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Menschen im hessischen Wächtersbach versammeln sich zum Gedenken an den Mordversuch an einem Mann aus Eritrea am Montag.
© Kai Pfaffenbach/Reuters

Wächtersbach und der NSU: „Ein Signal an die Nazis: Ihr dürft töten, ihr habt Spielraum“

Die Gewalt von Rechts mahnt, grundsätzlich über Rassismus in Deutschland zu reden, sagt Tahir Della von der „Initiative Schwarze Menschen“. Ein Interview.

Herr Della, Nichtweiße sind hierzulande ohnedies Diskriminierung ausgesetzt. In letzter Zeit endete die auffallend oft in Gewalt. Was löst der Mordversuch von Wächtersbach in schwarzen Menschen aus?
Es ist eine ganze Reihe von Ereignissen: Der Mord am Kassler Regierungspräsidenten Lübcke, die Polizisten in Frankfurt, die schwangere Geflüchtete, der in Berlin der Notarzt verweigert wurde und die daraufhin wahrscheinlich ihr Baby verlor, oder der Tod von William Tonou-Mbobda im Hamburger Uniklinikum.

Wie erklären Sie sich das?
Ich sehe das Ende des NSU-Prozesses vor einem Jahr als Signal an die Nazis: Ihr dürft töten, es wird euch wenig passieren, ihr habt Spielraum. Jetzt zeigt sich mehr und mehr, dass sich Aktivisten aus der faschistischen Szene zur Jagd auf Menschen aufmachen, und dies ist auch nicht wirklich neu. Es sind aber nicht nur sie, es findet eine allgemeine Verrohung gegen Nichtweiße statt - die Fälle in Berlin und Hamburg betrafen Menschen, die Hilfe brauchten. Als Schwarze fragen wir uns: Wann wird der Diskurs über Rassismus endlich umfassend geführt? Wann wird anerkannt, dass wir da ein tiefgreifendes Rassismus-Problem haben?

Wie müsste das aussehen?
Zuerst braucht es das Eingeständnis, dass es ein Rassismus-Problem gibt, gesellschaftlich und strukturell. Das wird immer noch zu eng geführt, es geht stets um Nazis. Über Rassismus zu schweigen, macht das Problem aber nicht kleiner, sondern motiviert Leute erst loszuschlagen, weil sie annehmen können, ihr Tun werde von der Gesellschaft mitgetragen.

Welches Problem haben wir also?
Rassismus ist so tief verankert, und das wird oft nicht erkannt. Es genügt zu sehen, wie die deutschen Medien Trumps Beleidigungen gegen vier nichtweiße Abgeordnete aufgriffen. Dabei wurde deren Migrationshintergrund herausgestrichen. Migriert ist eine von ihnen, die anderen sind in den USA geboren. Migrationshintergrund hat der US-Präsident selbst. Aber: Er ist weiß. So wie hier stets von Fremden- oder Ausländerfeindlichkeit gesprochen wird, wenn es tatsächlich um Rassismus geht. Der Mann in Wächtersbach wurde nicht gefragt, ob er Deutscher ist. Auf ihn wurde seiner Hautfarbe wegen geschossen.

Ist die Unfähigkeit zur Auseinandersetzung mit Rassismus ein NS-Erbe? Sind andere Länder darin besser als die Deutschen?

Tahir Della ist Sprecher des Vereins Schwarze Menschen in Deutschland Bund e.V. (ISD).
Tahir Della ist Sprecher des Vereins Schwarze Menschen in Deutschland Bund e.V. (ISD).
© ISD

Ich fürchte nein. In den USA und England gibt es sicher eine längere Beschäftigung mit dem Thema, auch mehr Forschung, daher mehr Wissen - das kommt erst allmählich zu uns. Der gesamte weiße Teil der Welt hat sich nie wirklich seinem Rassismus und seiner 500 Jahre alten kolonialrassistischen Vergangenheit gestellt. Deutschland war gezwungen, sich mit der Shoah auseinanderzusetzen. Diese Auseinandersetzung wird aber zusehends museal, wir sehen es am hartnäckig fortbestehenden Antisemitismus und daran, dass immer noch jüdische Einrichtungen Polizeischutz brauchen.

Sind wir denn alle Rassisten?
Da der Rassismus nicht umfassend aufgearbeitet wird, prägt er uns von Kindesbeinen an und wir handeln entsprechend, oft unbewusst. Um Angst vorm Schwarzen Mann zu haben, braucht es keine Absicht und auch kein Bekenntnis zum Rassismus oder Nazismus. Und wenn Menschen eine nichtrassistische Sprache einfordern, heißt es: Wir lassen uns doch nicht von einer Minderheit unsere Sprache nehmen! Das zeigt, wie schwer uns das allen immer noch fällt. Es fehlt die Auseinandersetzung mit bestimmten Herrschaftsverhältnissen und Unterdrückung. Erst wenn das eingesehen würde, wäre auch anderes Handeln möglich.

Andrea Dernbach

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