Präsident demonstriert gegen Premier: Bulgarien hat ein Problem mit Demokratie und Rechtsstaat
Regierungschef Borissow lässt Mitarbeiter des Staatsoberhaupts Radew festnehmen. Wer ist hier der Schurke, wer die verfolgte Unschuld? Ein Kommentar.
Wer ist der Schuft – und wer der Saubermann? Bulgariens Regierungschef Bojko Borissow gilt als konservativ und proeuropäisch – und liegt jetzt im offenen Clinch mit dem sozialistischen und als moskautreu geltenden Staatspräsidenten Rumen Radew.
Nach Razzien am Amtssitz des Präsidenten waren dessen Sicherheitsberater und ein Antikorruptionsbeauftragter festgenommen wurden, denen fragwürdige Geschäfte und Geheimnisverrat vorgeworfen werden. Seither gibt es tägliche Demonstrationen in Sofia, die an diesem Donnerstag auch landesweit stattfinden sollen. Die Mafia sitze in der Regierung, sagen die Sozialisten. Der Präsident demonstriert mit.
Nun reist die Bundesverteidigungsministerin und CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer nach Bulgarien. Eigentlich ist sie auf einer Tour durch die ost- und südosteuropäischen EU- und Nato-Staaten, um über die Prioritäten der deutschen EU-Ratspräsidentschaft mit Fokus auf die Sicherheitspolitik zu sprechen. Sie wird jedoch den innerbulgarischen Konflikten nicht ausweichen können.
Etiketten wie links und rechts, proeuropäisch oder moskautreu helfen wenig auf dem Balkan. Und häufig weisen die Lebensläufe der Konkurrenten große Ähnlichkeiten auf. Borissow, 61, war in kommunistischer Zeit Offizier des Innenministeriums. In der Wende gründete er eine Firma für Personenschutz, die auch Simeon von Sachsen-Coburg zu Diensten war, dem letzten Monarchen von Bulgarien; als einziger Ex-König Europas wurde er in einer demokratischen Wahl Regierungschef (2001 bis 2005).
Danach kehrten die Sozialisten an die Macht zurück. Borissow, der da auf dem Ticket der Simeon-Partei Bürgermeister von Sofia war, gründete GERB: „Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens“. Die Bewegung wurde rasch zur führenden Partei und Borissow 2009 Premierminister.
Korruption und Stasi sind Probleme in beiden Lagern
Das blieb er bis heute mit zwei kurzen Pausen, die mit seiner Wiederwahl endeten. 2013/14 zerbrach seine Koalition im Konflikt um die Amtsenthebung des stasiverstrickten sozialistischen Präsidenten Georgi Parwanow. 2017 trat Borissow aus Protest gegen Radews Wahl zum Präsidenten kurzzeitig zurück.
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Borissow vertritt Oligarchen, tut wenig gegen Korruption und nimmt es mit der Fairness in Demokratie und Rechtsstaat nicht so genau. Die Europäische Volkspartei (EVP), der Borissows GERB angehört, äußert anders als im Fall des ungarischen Premiers Viktor Orbán kaum Bedenken.
Europas Parteienfamilien schweigen über die Fehler ihrer Freunde
Europas Sozialisten schweigen ebenfalls über die Verfehlungen ihrer bulgarischen Genossen. Präsident Radew, 58, wurde im Kommunismus Jagdflieger, was Systemtreue voraussetzte, absolvierte nach der Wende Lehrgänge in den USA und stieg zum Kommandeur der Luftwaffe auf.
Bulgarien hat ein generelles Problem mit Demokratie, Rechtsstaat und Einfluss aus Moskau. Es hatte sie schon vor dem Beitritt und hat sie nicht gelöst. Findet die EU ein wirksames Gegenmittel?