Grünen-Parteitag: Klimaschutz, Ehe für Alle und Sicherheit
Die Grünen verabschieden einen Zehn-Punkte-Regierungsplan und geben sich "radikal und realistisch". Die Partei präsentiert sich ungewohnt einig und sammelt sich hinter ihren Spitzenkandidaten.
Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt sehen ziemlich erleichtert aus, als sie am Ende des Parteitags auf der Bühne tanzen. Eine Band spielt die Melodie von „Irgendwie, irgendwo, irgendwann“. An den Nena-Song angelehnt ist der Spruch, der nun Titel des Grünen-Wahlprogramms ist: „Zukunft wird aus Mut gemacht.“ Und Göring-Eckardt, Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl, ruft selbstbewusst in die Halle: „Nicht irgendwann, sondern jetzt.“
Drei Tage lang haben die Grünen im Berliner Velodrom über ihr Wahlprogramm beraten. Die Partei hat sich eine Menge vorgenommen: Nachdem sie in den Umfragen in den letzten Monaten nicht über acht Prozent hinauskam, will sie nun wieder in die Offensive. Die Grünen wollen zeigen, dass sie sich nicht nur mit sich selbst beschäftigen, sondern für die Gesellschaft da sind. Für die Spitzenkandidaten geht es außerdem darum, ihren Führungsanspruch zu beweisen.
Die Grünen sind bereit, ihrem Spitzenduo zu folgen
Nach 2200 Änderungsanträgen, stundenlangen Beratungen, sowie Für- und Gegenreden bis in die Nacht haben die Grünen ihre Kernbotschaften für den Wahlkampf festgelegt: Viel Klimaschutz, der Kampf für ein weltoffenes Europa und mehr Gerechtigkeit gehören dazu. Der Parteitag zeigt aber auch: Die Grünen sind bereit, ihrem Spitzenduo zu folgen. Was auch daran liegt, dass die beiden es den Delegierten leicht machen. Gleich zu Beginn des Parteitags hält Özdemir eine Rede, die emotional und kämpferisch zugleich ist. Er wirbt mit Leidenschaft für ein weltoffenes und solidarisches Europa. „Die Freiheit, die unsere Eltern und Großeltern errungen haben, werdet ihr uns niemals wieder nehmen“, sagt er an die Adresse der „Mauerbauer“ Trump und Orbán. „Ich will nie wieder erleben, dass Menschen in der EU an Schlagbäumen gestoppt und nach ihren Pässen gefragt werden“, ruft er.
Eine klare Botschaft hat der Parteichef aber auch an die Bundeskanzlerin. Özdemir, der immer wieder unter Verdacht stand, es zu sehr auf Schwarz-Grün abzusehen, übt deutliche Kritik an Angela Merkels Europapolitik. „Schulmeisterlicher Drill“ aus Berlin führe nicht dazu, dass Italien oder Griechenland erfolgreicher würden, sagt Özdemir. Nach seiner Rede erhält er minutenlangen Applaus.
Parteichef Özdemir ist bereit, Risiken einzugehen
Respekt zollen ihm die Delegierten aber auch dafür, dass er Risiken eingeht. Es ist Özdemir, der dafür wirbt, den Beschluss zum Kohleausstieg vom letzten Parteitag in Münster zu korrigieren. Vor einem halben Jahr hatte die Partei übermütig gefordert, spätestens 2025 müsse in Deutschland Schluss mit der Kohle sein – gegen den Rat des Bundesvorstands und der Fachpolitiker im Bundestag. Dies nun für das Bundestagswahlprogramm zurückzunehmen, ist für die Delegierten nicht ganz einfach. Doch am Ende heißt es stattdessen: Nach der Wahl sollten „unverzüglich“ die 20 schmutzigsten Kohlekraftwerke vom Netz genommen werden, der komplette Kohleausstieg solle bis 2030 vollzogen sein. Dies sei „radikal, realistisch und verantwortungsbewusst“, sagt Özdemir. Die Mehrheit des Parteitags nimmt ihm das ab – und trägt den Beschluss mit.
Auch Göring-Eckardt begeistert die Delegierten
Aber auch Göring-Eckardt ist in Form. Zu lauter Musik zieht sie am Samstag in die Parteitagshalle ein, gefolgt von neuen Grünen-Mitgliedern, die sich hinter ihr auf die Bühne stellen. Sie sollen das Bild dafür liefern, dass die Grünen trotz Umfrageschwäche Zulauf haben: auf mehr als 62 000 Mitglieder kommt die Partei inzwischen. Parteitagsreden sind sonst nicht Göring-Eckardts Stärke, aber dieses Mal gelingt es ihr, die Delegierten zu begeistern. Sie schlägt den Bogen von gesundem Essen zur Freiheit, von den Menschenrechten zur Sicherheit.
Parteitage dienen auch der Selbstvergewisserung. Es ist Fraktionschef Anton Hofreiter, der für einen der Momente sorgt, bei dem die Delegierten spüren, wofür sie eigentlich kämpfen. Der promovierte Biologe berichtet von seiner Reise zu den schmelzenden Gletschern in die Arktis. Selbst ihn als Naturwissenschaftler habe es beeindruckt, wie „krass erschreckend“ dort die Folgen des Klimawandels zu sehen seien. Es bestehe „ganz dringender Handlungsbedarf“, mahnt er. Ähnlich eindringlich redet die mikronesische Klimaaktivistin Jolanda Yoab auf die Versammlung ein. Sie erzählt, wie ihre Heimatinseln im Pazifik durch steigende Meeresspiegel unterzugehen drohen.
Der Klimaschutz steht an erster Stelle
Im Wahlprogramm steht der Klimaschutz an erster Stelle. Aber die Delegierten ringen an diesem Wochenende auch um andere Themen. Eine Regierungsbeteiligung auf Bundesebene kommt für die Grünen zum Beispiel nur infrage, wenn die Ehe für Alle Gesetz wird. Cem Özdemir erklärte zum Abschluss der dreitägigen Konferenz, die Grünen seien die Partei, die nicht vorschrieben, wen jemand lieben könne.
Die nordrhein-westfälische Fraktionschefin Monika Düker, der die Wahlniederlage der Grünen in NRW noch in den Knochen steckt, redet den Delegierten ins Gewissen. „Die Wähler erwarten von uns schlüssige Sicherheitskonzepte“, sagt die Grünen-Politikerin. Für Sicherheit würden die Grünen zwar nicht gewählt. „Aber wenn wir uns hier eine offene Flanke leisten, werden wir abgewählt“, sagt sie. In ihrem Wahlprogramm fordern die Grünen nun, mehr Polizisten einzustellen und die Polizei besser auszustatten. Aber auch bei einem heiklen Thema zeigen sie sich offen: An „Gefahrenschwerpunkten“ könne Videoüberwachung eine „unterstützende Maßnahme“ sein, heißt es.
Aber auch Sicherheit ist Thema des Regierungsplans
Eine Konsequenz aus den NRW-Erfahrungen ist auch, dass Göring-Eckardt und Özdemir die Sicherheitspolitik in den Zehn-Punkte-Regierungsplan aufgenommen haben, der zum Ende des Parteitags beschlossen wird. Darin zeigen die Grünen sich auch offen, nach der Wahl mit allen Parteien zu reden – außer mit der AfD. „Ich kann euch nicht sagen, mit wem wir verhandeln werden. Aber ich kann euch sagen, was wir verhandeln werden“, sagt Fraktionschef Hofreiter. Leicht werde es nach der Wahl sicher nicht, sagt er: „Aber wir sind nicht in der Politik, weil wir es uns leicht machen wollen, sondern weil wir etwas verändern wollen.“