Ramelow oder Lieberknecht für Thüringen?: Die Ministerpräsidenten-Macher von der SPD
Heike Taubert ist gelernte "Schwachstromerin". Sie führt die SPD im Thüringer Wahlkampf. Wird ihre Partei dem ersten linken Ministerpräsidenten in Deutschlands ins Amt verhelfen?
Heike Taubert versucht, tapfer zu bleiben. Obwohl ihre Lage und vor allem die der SPD in Thüringen nicht gerade komfortabel ist. Knapp zwei Wochen vor der Wahl herrscht Ernüchterung. Der lau geführte SPD-Wahlkampf kommt nicht in Schwung, die Partei hängt unter der 20-Prozent-Marke fest. Und Taubert, Sozialministerin in Erfurt und Spitzenkandidatin ihrer Partei, steht vor der Situation, dass die SPD zwar mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch an der nächsten Landesregierung beteiligt sein wird. Andererseits aber ihre Chancen, selbst Regierungschefin zu werden, außerordentlich gering sind.
Taubert sitzt im Auto, diesmal von Erfurt nach Bad Frankenhausen. "Besser Heike grillt", lautet das etwas merkwürdige Motto von gut einem Dutzend Wahlkampfveranstaltungen. "Grillen ist jetzt das Medium, um mit den Leuten ins Gespräch zu kommen", erläutert sie. Ein Kochbüchlein hat sie für die Kampagne fertigen lassen, unter anderem mit "Huhn auf Bierdose nach Taubert-Art".
Die Thüringen-SPD gibt sich Mühe, originell zu wirken, weshalb auch nicht nur die klassischen Thüringer Würste gegrillt werden, sondern zum Beispiel auch Tomaten mit Kräuterquark. Bei sich daheim hat Taubert eine Chili-Soße "mit höchster Schärfe" angerührt. An die Besucher werden Tütchen mit Radieschen-Samen ("Außen rot und innen knackig") verteilt. Am Schluss gibt es für alle Besucher eine Grillzange und die Mahnung der Spitzenkandidatin: "Nichts anbrennen lassen, SPD wählen."
Frau Taubert, wie gehen sie damit um, praktisch ohne Chance auf das Ministerpräsidentenamt zu sein? Die sympathische, wenn auch etwas hausbackene Mittfünfzigerin schmunzelt. Auch auf diesem Umweg will sie sich keine Antwort auf die in diesem Wahlkampf zentrale Frage entlocken lassen: Die Thüringer SPD ringt mit sich, ob sie dem ersten Ministerpräsidenten der Linkspartei ins Amt verhelfen soll. Bodo Ramelow heißt er und seine Chancen sind bei seinem dritten Anlauf so gut wie nie. Oder ob die SPD weiter als Juniorpartner mit der CDU regieren soll und die amtierende Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht im Amt bleibt.
"Wir kämpfen bis zum Schluss", versichert Taubert. "Mit allen Fasern meines Herzens streite ich für die SPD." Aber dann erläutert sie doch das Für und Wider zur Alternative, die voraussichtlich am 14. September um 18 Uhr, steht: Ramelow, ja oder nein?
"Nichts ist entschieden", betont Taubert. Sie erläutert, die Zusammenarbeit mit der CDU sei zuletzt immer schlechter geworden, berichtet von allerlei Skandalen im schwarz-roten Bündnis. Andererseits hätten gerade "bürgerbewegte Menschen", die sich 1989 der SDP in der DDR angeschlossen hatten, "Vorbehalte gegen Rot-Rot". Dazu kämen "unterschiedliche kommunalpolitische Erfahrungen". Soll heißen: Wenn etwa in der Landeshauptstadt die Stimmung eher Rot-Rot sein mag, muss das im Eichsfeld noch lange nicht so sein.
Taubert hat in der DDR Radio- und Fernsehfilter gebaut. Sie nennt sich selbst "Schwachstromerin". Eigentlich ist sie - ähnlich wie Lieberknecht - eher Moderatorin denn selbst tonangebend. Erreicht hat sie, dass die SPD sich keine innerparteilichen Scharmützel mehr erlaubt, anders als noch vor fünf Jahren. Im Wahlkampf versucht Taubert - gegen ihre Natur - kämpferisch zu wirken. Sie kennzeichnet den Linken-Politiker Ramelow als "aufbrausend", "diktatorisch" und "selbstverliebt". Umgekehrt wirft sie Lieberknecht "durchsichtigen Populismus" vor, nennt die Ministerpräsidentin "führungsschwach" und sogar "gescheitert".
Taubert wird nicht das entscheidende Wort haben, wenn es um die künftige Regierung geht. Es soll eine Befragung unter den 4500 Mitgliedern im Land geben. Wenn das Ergebnis wie erwartet kommt, wird es Sondierungen sowohl mit der CDU als auch der Linkspartei geben. Anders als beim Mitgliedervotum nach der vergangenen Bundestagswahl, bei dem die SPD-Basis die große Koalition nur abnickte, soll die Befragung noch vor der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen stattfinden. Allerdings: Ganz freie Wahl hat die Basis dann wohl auch nicht mehr. Die Landespartei will nach der Wahl die Richtung vorgeben. Iris Gleicke, Vizevorsitzende der Landes-SPD, sagt: "Selbstverständlich sollte es nicht nur eine Bewertung der Sondierungsgepräche, sondern auch eine Empfehlung des Landesvorstandes geben."
Wird die Bundes-SPD den Genossen in Thüringen reinreden?
Und die Bundes-SPD? Wird sie den Genossen in Thüringen reinreden? Generalsekretärin Yasmin Fahimi verkündet, es werde "kein Veto" der Bundespartei geben, egal wie in Thüringen entschieden wird. "Der Drops ist gelutscht", erläutert ein einflussreicher Bundestagsabgeordneter aus Thüringen - aus dem Willy-Brandt-Haus in Berlin werde es keinen Widerstand geben. Und SPD-Bundesvize Ralf Stegner erklärt, die Wahl eines linken Ministerpräsidenten wäre "kein Tabubruch". Um allerdings gleich anzufügen, dass es nie Ziel der SPD sein könne, Juniorpartner in einer Regierung zu sein.
Im November 2013 hatte die Bundes-SPD auf ihrem Parteitag in Leipzig entschieden, prinzipiell offen zu sein für rot-rote und rot-rot-grüne Bündnisse. Bei dieser Gelegenheit verkündete der Landesvorsitzende Christoph Matschie, dass er sich nun auch eine Juniorpartnerschaft in einem rot-roten Bündnis vorstellen könne. Die SPD wirkte nach dem Ende der Abgrenzung wie befreit. Zuvor hatte sie sich stetig dafür rechtfertigen müssen, dass sie Rot-Rot nur mit einem eigenen Ministerpräsidenten akzeptieren wollte. Fast herrschte so etwas wie Aufbruchstimmung in der Landes-SPD, Taubert galt bei vielen in der Partei als Hoffnungsträgerin. Rot-Rot unter ihrer Führung - so malten sich die Genossen die schöne neue Thüringer Welt aus. Das Projekt Politikwechsel schien ein Selbstläufer zu werden.
So gut ist die Stimmung in der SPD nicht mehr. "Wir brauchen die Zuspitzung, stattdessen grillt Heike Taubert“, lästert ein SPD-Insider. "Es ist zu wenig Dampf im Kessel." Gar als "einigermaßen irre" beschreibt ein anderer Genosse, der mit der Situation in Thüringen vertraut ist, die Lage. "Was man auch tut, ist es verkehrt." Die einen hielten nach wie vor für "ausgeschlossen", dass die SPD als Juniorpartner der Linken mitregiert, die anderen wollten nicht länger "Steigbügelhalter von Frau Lieberknecht" sein. Für die SPD stehe nach dem 14. September, so der Mann weiter, "die Wahl zwischen Cholera und Pest".
Fragt man in der Partei herum, bekommt man den Befund zu hören, Befürworter und Gegner hielten sich in etwa die Waage. „Ich kann in der Tat keine Tendenz erkennen“, sagt Taubert. Gegner von Rot-Rot wagen sich aus der Deckung. So hat die scheidende SPD-Landtagsabgeordnete Sabine Doht einen Aufruf gegen einen von der SPD gestützten Linken-Ministerpräsidenten unterzeichnet. Sollte dieser Fall eintreten, will sie die SPD verlassen. Sie ist eine der wenigen, die sich öffentlich gegen Rot-Rot positionieren. Autoritäten wie der frühere Landeschef Gerd Schuchardt sagen zwar nichts - das aber vielsagend.
Eine Gegnerin ist auch Gabriele Reichstein. Die Stadt- und Kreisrätin in Gotha ist auch zu einem Grillabend gekommen. Während die Spitzenkandidatin die Bratwürste wendet, erklärt die von Journalisten befragte Lokalpolitikerin, dass sie wegen der einstigen Stasi-Spitzel bei der Linken gegen Rot-Rot sei. Zwei Abgeordnete im Landtag haben entsprechende Belastungen. Auch von Ramelow hält sie nichts. "Schaumschläger" nennt sie ihn, er könne sich nur gut verkaufen. Und überhaupt: So groß sei die inhaltliche Nähe von SPD und Linken nicht. Gerade bei älteren SPD-Genossen, die womöglich selbst Repressionen in der DDR erlebt haben, ist die kritische Distanz verbreitet.
Je jünger die Mitglieder sind, desto unbefangener gehen sie mit der Linken um. Zum Beispiel Peter Leisner, Juso-Chef in Gotha. Er will einen "strikten Politikwechsel" in Thüringen. In der Bildungspolitik oder beim Kampf gegen den Rechtsextremismus passen nach seiner Meinung Linke und SPD einfach besser zusammen. Die CDU, schimpft er, habe sich in den 24 Jahren ihrer Regierung "den Staat zum Untertan gemacht". Deshalb müsse sie in die Opposition. Auch ein funktionales Argumente ist zu hören: Wenn die Linke aus ihrer Daueropposition in Thüringen herauskomme und mitregiere, werde sie sich gleichsam entzaubern. Die Gegner halten dagegen: "Eine linken Ministerpräsidenten wählen zu wollen, ist Selbstaufgabe in Vollendung."
Auf der Funktionärsebene der SPD, so heißt es aus der Partei, habe eine Mehrheit nach fünf Jahren schwarz-roter Koalition genug von der CDU. An der Parteibasis aber herrscht offenbar ein Patt. Deshalb sei es richtig gewesen, sagt Taubert, nicht mit einer Koalitionsaussage in die Wahl zu ziehen. Sie selbst hat sich, so sagt sie, ebenfalls nicht festgelegt.