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Jutta Cordt, Präsidentin des Bamf, sowie ihr Amtsvorgänger Frank-Jürgen Weise am Freitag in Berlin.
© Bernd von Jutrczenka/dpa

Asyl-Skandal: Innenausschuss offenbart weitere Mängel beim Bamf

Das Bundesamt für Flüchtlinge und Migration war völlig überlastet. Bis heute knirscht es vielerorts. Bei 35.000 Asylverfahren fehlen im Computer Fotos und Fingerabdrücke.

Die Sitzung fand hinter verschlossenen Türen statt. Aber die Botschaft, die Rudolf Scheinost für die Abgeordneten hatte, drang dennoch nach außen. „Bremen ist überall“, soll der Gesamtpersonalratschef des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) bei der Sondersitzung des Innenausschusses am Freitagmorgen gesagt haben. So berichtete es etwa der CDU-Politiker Armin Schuster. Damit habe Scheinost nicht gemeint, dass es überall im Bamf Rechtsverstöße gegeben hat wie mutmaßlich in der Bremer Außenstelle. Wohl aber gravierende Qualitätsdefizite bei der Bearbeitung von Asylanträgen, überforderte Mitarbeiter – und eine „katastrophale Personalpolitik“.

Neben Scheinost wurden am Freitag in einer Sondersitzung des Innenausschusses auch die früheren Vorsitzenden des Bamf, Manfred Schmidt und Frank-Jürgen Weise, sowie die aktuelle Chefin Jutta Cordt vernommen. Den Abgeordneten ging es vorrangig um die Aufklärung der Vorfälle in Bremen, wo zwischen 2013 und 2016 bis zu 1200 Menschen ohne vorliegende Voraussetzung Asyl gewährt worden sein soll.

Vielleicht finden sich die Angaben in den Akten

Aber auch die strukturellen Mängel im Bamf wurden beleuchtet. So sind bei der Überprüfung von Asylverfahren mehr als 30.000 Fälle aufgefallen, bei denen unklar ist, ob von den Asylbewerbern Fotos und Fingerabdrücke vorhanden sind. Das Bamf überprüfe 2,2 Millionen Verfahren aus den Jahren 2005 bis 2018, berichtete Amtschefin Jutta Cordt am Freitag. Bei 35.000 sei keine erkennungsdienstliche Behandlung vermerkt. Der „Spiegel“ berichtete von 34.157 Fällen. Nach Angaben des Nachrichtenmagazins weist das Bundesinnenministerium in einem Schreiben an den Innenausschuss des Bundestags darauf hin, dass dies zunächst fehlende Vermerke im Computersystem seien – nun müsse in den Akten überprüft werden, ob in diesen Fällen tatsächlich keine Fingerabdrücke und Fotos vorliegen.

Weise weist Vorwürfe mangelnder Sorgfalt zurück

Ex-Bamf-Chef Weise, der die Behörde zwischen September 2015 und Ende 2016 leitete, wies nach der Sondersitzung Vorwürfe zurück, während der Flüchtlingskrise seien Asylverfahren auf Kosten der Sorgfalt besonders schnell bearbeitet worden. Es sei „Unsinn, zwischen Schnelligkeit und Qualität zu unterscheiden“, sagte er. Weise hatte in dieser Woche bereits kritisiert, dass die Probleme bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise auf fehlende Weitsicht früherer Verantwortlicher zurückzuführen seien – das Ansteigen der Flüchtlingszahlen sei zu spät bemerkt worden. Am Wochenende hatte der „Spiegel“ außerdem über einen vertraulichen Bilanzbericht Weises von Anfang 2017 berichtet. Demnach hätten Weise und sein Team im Herbst 2015 Chaos vorgefunden.

Die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Luise Amtsberg, berichtete aus dem Innenausschuss, es habe im Bamf offenbar ein „Sanktionsregime gegeben, wenn man die Vorgaben nicht erfüllt hat“. Dazu hätten wohl auch Urlaubssperren und das Streichen von notwendigen Schulungen gehört. „Es ist nicht wahr, dass – wie Bamf-Chefin Cordt sagt – die Einarbeitung am Arbeitsplatz ein Ausnahmefall war.“ Auch das Vier-Augen-Prinzip, das bei der Bearbeitung von Asylanträgen Pflicht ist, habe in der Hochphase der Flüchtlingskrise nicht erfüllt werden können.

In Bremen werden 18.000 Asylbescheide überprüft

CDU-Innenpolitiker Schuster sieht nun die zwingende Notwendigkeit für Widerrufsprüfungen von Asylentscheidungen „im großen Stil“. Solche Prüfungen seien möglich, wenn es im Verfahren zu erheblichen Fehlern gekommen ist. Davon müsse man nun ausgehen. Bereits jetzt werden mehr als 18000 positive Asylentscheidungen aus der Bremer Außenstelle, die seit dem Jahr 2000 getroffen wurden, noch einmal auf den Prüfstand gestellt. Schuster sagte auch, dass man mit der Entscheidung, 2015 die Grenzen nicht zu schließen, einen „Kontrollverlust politisch mit einkalkuliert“ habe.

Grünen-Politikerin Amtsberg forderte, dass nicht nur positive, sondern auch negative Asylbescheide überprüft werden. Bei manchen als sicher geltenden Herkunftsstaaten sei offenbar gar nicht mehr richtig hingeschaut worden, obwohl eigentlich in jedem Verfahren die individuellen Fluchtgründe geprüft werden müssten.

Seehofer kündigt "tiefgreifende Reform an"

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) kündigte am Rande eines Treffens der Innenminister der Länder in Quedlinburg an, er wolle das Bundesamt neu organisieren. „Ich werde eine tiefgreifende Reform des Bamf durchführen, in der Organisation, in den Verfahren“, sagte Seehofer. Details dazu nannte er aber nicht.

Kommende Woche will der Innenausschuss den früheren Innenminister Thomas de Maizière und den ehemaligen Flüchtlingskoordinator im Kanzleramt, Peter Altmaier (CDU) anhören. Es wird darum gehen, ob und wann die beiden über die Zustände im Bamf informiert waren. „Es ist schwer vorstellbar, dass Kanzleramt und Innenministerium davon nichts gewusst haben“, sagte Amtsberg.

Untersuchungsausschuss ist noch nicht beschlossen

Immer noch offen ist, ob nach der Aufklärung im Innenausschuss ein Untersuchungsausschuss folgt. FDP und AfD fordern das. Die Regierungsfraktionen sowie Linke und Grüne hatten sich dazu am Donnerstag ablehnend verhalten. Die Vorsitzende des Innenausschusses, Andrea Lindholz (CSU), schloss am Freitag einen Untersuchungsausschuss aber nicht aus, wenn am Ende der Anhörungen noch Fragen offen blieben. Angesichts immer neuer Enthüllungen erscheint das nicht unwahrscheinlich. (mit dpa)

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