Deutschland erteilt Coronabonds Absage: Muss Europa Italien um jeden Preis retten?
In der Not sollte nicht allein das Herz entscheiden: EU-Hilfen für Italien dürfen nicht zu einem unkalkulierbaren Risiko für den Euro werden. Ein Kommentar.
Italienische Spitzenpolitiker bitten in einer Zeitungsanzeige die „lieben deutschen Freunde“ um finanziellen Beistand in Form von Coronabonds. Regierungschef Giuseppe Conte spricht im deutschen Fernsehen gleich nach der Tagesschau und beruhigt: Deutsche Steuerzahler müssten nicht für Italiens Schulden haften.
Führende Ökonomen fordern eine gemeinsame Krisenanleihe als Ausdruck europäischer Solidarität, denn es gehe um die Rettung von Menschenleben. Wem wird da nicht das Herz weich?
Doch in der Not darf das Herz nicht allein entscheiden. Gerade dann muss man die begrenzten Mittel, die in der Krise noch knapper werden, klug einsetzen und das Pro und Contra nüchtern abwägen. Stimmt das mit moralischer Wucht verbreitete Narrativ überhaupt?
Die Erzählung vom herzlosen, unsolidarischen Deutschland, das aus Angst um die eigenen Kassen den Europäern im Süden die Hilfe verweigert und die eigene Zukunft riskiert – denn wer soll dann noch die deutschen Produkte kaufen?
Auch der Norden Europas ist gegen Coronabonds
Gestritten wird doch gar nicht, ob die Partner in der Eurozone helfen sollen, sondern wie. Deutschland steht mit seinem Nein zu Coronabonds nicht allein. Der Norden der Eurozone lehnt sie geschlossen ab.
Denn das neue Zauberwort Coronabonds klingt so ähnlich wie die umstrittenen Eurobonds: gemeinsame Staatsanleihen. Die hat das Bundesverfassungsgericht verboten. In Karlsruhe versteht man den Charme der Idee: Weil die Südländer höher verschuldet sind, kommen sie schwerer an Kredite und müssen hohe Zinsen bezahlen. Bei gemeinsam aufgenommenen Schulden der Eurozone profitiert der Süden von der Bonität des Nordens.
Merkel bietet Hilfe über den Europäischen Stabilitätsmechanismus an
Die Kehrseite: Der Norden haftet mit für die gemeinsamen Kredite. Dazu sagt Karlsruhe Nein. Das Budgetrecht liegt bei den nationalen Parlamenten. Sie haben die politische Verantwortung für die nationalen Haushalte und deren langfristige Risiken. Eine Vergemeinschaftung der Haftung für Schulden in der Eurozone ist nicht zulässig, also auch keine Coronabonds, sofern es Eurobonds unter anderem Namen sind.
Kanzlerin Merkel bietet statt dessen Hilfe über den ESM an, den Europäischen Stabilitätsmechanismus. Mit diesem Instrument wurde die erste schwere Eurokrise überstanden. Italien ist von anderem Kaliber als Griechenland. Würde die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone zahlungsunfähig, stünde das Überleben des Euro in Frage. Muss man Italien also um jeden Preis retten, notfalls auch mit Eurobonds?
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Die Antwort ist nicht automatisch „Ja“. Die Frage „Hält der Euro das aus?“ stellt sich viel genereller. Hält der Euro die Coronakrise aus, wenn jetzt alle zugleich Schulden machen, um der Wirtschaft zu helfen? Hält der Euro es langfristig aus, wenn man die Vorgaben der Verfassungsrichter ignorieren wollte und der letzte Rest an Budgetdisziplin verloren ginge, weil alle für die Überschuldung Einzelner mithaften?
Wer bedient die Schulden, wenn Salvini an die Macht kommt?
Und selbst wenn es nur um eine einmalige Gemeinschaftsanleihe von 1000 Milliarden ginge: Die muss über Jahrzehnte bedient werden. Wäre das eine tragfähige Lösung, wenn man das Risiko bedenkt, dass in absehbarer Zeit ein Matteo Salvini in Rom und eine Marine Le Pen in Paris regieren könnte, die sich um ihre Mitverantwortung in der Eurozone wenig scheren?
Auch hier gilt: Die Therapie darf für den Patienten nicht gefährlicher sein als die Krankheit. Italien muss geholfen werden. Aber mit Mitteln, die die Risiken für den Euro nicht unkalkulierbar machen.