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Ein Mann mit einer Atemschutzmaske und Einmalhandschuhen am Maschsee in Hannover.
© Julian Stratenschulte / dpa

Rettungspakete in Deutschland, Europa, USA: Angst vor der Krankheit, Angst vor der Therapie

Phasenwechsel im Umgang mit Corona: Erst hatte die Eindämmung des Virus Priorität, nun kommt der Kampf gegen die Rezession hinzu. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Auf einmal marschieren sie im gleichen Tritt. Die USA verabschieden das größte Rettungspaket ihrer Geschichte. Der Bundestag beschließt Milliardenhilfen und lockert die Schuldenbremse. Die Regierungschefs der EU-Staaten beraten am Donnerstag per Videokonferenz, wann und wie sie die Wirtschaft wieder in Gang bekommen. China versucht bereits, die Produktion in der Provinz um Wuhan wieder hochzufahren; dort, wo die Pandemie begonnen hatte.

Humanität contra Wirtschaftsinteressen? Stimmt nicht

Diese Tage markieren den Übergang von Phase 1 zu Phase 2 im Kampf gegen das Coronavirus und seine Folgen. Seit Wochen hatten sich die Verantwortlichen von einer Priorität leiten lassen: eine exponentielle Ansteckung zu verhindern, fast um jeden Preis.

Wenn zu viele Menschen zugleich erkranken, würde die Gesundheitsversorgung kollabieren. Dann müssten, siehe Italien und Spanien, viele sterben, weil Intensivbetten und Beatmungsgeräte nicht ausreichen. Die Konsequenz daraus war die Kontaktsperre.

Nun, in Phase 2, greift die Angst vor den ökonomischen Folgen der Therapie um sich. Richtet die Heilung am Ende mehr Schaden an als die Krankheit? Die neue Sorge ist begründet und darf die alte dennoch nicht verdrängen. Die Regierungen haben nun zwei Prioritäten, die sie ausbalancieren müssen.

Es ist wenig hilfreich, wenn manche die beiden berechtigten Ziele – Schutz vor Ansteckung, Schutz der ökonomischen Lebensgrundlagen – gegeneinander ausspielen und so tun, als ginge es um einen unmoralischen Konflikt zwischen Humanität und ökonomischen Interessen.

Wenn die Wirtschaft wegbricht und damit auch die Staatseinnahmen, wird bald das Geld fehlen, um das Gesundheitssystem krisengerecht auszubauen, damit es nicht überwältigt wird, mit vielfacher Todesfolge.

Und wovon sollen Familien leben, wenn sie über viele Monate kein Arbeitseinkommen mehr haben, aber auch die Direkthilfen vom Staat irgendwann nicht mehr fließen? Die öffentliche Hand kann vorübergehend deutlich mehr Geld ausgeben als sie einnimmt, nicht aber auf Dauer.

Manche Politiker rufen deshalb schon jetzt nach einer Phase 3, in der die Kontaktsperre gelockert wird, damit die Wirtschaft nicht zusammenbricht. Der ökonomische Stillstand sei nicht lange durchzuhalten, warnt Düsseldorfs OB Thomas Geisel (SPD). Der Vizechef der Unionsfraktion im Bundestag, Carsten Linnemann, fordert ein Ende des Shutdown nach Ostern. Ähnlich argumentieren Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und der FDP-Haushaltsexperte Otto Fricke.

Aus Fehlern und Erfolgen der Anderen lernen

Das kann man diskutieren. Für Festlegungen ist es jedoch zu früh. Derzeit ist noch nicht einmal klar, inwieweit die Kontaktsperre ihre Ziele erreicht hat. Die Regierung muss alle Risiken täglich neu gegeneinander abwägen, die Gefahren durch die Krankheit wie die Gefahren durch die Therapie.

Wir Bürger müssen lernen, mit weit mehr Ungewissheiten zu leben als vor der Krise. Und darauf zu vertrauen, dass unsere gewählten Vertreter verantwortlich entscheiden.

Die Zukunft, selbst die nächste Woche, ist nicht planbar. Jeder Tag bringt aber neue Erkenntnisse über Erfolge und Fehler im Kampf gegen das Virus wie im Kampf gegen die Rezession, bei uns und bei anderen.

Chinas Bemühen, die Ausgangssperre in und um Wuhan zu lockern, ist solch ein Experiment im realen Leben. Es war schon immer klüger und preiswerter aus den Erfahrungen anderer zu lernen, als die Fehler selbst zu machen.

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