Wahl in Thüringen: Nah an der Macht - der Linke Bodo Ramelow
Thüringen wählt - der Linke-Politiker Bodo Ramelow fordert CDU-Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht heraus und hat gute Chancen, Regierungschef zu werden. Woran kann er noch scheitern?
Es ist die Landtagswahl des Jahres. Erstmals in Deutschland könnte nach der Wahl an diesem Sonntag in Thüringen ein Politiker der Linkspartei Ministerpräsident werden: der im Westen geborene Bodo Ramelow, der aber seit mehr als 20 Jahren in Thüringen daheim ist. Das Interesse der Wähler ist hoch - verglichen etwa mit Sachsen, wo am vorletzten Sonntag nicht einmal jeder Zweite zur Abstimmung ging, und Brandenburg, wo ebenfalls an diesem Sonntag gewählt wird. Nur ein Indiz dafür ist das hohe Briefwahlinteresse - von mehr als zehn Prozent der Wahlberechtigten wurden bereits die Anträge gestellt, während es vor fünf Jahren nur 7,8 Prozent waren. Auch die Wahlkundgebungen aller Parteien sind gut besucht. Der Ausgang bleibt bis zuletzt sehr spannend: Die Chancen für Ramelow stünden "fifty-fifty", schätzt die Linken-Spitze.
Erst kurz vor dem Sonntag entwickelt sich quasi ein Lagerwahlkampf zwischen dem im weitesten Sinne bürgerlichen Lager von CDU und AfD auf der einen und Linkspartei, SPD und Grünen auf der anderen Seite. Der Vorsprung der Linken gegenüber den Sozialdemokraten in den Umfragen ist deutlich. Die SPD mit ihrer Spitzenkandidatin Heike Taubert hat sich nicht auf eine Koalition festgelegt. Denkbar ist damit sowohl die Fortführung des schwarz-roten Bündnisses unter Führung von Christine Lieberknecht (CDU), die 2009 als Nachfolgerin von Dieter Althaus ins Amt kam, als auch eine rot-rote Koalition, an der eventuell auch die Grünen beteiligt werden. Die Linke würde für Ramelow die Position des Regierungschefs beanspruchen. Nachdem sich Bundes-SPD im November 2013 auf ihrem Parteitag in Leipzig prinzipiell offen erklärte für Koalitionen mit der Linken, sind die Genossen auf Landesebene sogar grundsätzlich bereit, auch als Juniorpartner in eine von der Linkspartei geführte Regierung zu gehen.
Mit dem Wiedereinzug der FDP rechnet keiner. Dagegen wird die AfD, die in Sachsen 9,7 Prozent der Stimmen bekam, aller Voraussicht nach mit einem ähnlich guten Ergebnis ins Erfurter Landesparlament einziehen. Nach der jüngsten Erhebung der Forschungsgruppe Wahlen steht es 44:42 für Schwarz-Blau gegen Rot-Rot. 40 Prozent der Wähler sind wenige Tage vor der Wahl noch unentschieden. Es kommt also am Sonntag besonders auf die Grünen an, die in der Umfrage auf 5,5 Prozent taxiert wurden. Scheitern sie an der Fünfprozenthürde, wird ein rot-rotes Bündnis möglicherweise schon rechnerisch unmöglich. In diesem Fall liefe es wohl auf die Fortsetzung der CDU/SPD-Regierung hinaus. Ein Regierungsbündnis mit der AfD hat Lieberknecht unmissverständlich ausgeschlossen.
Wie taktiert die CDU?
Es ist eine Mischung aus einem Rollenspiel und einem innerparteilichem Machtkampf. Hier die seriös wirkende Ministerpräsidentin, die auch bei der SPD beliebt und selbst mit ihrem Linke-Herausforderer Ramelow "per Du" ist. Auseinandersetzungen in der Sache sind für sie selbstverständlich, sagt Lieberknecht. Doch von einem Wahlkampf im Rote-Socken-Stil, wie ihn vor 20 Jahren der damalige CDU-Generalsekretär Peter Hintze wegen der PDS-tolerierten rot-grünen Landesregierung in Sachsen-Anhalt ("Magdeburger Modell") erfolgreich führte, hält die landesmütterlich wirkende Lieberknecht nichts.
Ganz anders Mike Mohring, CDU-Fraktionschef im Erfurter Landtag und interessiert daran, Lieberknecht so rasch wie möglich zu beerben. Immer wieder zündeln, um sich dann wieder als Bekämpfer eines Flächenbrandes zu betätigen, ist sein Prinzip. Die Strippen im Hintergrund zieht als sein Sprecher der frühere "Bild"-Journalist Dirk Michael Herrmann. Das läuft dann so ab, dass Lieberknecht sich früh und sehr klar gegen die AfD abgrenzt ("Ich sehe keine Basis für eine Koalition oder sonstige Zusammenarbeit mit der AfD"). Und Mohring noch am Abend der Sachsen-Wahl darauf hinweist, dass die Union nun auch die AfD als Option für eine Regierungsbildung habe.
Auf die Spitze treibt es Mohring, als er sich eine Woche vor der Wahl von der "Bild am Sonntag" zum Doppelinterview mit der sächsischen AfD-Siegerin Frauke Petry verpflichten lässt. Es wird geführt in einem Hotelzimmer in Leipzig. Eine Doppelseite widmete das Boulevardblatt den beiden Protagonisten. Sich fürs Fotoshooting gemeinsam mit Petry ins Hotelbett zu legen, wie es die "BamS"-Fotografen eigentlich wollen, versagt sich der CDU-Politiker.
Beim Umgang mit der Linkspartei und den Warnungen vor Rot-Rot-Grün schaltet Mohring voll auf Angriff. Er verweist seine Parteifreundin Lieberknecht, nominell Spitzenkandidatin, in der öffentlichen Wahrnehmung ins Abseits. Den Linke-Wahlkampf nennt er eine "One-Man-Show", bei dem im Vordergrund nur Ramelow stehe, "den viele Beobachter für sozialdemokratischer als Sozialdemokraten halten". Doch eine Regierung unter den Linken wäre eine Katastrophe, sagt er. Aus Sicht des CDU-Fraktionschefs stehen hinter Ramelow "Linksextremisten", "Steinewerfer und Schotterer", "alte SED-Kader und Stasi-Spitzel".
Die CDU-Parteizentrale hat in ihrer Kampagne auf solche Töne weitgehend verzichtet - sieht man ab von einem Werbespot, der sich des Themas satirisch annimmt und etwa prophezeit, nach einem rot-rot-grünen Wahlsieg werde Nordkorea ein Generalkonsulat in Erfurt eröffnen. Der pointierte Mohring-Stil könnte für den aber noch von Vorteil sein. Kommt nach dem 14. September ein Linksbündnis an die Macht, ist Lieberknecht weg vom Fenster und Mohring der erste Anwärter auf die Spitzenkandidatur 2019. Sollten CDU und AfD stärker abschneiden als die anderen in den Landtag einziehenden Parteien, wird das wohl der Taktik von Mohring zugerechnet werden.
Wird die SPD-Basis Rot-Rot-Grün verhindern?
Die Bundes-SPD hat sich lange desinteressiert gezeigt an Thüringen. Anders als 1998, als der damalige SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine und PDS-Spitzenmann Gregor Gysi das erste rot-rote Regierungsbündnis in Mecklenburg-Vorpommern einfädelten, gibt es an die Thüringer SPD keine Ratschläge aus der Hauptstadt. Wohl aber grünes Licht: Erst sagt Generalsekretärin Yasmin Fahimi, es werde "kein Veto" gegen die Entscheidung der Thüringer geben. Wenige Tage vor der Wahl gibt auch Parteichef Sigmar Gabriel indirekt sein Plazet für die Wahl eines Linke-Ministerpräsidenten: "Die Bundespartei, die SPD, hat seit jeher (...) die Position, dass die Landesverbände selbst über ihren Weg entscheiden", sagt er im RBB.
Die Thüringer SPD plant einen Mitgliederentscheid zum künftigen Koalitionspartner. Dieser soll stattfinden nach den Sondierungen, aber noch vor der Aufnahme von Verhandlungen über einen Koalitionsvertrag. Iris Gleicke, Ost-Beauftragte der Bundesregierung und stellvertretende Vorsitzende der Thüringen-SPD, will, dass ihren rund 4500 Genossen im Land die Entscheidung etwas leichter gemacht wird: "Selbstverständlich sollte es nicht nur eine Bewertung der Sondierungsgepräche, sondern auch eine Empfehlung des Landesvorstandes geben", sagt sie. Gleicke gehört zu denen, die prinzipiell bereit sind für eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei. Im Januar hat sie im Tagesspiegel-Interview erklärt: "Ich habe nie zu denen gehört, die gesagt haben: Spielt nicht mit den Schmuddelkindern. Die SPD braucht eine Alternative, sonst bleibt sie in der babylonischen Gefangenschaft der CDU."
Es gibt in der SPD Widerstände gegen einen Regierungswechsel mit einem Linken-Regierungschef an der Spitze - vorgetragen in erster Linie von früheren Funktionären. Die ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Gunter Weißgerber und Stephan Hilsberg - beide waren schon an der in der SDP der DDR - sammeln Unterschriften für einen Appell, in dem es heißt, einen linken Ministerpräsidenten zu wählen, wäre für die Sozialdemokraten "Selbstaufgabe in Vollendung". Die Linkspartei wolle das System überwinden. Und: "Koalitionen sind keine Therapieveranstaltungen für schwer Erziehbare!" Mehr als 200 SPD-Mitglieder haben unterschrieben. Aber auch einige Ex-Genossen wie der ehemalige nordrhein-westfälische Ministerpräsident Wolfgang Clement. "Vorwärts in die Vergangenheit, das kann nicht das Ziel der ältesten demokratischen Partei Deutschlands sein!", meint auch er.
Spitzenkandidatin Taubert ist nach eigenen Angaben noch nicht festgelegt, vor fünf Jahren war sie für Schwarz-Rot. Beobachter vermuten, dass die SPD dann zögert, wenn eine Mehrheit für eine Ramelow-Regierung sehr knapp wäre. In welche Richtung die Debatte läuft, machen kurz vor der Wahl die beiden wichtigen SPD-Oberbürgermeister von Jena und Erfurt, Albrecht Schröter und Andreas Bausewein, klar. Schröter wirft der CDU eine "ausgeprägte Arroganz der Macht" vor und sagt, ihm sei "natürlich eine Regierung lieber, die ein bisschen frischen Wind bringt". Bausewein spricht davon, dass das Verhältnis zur der SPD zur Linkspartei seit 2009 "unverkrampfter" geworden sei. Innerhalb der SPD seien selbst viele Gegner einer Koalition mit den Linken "etwas desillusioniert, was die CDU angeht". Die "Zeit" analysiert: "In einer Auseinandersetzung, die sich um Linke und CDU dreht, verschwindet die SPD."
Machen die Grünen mit?
Die Grünen sind skeptisch, ob sie der neuen Offenheit der SPD für ein Bündnis mit der Linkspartei Glauben schenken dürfen. Und in der Linkspartei sind längst nicht alle sicher, ob die Grünen mit vollem Herzen bei einem Linksbündnis in Erfurt mitmachen würden. Nicht vergessen ist der Grünen-Fraktionschefin Anja Siegesmund, dass sie sich zum Jahresanfang mit ihrem CDU-Amtskollegen Mohring für ein "Zeit"-Interview an einen Tisch setzte und fröhlich über eine schwarz-grüne Option plauderte. "Relevante Stimmen" innerhalb der thüringischen Grünen seien nach wie vor für Schwarz-Grün, meint die thüringische Linken-Bundestagsabgeordneten Martina Renner.
Deutlich gemacht haben die Grünen, dass sie nicht für die Beteiligung an einer Koalition zur Verfügung stehen, wenn sie rechnerisch nicht gebraucht werden. Ramelow dagegen hätte die Grünen gern in jedem Fall dabei.
In jedem Fall hängt vom Abschneiden der Grünen am Sonntag viel ab. Es wird knapp für die Ökopartei, 40 Prozent sind kurz vor der Wahl noch unentschieden. Nur wenn Spitzenkandidatin Siegesmund mit den Bündnisgrünen wieder in den Landtag einzieht, ist - so die jüngsten Umfragen - ein Regierungswechsel in Erfurt denkbar. Siegesmund betont nun: Nur r2g - wie Rot-Rot-Grün abgekürzt wird - könne verhindern, dass CDU und AfD eine Mehrheit im Landtag bekommen. Und fast ist die Linkspartei versucht, in letzter Minute eine Leihstimmenkampagne zu Gunsten des vom Abstieg bedrohten potenziellen Partners zu starten. Von einer offenbar notwendigen "Vitaminspritze" für die Grünen ist in der Linken-Parteizentrale die Rede. Die thüringische Linken-Landtagsabgeordnete Katharina König lässt sich so zitieren: "Ich würde mich freuen, wenn die Grünen wieder im Landtag vertreten sind. Aber ich mache keine Werbung für die Grünen. Ich mache Werbung für die Linke."
Steht sich Ramelow zuweilen selbst im Weg?
Wie gut Linke-Spitzenkandidat Ramelow agiert, schien für die eigenen Genossen vor dem Wahlkampf nicht ausgemacht. Ihr Spitzenkandidat ist als aufbrausend und zuweilen cholerisch bekannt. Viele in der Bundespartei haben das noch gut in Erinnerung aus der Zeit, als er vor Jahren die Fusionsverhandlungen zwischen PDS und WASG steuerte. Dass er in den Wahlkampfmonaten seit Mai sehr erfolgreich in die Rolle des Quasi-Staatsmanns schlüpfte, überrascht selbst die eigenen Anhänger. "Das größte Risiko für Ramelow ist Ramelow", lautete unter Genossen ein geflügeltes Wort. Auch Linksfraktionschef Gregor Gysi berichtet in kleinem Kreis von vielen Stärken seines Genossen, weist hin auf dessen Elefantengedächtnis und Interesse, sich in Details hineinzuarbeiten. Aber eben auch von "einer Schwäche". Wobei es Gysi in diesem Punkt bei einer Andeutung belässt. Doch in der Partei weiß jeder Bescheid.
Nur einmal im Wahlkampf fällt Ramelow in alte Verhaltensmuster zurück - als ihn seine Heimatzeitung "Thüringer Allgemeine" in Verbindung mit der Szene der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) im hessischen Marburg bringt, bezichtigte den bekennenden Legastheniker einer Leseschwäche. Der Bericht enthält falsche Fakten, aber auch die Reaktion Ramelows spricht für sich. Er schreibt einen wütenden Brief an die Chefredaktion, kritisiert, ihm solle "eine neue Biographie verpasst" werden. "Ich war nie Mitglied der DKP", versichert der Linke-Politiker, verzettelt sich bei seiner Replik in unwichtigen Details. Er geht auch juristisch gegen das Blatt vor. Die eigenen Genossen nehmen ihren Spitzenmann in dieser Auseinandersetzung in Schutz. "Peinlich" sei der Versuch gewesen, Ramelow in der heißen Wahlkampfphase in Misskredit zu bringen, heißt es aus der Landtagsfraktion.
Mit einem Schattenkabinett hat Ramelow im Wahlkampf nicht zu punkten versucht. Zu seinen Ministern schweigt er eisern - klar ist lediglich, dass die beiden stasibelasteten Abgeordneten der Landtagsfraktion, Ina Leukefeld und Frank Kuschel nicht ins Kabinett sollen, wie er auch SPD-Frau Taubert und der Grünen Siegesmund in einer vertraulichen Unterredung versichert hat. Ramelow will den möglichen künftigen Partnern die Angst nehmen, die Linke setze sich nicht hinreichend mit ihrer DDR-Vergangenheit auseinander. Er bekräftigt: "Ein Linken-Ministerpräsident wird keine Personen vorschlagen, die direkt oder indirekt mit dem Sicherheitsapparat der DDR verbunden waren." Als möglicher Staatskanzlei-Chef in Erfurt gehandelt wird Benjamin Hoff, früher Staatssekretär der rot-roten Regierung in Berlin und einer der führenden Strategen im Reformerlager der Linkspartei. Ramelow sagt, er habe zu dem "Chefberater" der Landespartei ein "vertrauensvolles Verhältnis".
Die Linke lobt Ramelow in höchsten Tönen. "Schon krass, dass er er den Wahlkampfeinsatz seit Mai ohne jeden Durchhänger bestanden hat", sagt die Landtagsabgeordnete König. Ministerpräsidentin Lieberknecht gibt zu, dass sie das Auftreten des Als-ob-Regierungschefs Ramelow schon mal in gewisse Schwierigkeiten gebracht hat. Zu einem Doppelinterview mit Ramelow für den Regionalsender "Salve TV" im August wollte sie zunächst in sommerlicher Kleidung kommen. Sie entscheidet sich dann kurzfristig doch für einen schwarzen Blazer - in Erwartung eines elegant gekleideten Linke-Manns.
Matthias Meisner