Flüchtlingspolitik: Mauert Europa sich ein?
Die „Festung Europa“ errichtet vielerorts neue Sicherungsanlagen und will sich sogar außerhalb ihrer geografischen Grenzen abschotten. Doch nicht nur der Stacheldraht ist schwer zu überwinden, sondern auch die mentalen Mauern.
Seltsam genug ist es schon, aber der Fall der Berliner Mauer war für Europa nicht der Beginn grenzenloser Freiheit, sondern Ausgangspunkt für ein Zeitalter der Zäune. Seit dem Ende der Systemkonfrontation wuchs die Zahl der Flüchtlinge und damit wuchsen auch die Mauern an den Außengrenzen der EU, sie wurden mehr und höher – und Europa grenzt sich mittlerweile gerne auch außerhalb seiner geografischen Grenzen ab.
Die spanischen Exklaven Melilla und Ceuta gleichen schon Festungsanlagen. Zynisch „Willkommenszentren“ genannte Einrichtungen im Norden Afrikas könnten künftig Flüchtlinge abweisen, noch bevor sie Europa erreicht haben. Eine besondere Rolle kommt der Türkei zu, die in ihrem europäischen Teil sowohl zu Griechenland als auch zu Bulgarien über gut befestigte Grenzen verfügt – und nun eine gewaltige Mauer zu Syrien plant, 911 Kilometer lang und für ganz Europa von Bedeutung, kommen doch viele Flüchtlinge aus Syrien und den Krisenstaaten Irak und Afghanistan. Vor 1990 galt die Grenze zwischen Bulgarien und der Türkei als eine der gefährlichsten, seither hat sich die Richtung geändert. Menschen aus dem Ostblock wollten früher illegal in Richtung Istanbul rübermachen. Heute ist Bulgarien „der Westen“, der sich vor illegalen Einwanderern schützt.
Die Kosten der Abschottung
Das Datenprojekt „Migrant Files“ hat versucht, die Kosten dieser Abschottung zu schätzen. 11,3 Milliarden Euro hätten EU-Staaten demnach von 2000 bis 2014 für Abschiebungen ausgegeben, 1,6 Milliarden für Grenzschutztechnik. Eine andere Zahl illustriert die Festung Europa aber noch besser: Das Budget der Grenzschutzagentur Frontex stieg in den vergangenen zehn Jahren um das Sechzehnfache, 2015 wird es vermutlich 114 Millionen Euro betragen. Die größten Herausforderungen bleiben für Europas Grenzschützer Flüchtlinge, die über die Türkei, den Balkan und Ungarn kommen – und die „Boatpeople“.
Der Name der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa, wo viele Notleidende stranden, die in Libyen in Boote gepfercht wurden, ist zum Synonym für das Flüchtlingselend geworden. Das Mittelmeer ist die effektivste Mauer der EU – und die tödlichste. Für Flüchtlinge, die es nach Europa oder in Europa in die EU geschafft haben, gilt es weitere Mauern zu überwinden – institutionelle und gesetzliche Hürden, die zwischen ihnen und dem Leben stehen, das sie für sich erträumen. Das viel kritisierte Dublin-Abkommen, das Asylsuchende in dem Land festsetzt, das sie als erstes in der EU betreten haben, ist eine wirkungsvolle Mauer. Nationale Gesetze erschweren die Lage in jedem einzelnen EU-Land dann auf ganz individuelle Art und Weise. Auf eine Änderung von Dublin konnten sich die Länder bislang ebenso wenig einigen wie auf eine verbindliche Quotenregelung, die auch Staaten im Norden und Osten des Kontinents stärker an der Problemlösung beteiligen würde.
Europa igelt sich ein
Nach der physischen und der institutionellen Mauer gilt es für Flüchtlinge schließlich noch eine dritte Mauer zu überwinden, bevor sie in ihrem neuen Land ankommen können: die Mauer in den Köpfen jener, die schon in diesem Land wohnen und glauben, das Boot sei bereits voll.
Es ist zu befürchten, dass in Zukunft noch mehr Mauern, Zäune und Wälle gebaut werden. Vor allem im Osten droht ein neuer Vorhang, wenn er auch nicht den gleichen Verlauf hat wie der alte, der „Eiserne“, zuvor. Die ukrainische Regierung träumt von einer gesicherten Grenze zu Russland, Lettland hat zuletzt auch angekündigt, Geld für einen Zaun zum großen Nachbarn zu bewilligen – offiziell wegen Flüchtlingen aus Zentralasien.
Europa igelt sich also ein, im Gefühl, überrannt zu werden. 60 Millionen Menschen sind derzeit laut UN weltweit auf der Flucht. In den Listen der fünf wichtigsten Aufnahmeländer sowie der Staaten mit den meisten Binnenvertriebenen taucht außer der Türkei aber kein europäisches Land auf.
Calais/ Großbritannien
Sie ziehen am Maschendraht, stampfen den Zaun mit ihren Füßen kaputt, skandieren: „Nieder mit den Grenzen!“ Rund 200 Flüchtlinge überraschten Anfang August in der Dunkelheit der Nacht französische Grenzpolizisten. Sie machten sich auf, um unter dem Ärmelkanal von Frankreich nach Großbritannien zu laufen. Mit dabei ein Kamerateam der BBC.
Der Eurotunnel ist das Nadelöhr, das zur Insel führt. Zwischen dem französischen Festland in Calais und dem britischen Dover liegen rund 33 Kilometer – und der Ärmelkanal. Eigentlich sollte bei der Fertigstellung des Tunnels im Jahr 1993 Europa ein Stück zusammenrücken. Die Verantwortlichen in London, Paris und Brüssel wünschen sich den Tunnel in diesen Tagen manchmal weg.
Sie hoffen auf ein besseres Leben
Die 200 Flüchtlinge, die sich nachts in einer abgesprochenen Aktion aufmachten, hielt kurz vor dem letzten Zaun nur Pfefferspray ab. Am Ende mussten Soldaten verhindern, dass sie weiterflüchten. Die meisten von ihnen versuchen allerdings, geheim nach Großbritannien zu gelangen, in kleinen Gruppen oder auf sich allein gestellt. Deswegen setzen sich einige Flüchtlinge auf die Achsen der Lastwagen, die den Tunnel passieren, verstecken sich in Containern oder klemmen sich an den Schnellzug Eurostar.
„Ich erhoffe mir ein besseres Leben in Großbritannien“, sagt Ahmed aus Pakistan. Er wohnt wie so viele in einem improvisierten Camp im Norden Frankreichs, hat Verwandte in Großbritannien. Auch Ali lebt seit Wochen in einem selbst gebastelten Zelt, ohne Perspektive auf eine Aufenthaltsgenehmigung. Oft wird in Medien über „zehntausende Flüchtlinge“ berichtet, die am Pas-de-Calais auf „ihr Glück“ warten. Dabei wird aber die Zahl der Fluchtversuche mit der Zahl der Flüchtlinge verwechselt. Ahmed versucht es schon seit einigen Wochen – jeden Abend.
London investiert in Grenzanlage
Einige Flüchtlinge bezahlen die Flucht mit dem Leben. Allein im Juni und im Juli starben zehn Menschen im Eurotunnel. Ein Sudanese wurde von einem Lastwagen zu Tode gequetscht. Ein Eritreer starb auf den Gleisen nach einem Elektroschlag. „Wir finden fast täglich schwer verletzte Menschen am Übergang“, sagt ein britischer Freiwilliger der „Calais Migrant Solidarity“, einer Initiative, die sich um die Flüchtlinge kümmert.
„Großbritannien wird illegal eingereiste Migranten ausweisen, damit diese Leute wissen, dass dies kein sicherer Hafen ist“, erklärte der britische Premierminister David Cameron. London möchte deswegen in Zusammenarbeit mit Paris und der EU illegale Grenzübertritte unter dem Ärmelkanal komplett unterbinden. London investiert über die Betreibergesellschaft nun zusätzliche 18 Millionen Euro in die Grenzanlage. Noch mehr Kameras und ein doppelter Zaun sollen angebracht, der Besitz von „festgenommenen illegalen Migranten“ beschlagnahmt werden und die Grenzsicherungsbehörde Frontex soll zum Einsatz kommen. Mitten in Europa. Mohamed Amjahid
FAKTEN: Grenze: Frankreich/Großbritannien; Höhe: vier Meter; Länge: rund zwei Kilometer; In Planung: Verstärkung der Zaunanlage, weitere Überwachungstechnik; Ausstattung: Doppelter Zaun, Nato-Stacheldraht; Kameras, Hundestaffeln, Frontex-Mission; Tote seit 1. Juni 2015: 10
Melilla und Ceuta/ Marokko
Lange Zeit galten die spanischen Festungsstädte Melilla und Ceuta an der nordafrikanischen Küste als attraktives Eingangstor nach Europa. Dies scheint nun vorbei zu sein. Nach martialischer Aufrüstung der Grenzzäune in diesen Exklaven, die von marokkanischem Territorium umgeben sind, geht der Ansturm von Afrikanern hier erheblich zurück. Nur noch wenige illegale Einwanderer schaffen es, die Zäune zu überwinden.
Melilla und Ceuta gelten als Musterbeispiel dafür, wie sich Europa gegenüber Flüchtlingen, die vor Armut, Krisen und Kriegen fliehen, erfolgreich abschottet: Kilometerlange Grenzwälle umgeben diese beiden Städte, in denen jeweils etwa 85000 Menschen leben. Grauenhafte Szenen von verzweifelten Menschen, die in Melilla oder Ceuta im Drahtverhau blutend hängen bleiben und aus den messerscharfen Dornen geschnitten werden müssen, gehören in den Exklaven dazu.
Weit mehr als 100 Millionen Euro haben Spanien und EU in den Ausbau dieser Grenzwälle gesteckt. Zudem läuft inzwischen auch die Zusammenarbeit mit Marokko beim Grenzschutz gut – wofür Rabat mit Millionenhilfen aus der EU-Kasse belohnt wird.
Geschafft haben es nur wenige
Im vergangenen Jahr erlebte Spanien noch einen heftigen Ansturm auf die Grenzzäune: Regelmäßig versuchten Hunderte von afrikanischen Flüchtlingen die Abschottungswälle zu überwinden. Die meisten schafften es nicht. Wer doch in den Auffanglagern ankam, konnte sich Hoffnung machen, aufs spanische Festland überführt zu werden. Dort wurde dann über Abschiebung oder Aufnahme in Spanien entschieden.
Rund 7500 Flüchtlinge strandeten 2014 in den beiden spanischen Garnisonsstädten. Nicht alle kletterten über den meterhohen Stacheldraht. Andere gelangten schwimmend oder mit Schlauchbooten über die Seegrenze der beiden Küstenorte, oder in Autos und Lastwagen versteckt. Nachdem die Abwehrwälle in den letzten Monaten erneut verstärkt wurden, sind sie nun fast unüberwindlich geworden: Seit Jahresbeginn schafften es kaum mehr als 100 Menschen über die Grenzzäune. Ralph Schulze
FAKTEN: Grenze: Spanien/Marokko; Länge: 12 Kilometer (Melilla), 8 Kilometer (Ceuta), mehrere Zaunreihen; Höhe: 6 bis 7 Meter; Ausstattung: Doppelstahlzäune, Nato-Stacheldraht auf der Oberkante, Wachtürme, Scheinwerfer, Bewegungsmelder, Stolperdrähte, Infrarotkameras; Tote: Vor allem seit der Verstärkung der Zäune im Jahr 2005 gab es zahlreiche Tote am Zaun und im Wasser. Allein im Februar 2014 starben bei verschiedenen Vorfällen 14 Menschen
Ungarn/ Serbien
Er wanderte 15 Stunden lang, vom serbischen Subotica ins ungarische Szeged. Ali hockt auf dem Bahnhofsvorplatz und wartet auf den Zug gen Westen. „Kein Zaun der Welt kann uns aufhalten“, sagt der 18-jährige Afghane. In seinem Dorf hätten die Taliban seine Familie bedroht, deswegen sei er nach Europa gekommen: „Wir wollen arbeiten und ein gutes Leben führen.“ Ali zeigt auf seine Cousine. Sie ist jünger als er, schläfrig, lehnt sich an seine Schulter und schließt die Augen. Seit mehr als drei Monaten sind sie nun unterwegs. Die beiden möchten mit dem nächsten Zug weiter zu Verwandten nach Österreich fahren. Wenn es nach der Fidesz-Regierung in Ungarn ginge, wäre für Ali und seine Cousine aber schon in Serbien Endstation gewesen.
Deswegen hat Ministerpräsident Viktor Orbán mit Unterstützung der rechtsextremen Jobbik- Partei das größte Bauprojekt Ungarns auf den Weg gebracht. In der südungarischen Gemeinde Mórahalom bauen sie wie an der gesamten 175 Kilometer langen Grenze am Zaun. Am späten Samstagabend wurde ein vorläufiger Stacheldrahtzaun fertiggestellt. An der Erhöhung wird nun gebaut. Ungarische Soldaten fällen Bäume, planieren die Puszta und rollen den Maschendraht aus: Es geht hier offiziell um „die Verteidigung des Vaterlandes“. Die Route von der Türkei über Griechenland, Mazedonien und Serbien führt über Ungarn in die reichen Industriestaaten der EU. Orbán will verhindern, dass Ungarn als Transitland dient.
Viele passieren unbemerkt das Land
Seit Jahresanfang haben offiziell mehr als 80 000 Flüchtlinge, meist aus Syrien und Afghanistan stammend, die Grenze überschritten. An sonnigen Wochenenden sind es manchmal 2000 Flüchtlinge, die nach Ungarn kommen. Genaue Zahlen gibt es aber nicht: Viele Flüchtlinge passieren unbemerkt das Land, andere werden von der Polizei nicht registriert, und die Regierung hat ein Interesse daran, die Zahlen groß zu machen.
Der neue eiserne Vorhang am Rande der EU besteht aber nicht nur aus Stacheldraht. Die Regierung Orbán präsentiert ständig neue Komponenten in ihrem „Kampf gegen illegale Migration und Terrorismus“. So wurde ein Gesetz verabschiedet, mit dem jeder illegale Migrant als Schwerverbrecher festgenommen werden kann. Außerdem wurden alle Balkan-Länder als „sichere Staaten“ eingestuft, sodass eine Rückführung beziehungsweise Abwehr von Flüchtlingen formal den EU-Richtlinien entspricht.
Provisorische Unterkunft auf einer Brache
Im südungarischen Dorf Martonfa, nicht weit von der neuen Grenzanlage, wollte die Regierung eine provisorische Unterkunft für Flüchtlinge auf einer Brache errichten. Weil die Dorfbewohner das aber nicht wollten, zogen sie kurzerhand aus ihren Häusern und besetzten mit ihren Zelten das vorgesehene Land. „Hier kommen keine Flüchtlinge hin“, lautete die unmissverständliche Botschaft, die von der Regierung in Budapest aber längst adaptiert wurde. Mohamed Amjahid
FAKTEN: Grenze: Ungarn/Serbien; Geplante Höhe: vier Meter; Geplante Länge: 175 Kilometer; Ausstattung: Nato-Stacheldraht, Betonfundament, Grenzpolizei
Bulgarien/ Türkei
Die Kameras schalten sich ein und zoomen gleich heran, auf den zentralen Monitoren tauchen Farbbilder aus mehreren Perspektiven auf. Wie bei einem Computerspiel steuert einer der drei Beamten im Überwachungsraum die Aufnahmegeräte, die Konturen werden glasklar: Diesmal ist es nur ein Pferdewagen. „Die Kameras registrieren jede Bewegung. Wärme, etwa die von Fahrzeugmotoren, aber auch von Körpern, löst automatisch eine Zuschaltung aus“, erklärt stolz Georgi Kaladschijew, Leiter des Grenzpolizeireviers in Swilengrad.
Hier, mitten in einer malerischen Hügellandschaft, endet die Europäische Union. Drei Fahrstunden braucht man von Swilengrad nach Sofia und ebenso viele nach Istanbul. Die knapp 20 000 Einwohner der Kleinstadt wären arm dran, lägen nicht wenige Kilometer entfernt sowohl Griechenland als auch die Türkei. Ruinen alter byzantinischer Kirchen schauen von der Höhe herab auf die Mariza, jenen Fluss, der auf der griechischen Seite „Evros“ heißt und dessen Ufer Schauplatz mythologischer Kämpfe gewesen sein sollen.
Rufe der Rechtsnationalisten
„Vor drei Jahren hielt sich der Andrang noch in Grenzen“, sagt Revierleiter Kaladschiejew. Damals haben rund 7000 Menschen einen Asylantrag gestellt, nachdem sie die bulgarisch-türkische Grenze illegal überquert hatten. Dieses Jahr sind es bereits 7000 in den ersten sieben Monaten. Zurzeit kommen die meisten aus Syrien, obwohl Afghanistan und der Irak weiterhin wichtige Herkunftsländer bleiben.
Für die bulgarische Regierung ist die Situation heikel. Einerseits kann das Land im Moment höchstens 5000 Flüchtlinge unterbringen. Andererseits muss Bulgarien skeptische westeuropäische Partner davon überzeugen, dass es die EU-Außengrenzen kompetent verteidigen kann und endlich dem Schengen-Raum beitreten darf. Letztlich häufen sich auch in Bulgarien die ausländerfeindlichen Rufe der Rechtsnationalisten. Einige Proteste gegen die Einrichtung neuer Flüchtlingslager wurden in den letzten Monaten in Sofia und weiteren Städten organisiert.
Forderung nach Hilfe von der EU
Mehrmals schlugen ranghohe Politiker Alarm und forderten Hilfe von der EU, vor allem von den westeuropäischen Ländern. Auch weil diese nicht kam, beschloss die frühere sozialdemokratische Regierung 2013 die Sperranlage. Diese soll nun noch weiter ausgebaut werden. Silviu Mihai
FAKTEN: Grenze: Bulgarien/Türkei; Länge: 33 Kilometer; Geplante Länge: Ein wieder 33 Kilometer langer neuer Abschnitt ist bereits in Arbeit, die Gesamtlänge soll 110 Kilometer betragen; Ausstattung: Zaun, Nato-Stacheldraht; Tote: Keine offiziellen Zahlen, aber es werden immer wieder Zwischenfälle bekannt. Im April 2014 starben zwei Iraker nach einem Einsatz der Polizei
Türkei/ Syrien
Zeppelinartige Luftschiffe gehören zu den neuen Waffen der Türkei gegen den „Islamischen Staat“ (IS). Die unbemannten Drohnen sind Teil der geplanten Sicherung der Grenze zu Syrien, mit denen Ankara den Zustrom ausländischer Kämpfer zum IS unterbinden und das Einsickern von IS-Attentätern aus Syrien in die Türkei verhindern will. Die ganze Länge der 911 Kilometer langen Grenze zum südlichen Nachbarn soll mit den Drohnen und anderen aufwendigen technischen Maßnahmen abgeriegelt werden. Auch Mauern und Zäune gehören dazu.
Das Kabinett in Ankara beriet kürzlich über die rund 650 Millionen Euro teuren Pläne der Militärs für die Grenzsicherung. An einigen Stellen haben die Arbeiten bereits begonnen. Mit Baggern heben Soldaten tiefe Gräben aus, um es den Fahrzeugen von Schmugglern und IS-Schleusern unmöglich zu machen, über die grüne Grenze zwischen der Türkei und Syrien hin und her zu pendeln.
Wie die Grenze zwischen den USA und Mexiko
Auch der Bau von Zäunen und Wällen hat an einigen Grenzsektoren begonnen. In der Provinz Kilis etwa, die gegenüber einem teilweise vom IS beherrschten Gebiet Syriens liegt, errichten Soldaten eine Mauer aus vorgefertigten, 3,50 Meter hohen Betonteilen, die entfernt an die Beton-Elemente der Berliner Mauer erinnern. Die türkische Presse vergleicht die Pläne für das offiziell als „Projekt zur physischen Sicherung der syrischen Grenze“ bezeichnete Vorhaben mit der Grenze zwischen den USA und Mexiko. Wachtürme, eine starke Beleuchtung, Stacheldraht, neue Straßen für Patrouillenfahrten, die Drohnen und zusätzliche Zäune sind ebenfalls geplant. Die Grenztruppen erhalten neue Fahrzeuge, Stützpunkte und Nachtsichtgeräte. Damit solle eine Überwachung rund um die Uhr und 365 Tage im Jahr gewährleistet werden, meldet die Presse.
Ankara zielt mit Plänen nicht nur auf den IS
Es gibt aber einige offene Fragen. So soll es trotz Mauern, Gräben und Zäunen keine absolute Abriegelung der Grenze geben: Die Regierung betont, Flüchtlinge aus Syrien sollten weiterhin die Möglichkeit haben, in die Türkei zu kommen. Bisher flohen viele Syrer über die offene Grenze, die stellenweise nur von einer Bahnlinie oder von einem verrosteten Zaun markiert wird, wenn in der Gegend um ihre Dörfer und Städte die Kämpfe eskalierten. Wie die Hilfe suchenden Menschen in Zukunft die schwer gesicherte Grenze überwinden sollen, ohne weite Strecken zum nächsten offiziellen Übergang zurücklegen zu müssen, ist unklar.
Mit der neuen Grenzsicherung zielt Ankara nicht nur auf den IS, sondern auch auf die syrische Kurdenmiliz YPG, die besonders im östlichen Teil der Grenze aktiv ist. Die YPG kämpft in Syrien gegen den IS, wird aber von der Türkei verdächtigt, die Gründung eines eigenen Kurdenstaates in Nord-Syrien anzustreben. Thomas Seibert
FAKTEN: Grenze: Türkei/Syrien; Höhe der Mauer: 3,5 Meter; Länge der Mauer: Einige hundert Meter; Geplante Länge: 911 Kilometer (gesamte türkisch-syrische Grenze); Material: Vorgefertigte Betonteile; Geplante Ausstattung: Wachtürme, Stacheldraht, starke Beleuchtung, Drohnen, Pufferzone auf syrischem Boden