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Vorbereitungen zum EU-Gipfel in Brüssel
© Reuters/Francois Lenoir

Wieder ein Finanzgipfel in Brüssel: Global Player – kann die EU das überhaupt?

Gipfel um Gipfel streitet die EU, ohne sich über die Coronahilfen zu einigen. Wenn es diesmal wieder nicht klappt, wird die Union belächelt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Die EU geht in den Finanzgipfel wie ein Delinquent auf Bewährung. Es ist bereits der fünfte in diesem Jahr, um das Finanzpaket für die nächsten sieben Jahre zu verabschieden und obendrauf Coronahilfen aus Brüsseler Kassen für die unter dem Wirtschaftseinbruch leidenden Mitgliedsstaaten.

Die EU will handlungsfähig erscheinen, erreicht aber das Gegenteil

Die Bürgerinnen und Bürger erwarten eine Einigung jetzt – nicht irgendwann im Herbst nach weiteren Gipfeln. Dringlichkeit muss die Devise sein. Sonst wachsen die Zweifel: Kann die EU das überhaupt? Wo ist sie besser und effektiver in der Coronahilfe als die Nationalstaaten, wenn sie sich nach vielen Monaten nicht einmal auf die Grundlagen einigen kann?

Mit dem 1,8 Billionen-Paket – Summen, die alles, was die EU bisher getan hat, um Dimensionen übersteigen – will die Union ihre Handlungsfähigkeit beweisen. Bisher ist der öffentliche Eindruck umgekehrt: die Unfähigkeit, zügig und gezielt zu helfen.

Eine Einigung über die Finanzen ist zudem die Voraussetzung dafür, dass die EU sich unter deutschem Vorsitz um all die anderen Herausforderungen kümmern kann: den Brexit zum Jahresende managen; die China-Politik in Sachen Hongkong, G5, Marktzugang und Investitionsschutz neu ausbalancieren; wirksame Mittel gegen die Einmischung der USA in ihre Energie- und Iranpolitik per Sekundärsanktionen entwickeln; die Eskalation der Konflikte mit der Türkei um Gasvorkommen vor Zypern, um Flüchtlingspolitik und Medienfreiheit abwenden; Israel an Annexionen im Westjordanland hindern und vieles mehr.

Europa als Global Player: wer soll das ernst nehmen?

Wer soll den Ehrgeiz der EU, ein ähnlich einflussreicher Global Player wie China und die USA zu werden, ernst nehmen, wenn die reale Union den Großteil ihrer Zeit und Energie darauf verschwendet, ihre internen Streitigkeiten auszuleben?

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Der Gipfel wird zum Moment der Wahrheit: Wollen die EU-Mitglieder eine handlungsfähige Union oder tun sie nur als ob? Angela Merkel muss als Ratsvorsitzender die divergierenden Wünsche der 27 einerseits verständnisvoll moderieren, andererseits unter Verweis auf die reale Lage zurückweisen. Zum Beispiel ist die Erwartung, dass die EU dem Süden Milliarden als Zuschüsse ohne Auflagen zur Verfügung stellt, die Hilfen für die Mitglieder im Osten aber an die Überprüfung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bindet, weder politisch noch logisch durchzuhalten. Warum sollen die zehn Ostländer, mehr als ein Drittel der 27, dem zustimmen?

Verschiedene Regeln für den Osten und den Süden, das geht nicht

Der Vorstoß des Portugiesen Antonio Costa – Rechtsstaatsfragen gehörten nicht in die Budgetgespräche – wäre die falsche Konsequenz. Wer EU-Geld will, muss die Regeln einhalten.

Das schließt Grundwerte in Polen und Bulgarien ebenso ein wie stabile Finanzen in Italien und anderen Südländern. Ein Bündnis der Ost- und der Südstaaten gegen die Nettozahler im Norden nach dem Motto „Jeder macht mit EU-Geld, was er will“ ohne Bedingungen und ohne Aufsicht, wäre ein Rückschritt für die EU, kein Fortschritt.

Jetzt muss Tacheles geredet werden. Italien schwindelt, wenn es behauptet, es gebe einen Weg, wie es an Milliarden aus Brüssel kommt, ohne seine Schuldenlast zu erhöhen.

Jedes Land muss die Rückzahlung seines Anteils an den Darlehen, die die EU aufnimmt, garantieren. Was ist das anderes als neue Schulden, selbst wenn die Hilfe als Zuschuss fließt?

Der Niederländer Mark Rutte darf Bedingungen und Überprüfungen fordern, nicht aber die EU blockieren, weil er daheim eine Wahl gegen seinen Finanzminister über den Wettbewerb gewinnen möchte, wer am meisten geizt mit Hilfe für die EU-Partner. Die EU muss sich beweisen. Oder sie wird belächelt.

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