eigentlich müsste die Kanzlerin dann das Bündnis kündigen und die SPD-Minister rauswerfen. Stattdessen wiederholte sie am Dienstag in der Unionsfraktionssitzung, es gehe um eine Gewissensentscheidung jedes Abgeordneten – und gab deren Abstimmung ohne Fraktionszwang frei. Fraktionschef Volker Kauder (CDU) rief dazu auf, möglichst zahlreich abzustimmen – und jene, die eine völlige Gleichstellung ablehnten, sollten respektvoll mit den anderen umgehen. Zuvor hatte er von einem „Vertrauensbruch“ gesprochen und angekündigt, die SPD müsse „dann eben mit der rot-grünen Opposition zusammen diesen Tagesordnungspunkt“ beschließen und „gegen uns diese Abstimmung durchführen“. SPD-Chef Schulz hatte genau damit gedroht, falls eine „gütliche“ Einigung nicht gelinge. „Die Gegenseite hat den Koalitionsvertrag mehrfach gebrochen“, baute er vor.

Die SPD will im Rechtsausschuss des Bundestags einen von Rheinland-Pfalz initiierten Bundesratsbeschluss auf die Tagesordnung des Bundestags setzen, zu dem die erste Lesung und eine Anhörung bereits stattgefunden haben. Die Grünen waren beim Bundesverfassungsgericht damit gescheitert, die Abstimmung juristisch zu erzwingen.

Kauder warf der SPD „Nervosität“ vor: „Ein solches Thema, das hochsensibel ist, einfach Knall auf Fall in den deutschen Bundestag zu bringen, zeigt, dass diese Partei ihrer Verantwortung in schwerer Zeit nicht gerecht werden kann.“ Tatsächlich hat Merkels Coup Schulz massiv unter Druck gesetzt, der die „Ehe für alle“ zur künftigen Koalitionsbedingung erklärt hatte. Dazu kam: Auch auf Unionsseite drängten manche, jetzt abzustimmen. Mathematisch stand die Union sowieso verloren da, aber selbst symbolisch hätte sie die eigenen Reihen kaum geschlossen halten können. CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt beschwichtigte denn auch schnell: Wenn die Mehrheit des Parlaments eine Abstimmung wolle, „dann muss man das zur Kenntnis nehmen und so agieren, wie die Mehrheit des Parlaments entscheidet“. Koalitionsbruch? Regierungskrise? „Na, also die drei Monate werden wir noch gemeinsam absolvieren!“

Was ist die Ehe für alle?

Das Thema beschäftigt den Bundestag seit mehr als einem Vierteljahrhundert. Die Grünen legten seit 1990 praktisch in jeder Legislaturperiode einen Gesetzentwurf vor, der Menschen gleichen Geschlechts das Recht auf Ehe geben sollte. Die SPD war vorsichtiger: Ihr Entwurf von 1998 galt der Lebenspartnerschaft mit eingeschränktem Adoptionsrecht; das gemeinsame Sorgerecht für zwei Väter oder zwei Mütter schloss er aus. Die rot-grüne Koalition unter Bundeskanzler Gerhard Schröder führte 2001 gegen harten Widerstand der Union die eingetragene Lebenspartnerschaft für Schwule und Lesben ein: Zwei Frauen und zwei Männer können eine Verbindung eingehen, die der Staat anerkennt, die aber nicht alle Rechte hat, die Ehepaare haben. Zunächst gab es praktisch nur Pflichten der Partner gegeneinander wie Unterhaltszahlungen. Später kamen durch Gesetze, europäische Gerichte und das Bundesverfassungsgericht auch Rechte dazu: etwa auf das steuerliche Ehegattensplitting oder auf Hinterbliebenenrenten. Inzwischen, bemerkte vor zwei Jahren bei einer Anhörung im Bundestag der frühere Bundesanwalt und langjährige Schwulenaktivist Manfred Bruns, unterschieden sich Lebenspartnerschaft und Ehe “in Hinblick auf die Rechtsfolgen praktisch nur noch im Namen”.  Der Name allerdings hat Folgen.

Warum ist die Bezeichnung „Ehe“ so wichtig?

Weil die “Homo-Ehe” noch immer nicht Ehe heißen darf, muss jedes einzelne Gesetz, jede amtliche Vorschrift, die auf beide anwendbar wären, die Lebenspartnerschaft eigens aufnehmen. Das führt nicht nur zu einem erheblichen Verwaltungsaufwand, sondern verzögert auch die tatsächliche Gleichstellung, denn diese Arbeit ist immer noch nicht voll und ganz geschafft. Es sei offenbar nicht möglich, sagt Manfred Bruns, “alle einschlägigen Vorschriften und in den Vorschriften alle einschlägigen Absätze zu erfassen”. Symbolisch wie praktisch macht der andere Name die Lebenspartnerschaft zu einer Ehe minderer Güte. Und ein wichtiger Punkt unterscheidet sie nach wie vor von der Ehe zwischen Mann und Frau – die übrigens ihrerseits keine Lebenspartnerschaft eingehen können: Lesbische und schwule Paare kommen viel schwerer gemeinsam ans volle Erziehungsrecht für ihre Kinder. Beide Baustellen, Elternrechte und die Dauerbeschäftigung von Gesetzgebung und Behörden, wären mit einemmal geschlossen, wenn die Lebenspartnerschaft Ehe heißen dürfte.

Was unterscheidet homo- und heterosexuelle Eltern?

Ehepaare dürfen Kinder gemeinsam adoptieren, eingetragene lesbische und schwule Paare nur nacheinander. Außerdem anerkennt das deutsche Recht bisher Regenbogenfamilien nicht, Eltern sind immer höchstens zwei. Wenn die Partnerin einer leiblichen Mutter deren Kind adoptiert, hat der biologische Vater, etwa ein schwuler Freund der beiden, der seinerseits gern an der Erziehung seines Kindes beteiligt wäre, keinerlei Rechte mehr.

Ist eine Grundgesetzänderung erforderlich?

Das ist umstritten. Ausgangspunkt ist Artikel 6 im Grundgesetz, wonach „Ehe und Familie“ unter dem „besonderen Schutz der staatlichen Ordnung“ stehen. In der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Ehe eine Verbindung zwischen Mann und Frau. Ein Gesetz für gleichgeschlechtliche Ehen könnte deshalb als verfassungswidrig beurteilt werden, wenn das Grundgesetz nicht ausdrücklich angepasst wird.

Manche Verfassungsrechtler argumentieren, der Ehebegriff sei im Grundgesetz so angelegt, dass er gleichgeschlechtliche Verbindungen erfasse. Das ist modern gedacht, aber dagegen spricht: Als das Grundgesetz 1949 in Kraft trat, waren homosexuelle Handlungen unter Männern bei Strafe verboten. Doch Artikel 6 könnte über die Jahrzehnte seinen Bedeutungsgehalt verändert haben. Juristen sprechen in solchen Fällen von einem „Verfassungswandel“, der in diesem Fall auch durch globale Entwicklungen vorangetrieben sei.

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