Entscheidung über Ehe für alle: Willkommen in der Moderne, Frau Merkel!
Wenn Menschen sich lieben, füreinander da sind, Kinder großziehen, ist das gut. Warum die Ehe für alle überfällig ist - ein Kommentar.
Willkommen in der Moderne, Deutschland. Oder besser: Willkommen in der Moderne, Frau Merkel. Fast beiläufig, bei einer Veranstaltung der Zeitschrift „Brigitte“, hat die Kanzlerin ihr Nein zur Ehe für alle aufgegeben. Endlich. Es ist ein großer Schritt für die Gleichstellung von Lesben, Schwulen und Transgendern. Jetzt darf es ruhig gleich weitergehen, mit einem Paradigmenwechsel in der Familienpolitik insgesamt: weniger Normen, mehr normal.
Das politische Beharrungsvermögen der Vater-Mutter-Kind-Ideologie ist erstaunlich. Noch jetzt, wo sie eigentlich beigegeben hat, pumpt Angela Merkel die Ehe für alle zu einer „Gewissensentscheidung“ der CDU-Bundestagsabgeordneten auf, als ginge es um Krieg und Frieden.
Dabei hat sich bei kaum einem anderen Thema die Einstellung der Menschen so rasant verändert wie bei der Frage, ob homosexuelle Paare heiraten können sollten. Seit dem Jahr 2000 fragt das Institut für Demoskopie Allensbach regelmäßig auch danach, wie gleichgeschlechtliche Partnerschaften rechtlich behandelt werden sollten. Im Jahr 2000 waren nur 24 Prozent der Deutschen für eine Gleichstellung, zuletzt war rund die Hälfte dafür. Eine Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes ergab Ende 2016 sogar, dass 82 Prozent der Befragten dafür oder eher dafür seien, die Ehe allen zu ermöglichen. Die Allensbacher Demoskopen kommen übrigens auch zu dem Schluss, dass die Frage, wer wen heiraten darf, den Menschen ziemlich wumpe ist. Die Wähler sorgen sich um die Flüchtlingspolitik, sie fürchten den Terror und um ihre Rente. Die Zeiten, in denen man hinter Rüschengardinen lauerte und sich beim Vermieter beschwerte, wenn der alleinstehende Nachbar wieder Herrenbesuch über Nacht hatte, sind einigermaßen vorbei.
Aber nicht nur die Einstellung zur Ehe für alle hat sich verändert, auch die soziale Realität der Familie insgesamt. Der Anteil der nicht verheirateten Paare wächst. Laut Mikrozensus waren es 2015 2,8 Millionen Paare, eine Million mehr als 1996. Das Statistische Bundesamt zählte außerdem 2,7 Millionen Alleinerziehende.
Es war überfällig
Doch auch hier hinkt der rechtliche Rahmen hinterher. Noch immer wird die Mann-Frau-Ehe steuerlich begünstigt, egal ob Kinder im Haushalt leben. Aber auch das wird voraussichtlich nicht mehr lange halten. SPD, Grüne und Linke haben sich verschiedene steuerliche Tarifmodelle in die Programme geschrieben, um Familien mit Kindern unabhängig vom rechtlichen Status und vom Geschlecht der Eltern zu fördern, und selbst Horst Seehofer hat eine Art „Kindersplitting“ ins Spiel gebracht.
Die Ehe für alle könnte den Paradigmenwechsel in der Familienpolitik beschleunigen. Das ist richtig, denn es ist ein sehr sensibles Feld. Der Staat maßt sich an zu entscheiden, welche Lebensmodelle wünschenswert sind und welche nicht, er fördert Modelle, die ihm passen, steuerlich und mit Sozialleistungen. Das ist nicht grundsätzlich falsch, doch die Gründe müssen sehr gute sein. Die Privilegien für Mann-Frau-Ehepaare allerdings sind ideologisch begründet. Die Politik versucht, damit ein Familienbild als Norm zu erhalten, das einmal religiös begründet war und in dem der Mann über der Frau stand.
Ein besserer Leitsatz für familienpolitische Förderprogramme ist die Frage, ob die Gesellschaft von den geförderten Familienmodellen insgesamt profitiert. Wenn Menschen sich lieben, zusammen- leben, Aufgaben teilen, füreinander da sind, Kinder großziehen, ist das gut für das große Ganze. Familien und Paare sind sozialer Klebstoff – und praktisch für den Staat. Sie entlasten die Sozialsysteme, ganz unabhängig von ihrem rechtlichen Status und der Gender-Frage.
Es war überfällig, dass die Kanzlerin von ihrem Nein zur Ehe für alle abgerückt ist. Jetzt gleich durch den Bundestag damit! Und dann weiter. Es ist Zeit für eine Familienpolitik, die sich nicht mehr an Normen, sondern an der Normalität orientiert.