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Der frühere ehrenamtliche Ortsbürgermeister von Tröglitz, Markus Nierth
© Jan Woitas/dpa

Ex-Bürgermeister von Tröglitz: "Die Saat der rechten Brandstifter ist aufgegangen"

Den Hass erkenne er überall, sagt der frühere Ortsbürgermeister von Tröglitz, Markus Nierth. Er warnt auch vor der AfD mit ihrem "völkischen Gedankengut". Ein Interview.

Herr Nierth, Sie waren bis März vergangenen Jahres Ortsbürgermeister von Tröglitz in Sachsen-Anhalt – nach Drohungen der NPD traten Sie von dem Amt zurück. Jetzt haben Sie ihren Facebook-Freunden geschrieben, dass 2015 eines der schmerzhaftesten Jahre Ihres Lebens war. Warum fällt die Bilanz so bedrückend aus?

Meine Frau und ich haben 2015 viele menschliche Enttäuschungen erlebt. Innerlich ist Heimatgefühl verloren gegangen, Illusionen sind geplatzt, sogar Freundschaften gingen in die Brüche. Selbst nach den Morddrohungen kamen von manch politischem Weggefährten oder guten Bekannten keine Nachfragen, wie es geht. So etwas tut weh. Man fragt sich: Was ist wirklich los? Dieses Jahr hat in unserem Leben viel durcheinander gebracht, es gab viele Sorgen, durchwachte Nächte, Ängste und Gebete. Es war wirklich eines der schwersten in meinem Leben, obwohl ich schon eine Menge erlebt habe.

Wen machen Sie für die Stimmung verantwortlich?

Von Monat zu Monat warteten wir darauf, dass die schweigende Mitte aufwacht. Aber sie rührte sich kaum. Manche vielleicht aus Unvermögen oder Angst vor den Rechten, andere aus einer erschreckenden Lethargie, als ob es sie nichts anginge. Dabei geht es um unsere Demokratie! Ein Teil hat sich in den vergangenen Monaten deutlich nach rechts positioniert und bei Anti-Asyl-Aktionen passiv oder aktiv mitgemacht. Aber es gab sonst keinen vernehmbaren Aufschrei gegen das rechte Hetzen und Treiben in Tröglitz.

Wenige Woche nach Ihrem Rücktritt brannte kurz vor dem Einzug der ersten Bewohner das Flüchtlingsheim in Tröglitz. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, erklärte damals, Tröglitz werde nicht den menschenfeindlichen Fanatikern überlassen. Ist das geglückt?

Offenbar hat nicht nur in Tröglitz, sondern in ganz Deutschland eine allgemeine Hysterie um sich gegriffen. Es gibt zwar Widerstand gegen Fremdenhass und rechte Hetze, aber der wird in manchen Gegenden nicht von einer sichtbaren Mehrheit getragen. An der Basis in Tröglitz waren wir anfangs ganz allein, bis die Friedengebete begannen. Und weil wir lange Zeit fast das einzige Gesicht des Widerstandes im Ort waren, konnte sich die Raumeroberungsstrategie der Rechten auf uns konzentrieren. Vor einem Jahr, als die Diskussionen über die Aufnahme von Flüchtlingen in Tröglitz begannen, haben sich andere weggeduckt. Vom bezahlten Bürgermeister bis hin zu den politischen Verantwortungsträgern waren die allermeisten plötzlich weg. Lediglich bei den Friedensgebeten vor einem Jahr wurde uns Mut zugesprochen, es gründete sich eine Initiative. Viele dieser Gruppe – und längst nicht alle hatten einen christlichen Hintergrund - kamen von außerhalb.

Brennende Flüchtlingsunterkunft in der Nacht zum 4. April in Tröglitz
Brennende Flüchtlingsunterkunft in der Nacht zum 4. April in Tröglitz
© Polizei Sachsen-Anhalt/dpa

Im Juni kamen die ersten Flüchtlinge nach Tröglitz. Wie viele leben nun hier?

Insgesamt sind es jetzt zwölf. Eine indische Familie und drei afghanische. Die indische Familie wird von zwei liebenswürdigen Senioren betreut, wir Nierths sind die Paten der afghanischen Familien. Es werden jetzt im Januar noch einmal mindestens zwei, drei Familien mehr. Der Landrat hält daran fest, dass wie geplant 40 Flüchtlinge nach Tröglitz kommen sollen. Nach dem Brand hatten wir ja gesagt, dass wir die Neuen nun notfalls privat unterbringen müssen. Auch meine Familie hat mit organisiert, dass Wohnraum zur Verfügung gestellt werden konnte. Das war wichtig als Zeichen dafür, dass es sich nicht lohnt, Häuser anzuzünden. Leider ist es ja danach in ganz Deutschland trotzdem weitergegangen mit den Brandanschlägen gegen Flüchtlingsunterkünfte.

Wurde dieses Zeichen denn in Tröglitz begrüßt?

Manche waren wieder böse auf uns, weil wir von uns verwaltete Wohnungen an die "gefährlichen" Flüchtlinge gaben. Andere behaupteten, daß wir uns damit bereichern würden, was bei 4,40 Euro pro Quadratmeter einfach lächerlich ist.

Der Anfang April verübte Brandanschlag ist bisher nicht aufgeklärt. Im Oktober wurde ein Tatverdächtiger festgenommen. Geht es voran?

Der Tatverdächtige wurde freigelassen. Ohnehin glaube ich nicht, dass ein Einzelner die Tat verübt hat. Wir hoffen sehr darauf und sind auch guter Hoffnung, dass die Tat noch aufgeklärt werden kann. Die Ermittler haben sich des Falles mit großem Aufwand und mit bewundernswerter Energie angenommen. Ich meine nach wie vor, dass es eine rechtsmotivierte Tat war. Es war lange genug vorher bei den Demos gehetzt worden. Und die Rechten  hatten den meisten Nutzen davon.

Haben sich die Auseinandersetzungen auch wirtschaftlich für Sie ausgewirkt?

Ich habe als Selbstständiger ein Drittel weniger Einkommen als vor dem Jahr 2015. Manche Leute haben mich als Trauerredner bewusst nicht mehr gewählt. Das Argument: Der ist uns zu politisch. Das hat mich sehr erschrocken. Ähnlich lief es in unserer Tanzschule. Auch hier waren es letztlich 30 Prozent fehlende Einnahmen.

Im Sommer sagten Sie in einem Interview, die Rechten bestimmten momentan die moralischen und politischen Grenzen. Sehen Sie das immer noch so?

Ja, leider immer noch. Tröglitz ist nur einer von vielen Orten in Deutschland, in dem es die Rechten geschafft haben, einige aus der sogenannten bürgerliche Mitte, aber auch Leute aus der Arbeiterschaft für sich zu vereinnahmen. Gezielt werden diese sogenannten Wutbürger von Rechtsextremisten gesteuert. Ängste werden zur Wut gesteigert, Wut schlägt um in Hass. Diesen Hass erkenne ich überall. Der ist ja nun in ganz Deutschland am Wirken, am Brennen. Auch "normale" Leute, die bisher gar nicht groß auffielen, verhalten sich auf einmal aggressiv gegen Flüchtlinge oder greifen sogar deren Unterkünfte an. Die üble Saat der rechten Brandstifter ist aufgegangen. Die Gefahr ist auf keinen Fall gebannt.

Sie hatten es in Tröglitz zunächst vor allem mit der NPD zu tun. Die wollte damals im Frühjahr eine Demo organisieren, die bis vor ihr Privathaus führen sollte. Aktuell wird in Sachsen-Anhalt viel über die AfD diskutiert, der bei der Landtagswahl im März ein zweistelliges Ergebnis prognostiziert wird. Ist die weniger gefährlich?

Die Gefahr, die von der AfD ausgeht, ist mächtig groß. Manche können sich in dieser Partei noch als Biedermänner tarnen, obwohl sie gerade auch in Sachsen-Anhalt Begriffe wie Volksgemeinschaft benutzt und so klar macht, welch Geistes Kind sie ist. Manche meinen, sie könnten diese Partei wählen, weil sie nicht ganz so anrüchig sei. Aber das rechte und völkische Gedankengut spritzt ja aus allen Poren der AfD hervor. Der Rechtsruck der AfD lässt sich offenbar gar nicht aufhalten, selbst die Vorsitzende Frau Petry wird wohl zunehmend an den Rand gedrängt. Rassismus und Hass der "besorgten Bürger" wuchern und werden immer gefährlicher. Wer sich wirklich um andere sorgt, braucht dafür ein weites, warmes Herz. Das entdecke ich hier nicht. Die AfDler mögen sich noch so gut verstecken, aber sie bleiben zerstörerisch und destruktiv in ihrer letztlich antidemokratischen Ausrichtung , weil sie eine Vielfalt der Meinungen und Lebensentwürfe ablehnen. "Völkisch sauber" soll es wieder zugehen, dabei hatten wir genug Rauch aus braunen Schloten. Ich sehe in der AfD eine Menge Leute, die bloß versuchen, ihre eigenen Minderwertigkeitskomplexe und Lebensängste unter den braunen Teppich zu kehren und auf Macht und gutes Politikergehalt aus sind.

Werden Sie in Tröglitz bleiben?

Tröglitz ist vor fast 20 Jahren meine Heimat geworden, und bisher haben wir uns hier sehr wohl gefühlt und dachten, wir wären angekommen. Das ist kaputtgegangen. Deshalb überlegen wir natürlich. Immer wieder haben wir auch andere Angebote bekommen und irgendwann fragt man sich, was ist Tröglitz? Wo ist die Grenze, was muss man eigentlich für die Sache hinnehmen? Viele sagen, haltet durch, es ist toll, was ihr da macht, aber am Ende zahlen wir mit unserer Lebensqualität und mehr. Allerdings habe ich mich damals – das ist eine christliche Aussage - von Gott her berufen gefühlt, hierher zu ziehen, obwohl ich wusste, dass die Region hier im Burgenlandkreis keine Gewinnerregion ist. Wir werden also nicht einfach wieder gehen. Es sei denn, das sagt die Stimme von ganz oben. Mit anderen Worten: Noch ist unser Platz hier, aber es ist alles offen... Es gibt den Stichtag, an dem wir mit unserem Kindern resümieren, beten und entscheiden, ob Tröglitz für uns noch Zuhause ist. 

Markus Nierth (46) ist evangelischer Theologe und freiberuflicher Trauerredner. Er war bis März 2015 Ortsbürgermeister von Tröglitz, einem Ortsteil von Elsteraue im sachsen-anhaltischen Burgenlandkreis. Nach Bedrohungen der NPD im Zusammenhang mit der geplanten Unterbringung von Flüchtlingen im Ort trat er zurück. Das Interview führte Matthias Meisner.

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