Die Hauptstadt und ihre Probleme: In Berlin wird alles verschoben - vielleicht sogar die Wahl
Der Termin für die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus steht infrage. Müsste die Abstimmung verschoben werde - es wäre ein Desaster mit Ansage. Ein Kommentar.
Die Warnung der Landeswahlleiterin, die Abstimmung am 18. September sei gefährdet, wird jene bestätigen, die Berlin bereits jetzt für einen "failed state" halten oder die Hauptstadt unter Kuratel des Bundes stellen wollen. Die können nicht Flughafen, und auch nicht Demokratie. Es wäre die größte anzunehmende Peinlichkeit, wenn der Wahltag ausfallen muss, weil die Software nicht funktioniert oder es Berlinern nicht gelingt, rechtzeitig ins Wahlregister zu kommen. Dagegen wäre selbst die erneute Verschiebung der BER-Eröffnung ein geringes Problem. Auch andere Bundesländer, wie Hamburg mit der Elbphilharmonie, haben ihre Pannenbaustellen. Aber dass eine Wahl verschoben werden muss aus Unfähigkeit der Landesregierung, wäre einzig in der Bundesrepublik.
Ein Desaster mit Ansage. Die heillosen Zustände auf den Bürgerämtern, die alten und neuen Berlinern die pflichtgemäße Anmeldung unmöglich machen, sind schließlich seit Jahren ein Ärgernis. Der Senat feiert zwar ständig das wachsende Berlin und den Zuzug, schafft aber nicht die Bedingungen, dass Stadt funktioniert und Ämter alltagstauglich und nicht im permanenten Krisenmodus sind.
Der Unmut der Bürger wächst
Berlin, das sind deshalb in der Realität längst zwei Welten. Das Wunder des erfolgreichen Berlin, das weltweit ein strahlender Anziehungspunkt für Menschen ist, das kreativ, fantasievoll und nun auch wirtschaftlich boomt mit Gründerwelle und neuen Jobs, ist ganz aus sich selbst heraus entstanden. Man kann nur froh sein, dass es dem Senat nicht gelang, den Enthusiasmus dieser Menschen nachhaltig zu erschüttern.
Auch wenn die Durchführung der Wahl in den Bereich des Innensenators Frank Henkel (CDU) fällt, ist der gefährdete Termin Verantwortung des gesamten Senats und des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD). Die deutlich gesunkene Zustimmung für die Koalitionspartner spiegelt den wachsenden Unmut der Berliner. Beim Amtsantritt Ende 2014 stand Müller für das Versprechen, endlich mit gezielten Änderungen aus desolaten Behörden funktionsfähige, bürgergerechte und kundenfreundliche Verwaltungen zu machen, die nicht jeden Amtsbesuch zum Drama werden lassen.
Berlins Bürokratie? In einem beschämenden Zustand
Vorangekommen ist jedoch kaum etwas. Berlin kann aber nur zukunftsfest sein, wenn es ein stabiles Gerüst eines verlässlichen Gemeinwesens gibt. Stattdessen hat die Flüchtlingskrise erneut offenbart, in welch beschämendem Zustand Berlins Bürokratie ist. Dabei ist der Senat die eigentliche große politische Herausforderung, wie nämlich eine effektivere Aufgabenverteilung zwischen Bezirksämtern und Senatsverwaltung aussehen kann, noch nicht einmal angegangen. Nichts aber befeuert den Verdruss über etablierte Parteien so sehr wie die so empfundene Ignoranz von legitimen Erwartungen der Bürger an ihre Verwaltung.
Die CDU hat im Senat die Erwartung enttäuscht, Motor der Veränderung zu sein. Die SPD spielt sogar verkehrte Welt: Führende Genossen tun gerade so, als stelle die SPD nicht seit 15 Jahren den Senatschef und habe den Gestaltungsauftrag, sondern als sei sie in der Opposition. Da begründet ein Staatssekretär beredt, warum er nicht vorankommt beim Radwegebau, und schiebt die Schuld auf die Bezirke. Dort aber sitzen ebenfalls Genossen seit Langem in politischer Verantwortung. Ein anderer Staatssekretär sieht beim Landratsamt in Brandenburg die Schuld, wenn der BER erst 2018 fertig wird, nur weil das Amt auf ordnungsgemäße Anträge besteht.
Und wen soll ein Schulsanierungsprogramm überzeugen, dessen Umsetzung die SPD für nach der Wahl verspricht, nachdem seit Jahren über vergammelte Gebäude und fehlende Plätze geklagt wird? Dies nicht längst verbessert zu haben, ist das wirkliche Versäumnis. Das hat Tradition: Vor der Wahl 2011 erklärte die SPD beharrlich, dass es in Berlin keinen Wohnungsmangel gibt.
Noch ist Zeit, die Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße Wahl am 18. September zu schaffen. Gelingt das nicht, darf sich der Senat wohl auch ohne Abstimmung als abgewählt betrachten.