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Streichen oder nicht? Das Wort "Negerkönig" in Astrid Lindgrens Pippi Langstrumpf.
© dpa

Rassismus in Kinderbüchern: Achtung, Zensur

Zuerst hat es den Vater von Pippi Langstrumpf - den "Negerkönig" - erwischt, nun soll Ottfried Preußlers kleine Hexe dran glauben. Aus alten Kinderbüchern werden jetzt Unwörter entfernt. Gelangt mit dieser Zensur die Literatur an ihr Ende?

Aus den alten Kinderbüchern werden jetzt die Unwörter entfernt. Zuerst hat es den Vater von Pippi Langstrumpf erwischt, der bei Astrid Lindgren im Original ein „Negerkönig“ war und zum „Südseekönig“ umgeschrieben wurde. Als nächster ist Ottfried Preußler an der Reihe, in seinem Klassiker „Die kleine Hexe“ verkleidet sich ein Kind als „Negerlein“. Das wird umformuliert. Preußler und Lindgren selbst sind über jeden Zweifel erhaben, ihre Bücher sind, wenn man sie als Ganzes betrachtet, kein bisschen rassistisch. Damals redete man halt so.

Mir fällt da der Mainzer Fastnachts- Sänger Ernst Neger ein. Die Negers sind eine alte Mainzer Sippe, hellhäutig übrigens. Ernst Neger war Dachdeckermeister, von ihm stammen Megahits wie „Humba Humba Täterä“ oder „Rucki Zucki“. Will man sich „Rucki Zucki“ bei iTunes im Internet herunterladen, akzeptiert Apple den Suchbegriff „Ernst Neger“ nicht mehr. Das Wort wird automatisch umgewandelt in „Ernst N***r“. Was passiert wohl, wenn einer der Negers zufällig einen dunkelhäutigen Menschen kennenlernt und sich mit den Worten „Angenehm, Neger!“ vorstellt?

Das ist ein großer Dachdeckerbetrieb. Wenn sich bei Neger ein dunkelhäutiger Mensch bewirbt, und sie nehmen ihn, kann der dann gegen den Namen seines Arbeitgebers klagen? Immerhin ist er gezwungen, seinen Chef täglich mit dem rassistischen Wort anzusprechen. Bei Wörtern, auch den bösen, kommt es immer auf den Zusammenhang an, in dem sie verwendet werden. Aber das ist manchen Leuten zu hoch. Die Moderatorin Sarah Kuttner bekam Ärger, weil sie in einem Buch das Wort „Negerpuppe“ benutzt hat – in der betreffenden Textpassage nannte sie allerdings selbst solche Puppen „rassistisch“. Irre: In einem antirassistischen Text soll die Autorin das, was sie anprangert, nicht beim Namen nennen dürfen.

In jedem alten Buch tauchen Begriffe auf, die heute erklärungsbedürftig oder überholt sind. Wer seinem Kind Wilhelm Busch vorliest, muss zum Beispiel das Wort „Fidibus“ erklären. So etwas erhöht manchmal sogar den Reiz des Vorlesens. Und wenn ein Mensch zum Rassisten wird, dann sicher nicht deshalb, weil er als Kind das Wort „Neger“ gehört hat. Im Kern geht es in dieser Debatte darum, ob in literarischen Werken Wörter, einzelne Wörter, vorkommen dürfen, die irgendeine Menschengruppe, vielleicht mit gutem Grund, als beleidigend empfindet.

Wenn wir da Zensur erlauben, dann ist, fürchte ich, die Literatur insgesamt an ihr Ende gelangt. Und wenn wir heute anfangen, alte Texte nach unseren aktuellen Vorstellungen umzuschreiben, dann werden wir sie in Zukunft wieder und immer wieder umdichten müssen. Denn die Welt dreht sich weiter, in 50 Jahren reden die Leute auch wieder anders.

Harald Martenstein

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