Libyen: Mit neuen Waffen gegen das Chaos
Die Staatengemeinschaft will Libyens Regierung mit militärischer Ausrüstung helfen. Damit sollen der Vormarsch des IS gestoppt und Schlepperbanden bekämpft werden.
Noch ist nichts endgültig entschieden. Die Mitglieder des Weltsicherheitsrats der Vereinten Nationen haben das letzte Wort. Doch viel spricht dafür, dass das vor fünf Jahren gegen Libyen verhängte Waffenembargo gelockert wird. Das heißt, bei einem entsprechenden Votum könnte militärische Ausrüstung an die neue, von den UN vermittelte Regierung der nationalen Einheit geliefert werden. Damit will die internationale Gemeinschaft die politische Führung um Ministerpräsident Fayez al Sarradsch in die Lage versetzen, eine loyale Armee und eine Präsidentengarde aufzubauen.
Darauf haben sich die Außenminister von 21 Staaten jetzt in Wien verständigt. Nach dem Treffen, an dem auch Libyens Nachbarländer, die UN-Vetomächte und regionale Kräfte wie Saudi-Arabien und die Türkei teilnahmen, hieß es: Man wolle mit der Einheitsregierung zusammenarbeiten, um Bedrohungen wie den „Islamischen Staat“ und kriminelle Gruppen wie Schleuserbanden zu bekämpfen. Und dadurch, wenn irgend möglich, Libyen etwas Stabilität und der Regierung Legitimität zu verschaffen.
Seit dem von der Nato herbeigeführten Sturz von Diktator Muammar al Gaddafi 2011 herrscht in dem nordafrikanischen Land Chaos und Anarchie. Viele Milizen bekämpfen sich, es gibt mehrere konkurrierende Regierungen und Fraktionen, die eine zentrale Führung nicht anerkennen. Die fehlenden staatlichen Strukturen und das daraus resultierende Machtvakuum nutzt vor allem die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS), um in Libyen mehr und mehr Fuß zu fassen.
Ideales Aufmarschgebiet für Dschihadisten
In den vergangenen Monaten hat sich Schätzungen zufolge die Zahl der „Gotteskrieger“ auf 6000 verdoppelt. Die Dschihadisten kontrollieren mittlerweile einen etwa 300 Kilometer langen Küstenstreifen um die Stadt Sirte herum. Vor Kurzem gelang es dem IS, nach Westen vorzurücken. Auch in den Süden Richtung Niger und Tschad sollen die Kämpfer vorgestoßen sein. UN-Vermittler Martin Kobler warnt schon seit Langem davor, dass sich der „Islamische Staat“ wie ein Krebsgeschwür immer weiter ausbreite.
Das kommt nicht von ungefähr. In den Stammgebieten Irak und Syrien hat der IS in jüngster Zeit Einfluss und Territorium eingebüßt. Libyen dagegen bietet den Islamisten ein ideales Aufmarschgebiet. Die verschiedenen heimischen Milizen empfinden die bärtigen Fanatiker zwar als Eindringlinge und liefern sich immer wieder Gefechte mit ihnen. Aber es fehlt eine zentrale Instanz, die dem Vormarsch etwas entgegensetzen kann.
Genau diese Aufgabe soll nun die Regierung unter Premier Sarradsch übernehmen. Doch davon ist sie weit entfernt. Bisher amtiert das Kabinett von einem bewachten Marinestützpunkt aus und versucht, sich mühsam Autorität zu verschaffen. Einerseits haben sich die Chefs der Zentralbank, der nationalen Ölverwaltung und der Investitionsbehörde zur Kooperation bereit erklärt. Auch einige kleine Ministerien sind unter Kontrolle von Sarradschs Mitstreitern.
Andererseits denkt die bisherige Regierung im ostlibyschen Tobruk und die islamistische Führung in Tripolis nicht daran, der neuen Zentrale Gefolgschaft zu leisten. Auch den mächtigen General Khalifa Haftar, der einen Teil der verbliebenen Streitkräfte befehligt, kümmert die Einheitsregierung herzlich wenig. Er will mehr politischen Einfluss für sich selbst.
Kein Strom, keine Jobs
Unter der Zerrissenheit des Landes leiden vor allem die Menschen. Es mangelt an Strom, Lebensmitteln und einer funktionierenden Gesundheitsversorgung. Die Wirtschaft ist längst kollabiert, die Arbeitslosigkeit extrem hoch. Viele Libyer setzen deshalb darauf, mit dem Menschenschmuggel Geld zu verdienen. Laut Schätzungen von Experten warten hunderttausende Flüchtlinge auf eine Fahrt übers Mittelmeer nach Europa. Und es könnten noch mehr werden. Denn die Balkanroute ist faktisch zu. Skrupellose Schleuserbanden in Libyen nutzen das, um mit dem Leid und der Hoffnung der Menschen ihr Geschäft zu machen. Die nun in Aussicht gestellten Waffenlieferungen sollen auch dazu dienen, den Banden das Handwerk zu legen. Der Aufbau einer Küstenwache ist geplant.
Doch der effektive Schutz der Grenzen und der Aufbau einer nationalen Armee liegen in sehr weiter Ferne, wenn es überhaupt gelingt. Weder dem „Islamischen Staat“ noch den Schleppern wird Libyen in den kommenden Wochen und Monaten Paroli bieten können. Fehlende Waffen sind ohnehin nicht das Problem. Das Land ist vielmehr mit Waffen geradezu überschwemmt, die Arsenale der Milizen sind prall gefüllt. Es fehlt auch nicht an Stimmen, die warnen: Nach der Aufhebung des Embargos könnten gelieferte Waffen in die falschen Hände geraten. Von denen gibt es in Libyen sehr viele.