Robert Habeck: Der Ritt auf der grünen Welle
Robert Habeck ist mal beliebtester, mal zweitbeliebtester Politiker. Es gibt offenbar eine Sehnsucht nach einem wie ihm. Nur, was heißt das, einer wie er?
Im Kuhstall steht ein Mann mit blauen Plastiküberschuhen. Zwei Kamerateams filmen. Der Mann ruft eine Kuh. Die Kuh kommt nicht. Er streckt die Hand aus. Er beugt sich über die Absperrung, die Kuh und Mensch voneinander trennt. Die Kuh guckt.
Es ist ein diesiger Morgen in Steinhöfel, 60 Kilometer östlich von Berlin. Über den Feldern liegt ein Licht, das es beinahe unmöglich macht zu sagen, wo der leichte Nebel endet und der Himmel beginnt. Es ist kalt. Der Mann heißt Robert Habeck.
Habeck ist zu Besuch auf dem Hof des Landwirts Benjamin Meise, 740 Milchkühe, 3400 Hektar Land. Am 1. September wird in Brandenburg gewählt, das ist kein halbes Jahr mehr hin, politisch quasi übermorgen. Deswegen ist Habeck hier. Mal hören, was so ein Landwirt sagt.
Der Landwirt sagt: „Sie sind also der Bundesvorsitzende der Grünen.“
Meise ist ein großgewachsener Mann in hohen Gummistiefeln. Er ist Geschäftsführer der Fürstenwalder Agrarprodukte GmbH, die Lebensmittel aus regionaler Produktion auch online vertreibt. Manchmal schreibt er Texte, die auf der Internetseite der Firma veröffentlicht werden. Wenn ein neues Produkt ins Sortiment kommt etwa. Oder wenn er sich ärgert. Über Veganer – oder die eigene Branche. Benjamin Meise ist ein Freund klarer Worte. Leicht zu beeindrucken ist er nicht.
Er mag Termine mit Menschen, die ihm nicht nur wohlgesonnen sind
Robert Habeck gefällt das. Mal sehen, wie weit er bei Meise kommt. Bei den Deutschen ist er schon sehr weit gekommen. Im ZDF-Politbarometer rangiert er mal auf dem ersten, mal auf dem zweiten Platz der beliebtesten Politiker.
Es gibt offenbar eine große Sehnsucht nach einem wie Habeck. Nur: Was heißt das, einer wie er?
Habecks Standardantwort auf Fragen nach seinen Beliebtheitswerten lautet ungefähr so: „Achte ich nicht doll drauf.“ Und dass er Termine mit Menschen mag, die ihm nicht nur wohlgesonnen sind. „Wenn man für seine Überzeugungen arbeiten muss, dann ist das vor allem ein Ansporn“, sagt er, „und eine Mahnung, nicht zu glauben, dass man schon alle überzeugt hat.“
Er hat viel erreicht. Und noch große Pläne
Das klingt bescheidener als es womöglich ist. Der Satz beinhaltet, wie so oft bei Habeck, vieles. Man kann ihn auch so verstehen: Ich habe unverrückbare Überzeugungen, für die ich kämpfe, viele habe ich schon auf meiner Seite – und den Rest kriege ich auch noch.
Robert Habeck, 49 Jahre alt, hat ziemlich viel erreicht in den vergangenen zwei Jahren. Einerseits. Andererseits hat der Mann noch Pläne. Mit seiner Partei, die regierungswillig ist, an deren Doppelspitze er steht. Er, der laut jüngsten Umfragen – siehe oben.
Jetzt bloß keine Fehler machen.
Für seinen Vorschlag, große Wohnungsbaukonzerne als letzte Lösung für die allgemein grassierende Wohnungsnot zu enteignen, musste er sich heftig kritisieren lassen. „Unsinn“, sagte der baden-württembergische grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann. FDP-Frontmann Christian Lindner warf Habeck eine „brandgefährliche Klassenkampfrhetorik“ vor.
Ist das nun der erste ernsthafte Habeck-Knick?
In Steinhöfel hockt sich Benjamin Meise ins Stroh, Habeck ihm gegenüber. Vieles von dem, was die beiden besprechen, geht im Grummeln des Traktors unter, der über den Hof rumpelt. Eine Kuh schlabbert nun über Habecks Hand, die Männer lächeln, die Kameraleute filmen. Fleckvieh-PR.
Seine Partei soll alle umarmen
Authentizität, oder der Anschein derselben, ist die härteste Währung in der Politik. Weil Menschen Menschen wählen wollen und keine Roboter. Ist Robert Habeck authentisch? Er will anders sein als die üblichen Politiker. Das fängt bei Kleinigkeiten an: der kategorischen Weigerung, eine Krawatte zu tragen zum Beispiel. Es geht über seine Auftritte im Fernsehen, wo er sich als sensibler Denker präsentiert. Vor allem aber will Robert Habeck, dass die Grünen alle umarmen.
Dass er Interesse an Macht hat, braucht er dabei nicht mal zu sagen. Das übernehmen andere für ihn, wie ein beseelter Gründungsgrüner beim jüngsten Parteikonvent: Natürlich wollen wir ins Kanzleramt!
„Die Unterstellung, dass Authentizität nur eine Masche oder eine Show ist, treibt einen in den Zirkelschluss“, sagt Robert Habeck, durchaus leicht genervt. Alles an ihm sei bereits beschrieben worden, jedes Shirt, jeder Pullover, wie er die Haare trägt (verwuschelt!). „Ich kann nur schwören, dass ich mir darüber keinen großen Kopf mache“, sagt Habeck, lacht und schiebt nach: „Ah, er macht sich keinen großen Kopf, das ist ja eine interessante Masche.“
Willkommen in der Habeck-Matrix
Wer ist der echte Robert Habeck? Solche Fragen werden ihm ständig gestellt. Was ist denn darauf die richtige Antwort? Dann sitzt man ihm gegenüber, bei einem offiziellen Termin, sieht, sein Oberhemd ist schief zugeknöpft, und erwischt sich beim Gedanken: Ist das Absicht? Willkommen in der Habeck-Matrix.
Es ist schwer, ihn nicht zu mögen. Sagen Menschen, die ihn nicht mögen.
Ein Termin im Stroh, so etwas liegt Robert Habeck. Er mag das auch. Sechs Jahre ist er in Schleswig-Holstein Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung gewesen, „Draußenminister“, so hat er selbst diesen sperrigen Titel abgekürzt. Auf den Knöpfen seiner schwarzen Wolljacke sind kleine Anker eingeprägt, um das Wesen seiner Klientel zu verstehen, hospitierte er vor Jahren auch auf einem Krabbenkutter. Unbenommen, dass ihn sein Ministeramt geprägt hat. Das Aufwachsen in der norddeutschen Provinz sowieso.
Dass ausgerechnet Landwirte nicht zu seinen Fans zählen, erklärt sich fast von selbst: Habeck, der Grüne, wünscht sich – kurzgefasst – mehr Ökolandbau, mehr Bio mit wenigen, glücklichen Tieren. Die Bauern sagen, sie brauchen die massenhafte Produktion, um bei den geringen Preisen ihre Familien überhaupt ernähren zu können.
Als Habeck 2018 nach Berlin wechselte, rief ihm der Präsident des schleswig-holsteinischen Bauernverbandes hinterher: Der hat überhaupt nichts gelernt! Heute erklärt Werner Schwarz, er habe das damals im Affekt gesagt. Bei einem Telefonat lässt er auf Robert Habeck nichts kommen. „Er ist offen und verlässlich – und klar in der Aussage“, sagt Schwarz, der lieber konstruktiv streitet, als gar nicht zu reden.
„Er hat die Gesprächskultur in Schleswig-Holstein deutlich verändert, zum Guten“, sagt Schwarz. „Bevor er Minister war, gab es mit den Grünen, mit Umwelt- und Naturschutzverbänden wenig konstruktiven Austausch. Heute ist das anders, und das ist gut und richtig. Auch die Bauern untereinander haben angefangen, anders zu diskutieren.“
Das Urteil: netter Typ. Mit dem kann man reden
Nach dem Vormittag in Steinhöfel machen sich Landwirt und Politiker, ohne es zu wissen, das exakt gleiche Kompliment: netter Typ. Mit dem kann man reden.
Viel mehr als reden bleibt ihm derzeit auch nicht. Ein Bundestagsmandat– wie seine Co-Vorsitzende Annalena Baerbock – hat er nicht. Er kann viel fordern, muss aber konkret nichts einlösen. Im Moment ist das anscheinend ein Vorteil.
„Das ist einer der Hauptgründe, warum es mir so schwerfiel, aus dem Ministerium rauszugehen“, sagt Habeck. „Da war alles konkret, jede Entscheidung hatte direkte Auswirkungen. Verantwortung war unmittelbar. Das habe ich eingetauscht gegen viel reden.“ Es ist PR in eigener Sache – und die wird ihm leicht gemacht.
Kein anderer Politiker war 2018 häufiger in Talkshows zu Gast als Robert Habeck. Er gibt so viele Interviews, dass es nicht möglich ist, den Überblick zu behalten. Kaum jemand wird so gern für Auftaktveranstaltungen eingeladen wie er, weil sicher ist: Das wird schon irgendwie unterhaltsam.
Ihm fällt schon etwas ein, er hat schließlich Philosophie studiert
Zu beinahe jedem Thema leitet Robert Habeck Kompetenz aus der eigenen Person ab: Gleichberechtigung? Gemeinsam mit seiner Frau Andrea Paluch hat er vier Söhne großgezogen und Bücher geschrieben. Sport? Er ist glühender Handballfan. Europa? Er lebt in der dänisch-deutschen Grenzregion, spricht gut Dänisch, hat während des Studiums in Kopenhagen gewohnt. Bis heute schwärmt er von einer Interrail-Tour kurz nach dem Abitur. Politik? Eh klar. Alles andere? Da fällt ihm schon etwas ein, er hat schließlich Philosophie studiert. Er bemüht sich, Antworten zu finden auf alle ihm gestellten Fragen. Und wenn er mal keine hat, sagt er: „Weiß ich nicht.“ Na sowas.
Bei jedem Talkshowauftritt haben mehr schockverliebte ältere Damen das Gefühl, sie hörten einem guten Freund beim Reden zu. Wie macht er das nur? „Er ist“, sagt einer, der ihn nicht arg schätzt, „ein Meister seines Fachs.“ Und meint: volksnah auf Knopfdruck, je nach Situation. Der das sagt, kennt ihn auch anders. Unbeherrscht, aufbrausend, durchaus autoritär. Vor zwei Jahren hieß es, er habe dem SPD-Mann Ralf Stegner im Kieler Landtag den Mittelfinger gezeigt. Hab’ ich nicht – sagte Habeck.
Geil, Pennen, Augenherpes - er haut Worte raus
Die Öffentlichkeit aber bekommt den anderen Habeck vorgeführt, den ruhigen, gewinnenden. In nordischem Nuscheln zimmert er manchmal bandwurmlange, tiefsinnige Sätze, um bei nächster Gelegenheit Worte rauszuhauen, die auf dem ausgetretenen Politparkett wirbeln wie Wollmäuse. Geil. Pennen. Augenherpes.
Ein Abend im Januar, eine Galerie in Berlin-Mitte. Der Fotograf Dominik Butzmann hat zur Eröffnung einer Ausstellung geladen, „Haltung“ ihr Titel, zu sehen ist „politische Fotografie“, darunter viele Porträts. Auch Robert Habeck ist auf einem der Bilder zu sehen. Es ist eine Aufnahme von seiner Sommerreise 2018, Habeck grüßt Beamte der Bundespolizei am Grenzübergang nach Österreich im bayerischen Freilassing. Aufregender ist für die Gäste des Abends aber, dass der Grüne tatsächlich vorbeikommen wird, um eine Rede zu halten.
Das macht er frei, wie immer. Steht mit dem Rücken zur Wand, die Gäste im Halbkreis um ihn herum. Er spricht darüber, wie es geht, einen Menschen respektvoll abzubilden. Darstellen, was ist?
„Es geht am besten so, indem man eine Nähe aufbaut, aber im Moment des Fotografierens einen Schritt zurücktritt.“
Sagt Habeck und macht es nicht anders. Längst hat er ein Bild von sich entworfen – normaler Typ mit normalem Leben – in seinen politischen Büchern und auch in seinen Interviews, die er akribisch autorisiert. Es ist ein nachvollziehbarer Wunsch, die Kontrolle zu behalten über die eigene Außenwirkung und ein letztes bisschen Privatsphäre. Zumal wenn man, wie Habeck, schon Opfer eines Datenhacks war. Ende 2018 waren massenhaft Daten von Prominenten im Netz veröffentlicht worden, darunter Whatsapp-Chats von Habeck und seiner Familie.
Wenige Tage bevor Robert Habeck am Abend in der Galerie spricht, hat er sein Twitter- und Facebook-Konto gelöscht, es ist die größte mediale Aufregung des beginnenden Jahres. Ein schnell bei Twitter hochgeladenes Video, in dem er Thüringen wünschte, es möge ein demokratisches Land werden, sorgte für Ärger – nicht nur bei den Thüringern. Für den Fehler hat Robert Habeck sich tausendfach entschuldigt. Ausgerechnet er, Mann der Sprache, demokratisch bleiben, werden, ohgottohgott. Habeck beteuerte im Nachhinein, er habe ohnehin schon länger aus den sozialen Netzwerken aussteigen wollen. Es machte seine Reaktion nicht weniger radikal.
Er will populär sein. Und im Park die Schuhe ausziehen können
Eine öffentliche Person zu sein, so erklärt es Robert Habeck im direkten Gespräch, empfinde er als Last. Lehnt sich zurück und verschränkt die Arme vor der Brust. „Einerseits ist die Aufgabe natürlich, und das war Annalena und mir klar, als wir kandidierten, möglichst bekannt und populär zu werden. Andererseits möchte man sich am Sonntagnachmittag auch einfach mal in die Sonne in irgendeinem Park setzen und vielleicht die Schuhe ausziehen, ohne anschließend lesen zu müssen: Parteichef hat Löcher in den Socken. Oder so.“ Wenn man beginne, über so etwas nachzudenken, werde es kompliziert.
Berufsrisiko des Berufspolitikers, oder? Über Annalena Baerbocks Socken weiß man nichts.
Ein regnerischer Abend im Frühjahr 2002 - der Beginn
Der ehemalige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat die beiden Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck in einem „Handelsblatt“-Artikel als „unverhoffter Glücksgriff der grünen Basis“ bezeichnet. Fragt man nach bei dieser Basis, so schwärmen viele, welch exzellente Arbeit Annalena Baerbock mache; die beiden Vorsitzenden wiederum beschwören ihre gute und enge Verbindung. Und trotzdem wird am Ende wieder ein langer Text über Habeck geschrieben.
Wie Robert Habeck zu den Grünen kam, das hat er mittlerweile oft erzählt und auch geschrieben. Es war ein regnerischer Abend im Frühjahr 2002, als er zu einer Mitgliederversammlung des Kreisverbandes Schleswig-Flensburg fuhr, im Kopf das Bild von „coolen, Robin-Hood-ähnlichen Vorkämpfern für eine bessere Welt“. Es war dann anders.
Wer sagt, dass man nicht träumen darf?
„Im Hinterzimmer eines Landgasthofs saßen ungefähr fünfzehn Menschen, sie wirkten müde und etwas lustlos.“ Auftritt Habeck – der den Gasthof am Ende des Abends als frisch gewählter Kreisvorsitzender verließ. Einer muss es ja machen! Ein bisschen schwingt dieser Gedanke vielleicht auch heute – nach Wahlen zum Landes- und Bundesvorsitz, nach Jahren als Minister – noch mit, wenn Robert Habeck über seine Sicht der Dinge spricht. Über seine Visionen für die Grünen, ach was, für das Land und die ganze Welt. Wer sagt, dass man nicht träumen darf? Vielleicht lässt sich Habecks Erfolg auch so erklären: Schon viel zu lange traute sich das niemand mehr.
Einer, der in etwa zur gleichen Zeit wie Robert Habeck bei den schleswig-holsteinischen Grünen eintrat, ist Arfst Wagner. Ein Jahr saß der 65-Jährige für seine Partei im Bundestag, 2015 bis 2017 war er Landesvorsitzender in Schleswig-Holstein, 2018 trat er aus.
"Viele bei den Grünen stützen ihn nur, solange er erfolgreich ist."
„Andere dienen sich hoch, bei ihm ging das alles recht schnell“, sagt Arfst Wagner über Habeck und fügt sogleich hinzu: „Er kann auch abstürzen, viele bei den Grünen stützen ihn nur, solange er erfolgreich ist und der Partei nützt.“
In Schleswig-Holstein, erinnert sich Wagner, „galt Habeck gelegentlich als Risikofaktor. Niemand hat ihn im Griff. So ist das bei wirklich kreativen Menschen.“ Wagner lacht am Telefon, sagt, dass er das mag, dass Politik so etwas braucht. Wagners Thema ist das bedingungslose Grundeinkommen, für das er sich seit Jahren einsetzt. „Wir müssen aus den Parteiideologien raus und gesamtgesellschaftlich denken! Ein neuer Gesellschaftsvertrag muss her.“
Es ist ein Satz, der auch von Robert Habeck stammen könnte.
Im November 2018 legt der einen Plan zur Abschaffung von Hartz IV vor, „Anreiz statt Sanktionen, bedarfsgerecht und bedingungslos“ lautet die Überschrift, die den Inhalt zusammenfasst. „Ohne soziale Sicherheit gibt es keine politische und individuelle Freiheit. Ohne Sicherheit funktioniert keine Teilhabe und gerät Demokratie in Gefahr. Wir müssen das Garantieversprechen des Sozialstaats erneuern“, schreibt Habeck und verlangt, politische Probleme nicht zu privatisieren.
Die SPD, Mutterpartei der Hartz-Reformen, reagiert wie angestochen. Jaja, die Zeiten ändern sich, doch so wie der sich das vorstellt, so geht es nicht.
Wie stellt er es sich denn vor? Bis ins Detail genau sagt Robert Habeck das nicht.
Ein Problem? Realpolitik
Er will das Schonvermögen anheben, er will Sanktionen abschaffen und die Zuverdienstgrenze höher ansetzen: 30 Prozent des Hinzuverdienten sollen die Menschen behalten dürfen. „Eigentlich wollten wir noch mehr, aber dann ist folgendes Problem aufgetreten: Realpolitik.“ Heißt: Es wäre nicht nur rasend teuer, wie das ganze Vorschlagspaket – Habeck rechnet mit 30 Milliarden Euro pro Jahr –, sondern unfinanzierbar. Ein paar Millionen mehr Empfänger der Garantiesicherung kämen noch dazu.
Ich finde ihn, wie sicher viele, klug und sympathisch. Aber er sollte einfacher und verständlicher reden. Wie es mit dem zukünftigen Handeln steht, ist gar nicht abzuschätzen.
schreibt NutzerIn AlfTusko
Robert Habeck spricht darüber an einem Abend Ende Februar, auf einem Podium im Orwohaus in Berlin-Marzahn. Die Fraktion der Grünen aus Lichtenberg hat zu einer Diskussion eingeladen. „Was machen wir aus Hartz IV?“ ist die Fragestellung des Abends. Die Stuhlreihen sind gut gefüllt, nur weit hinten sind noch Plätze frei. Es sind viele Grüne gekommen, diskutiert wird in einer Art rotierendem Verfahren. Wer etwas zu sagen hat, nimmt dafür kurz auf einem der fünf Stühle auf der Bühne Platz.
Der Kopf leicht schief, die Stirn in Falten
Robert Habeck sieht müde aus an diesem Abend. Abgekämpft. Die Diskussion verfolgt er mit ernstem Blick und im Habeck-Zuhör-Gestus: den Kopf leicht schief gelegt, die Stirn in Falten, die Augen etwas zusammengekniffen.
Er spricht von der Würde des Menschen, davon, die Gesellschaft wieder stabilisieren zu wollen, von einer höheren Vermögenssteuer – wenn nötig. „Man kann das Umverteilung nennen, man kann auch sagen: Die Gesellschaft rückt wieder näher zusammen.“ Köpfe nicken.
Auf dem Podium diskutiert alles in Richtung Habeck. Was sagt Robert dazu? Robert, was meinst du? Als vergewisserten sich alle durch ihn ihrer selbst. Robert sagt, also sind wir. Im Publikum wirkt der Habeck-Effekt. „Alles, was er sagt, hat absolut Substanz“, sagt eine. „Das ist total vage“, meint ein anderer. Ein jeder findet in seinen Worten, was er finden will.
Eine neue Phase für seine Partei
„Ohne eine politische Erzählung kann keine gesellschaftliche Idee entfaltet werden“ – das hat Robert Habeck in einem seiner Bücher geschrieben.
Herr Habeck, welche Erzählung bieten Sie an?
„Eine positive Erzählung des Wandels, eine Bejahung der gesellschaftlichen Prozesse, die uns weiterbringen. Unsere Partei wächst in eine neue Phase hinein. Wir versuchen jetzt, die gesamtgesellschaftliche Erzählung zu beschreiben. Während wir zuvor eine Art Avantgarde-Milieu bedient haben.“
Bei den Grünen begrüßen sie seine aufmüpfigen Vorstöße – und betrachten sie misstrauisch. Zum grünen Wählerklientel gehört traditionell eher das Gegenteil des Hartz-IV-Empfängers. Selbst gründungsgrüne Spontis sitzen heute in Eigentumswohnungen. Habeck bringt die Partei voran und ins Gespräch und manchmal ein bisschen mehr als das. Stichwort Enteignungen.
Die Zukunftsfrage. Das sei jetzt wichtig
Zu günstig sind die Zeiten, zu aktuell plötzlich die Themen der Partei. Robert Habeck erlebt das auf seinen ständigen Reisen durch diese Republik. Es gebe eine Veränderung, sagt er. Ging es im vergangenen Jahr noch darum, die gesellschaftliche Mitte gegen akut um sich greifende AfD-Positionen zu verteidigen, seien nun ganz andere Themen entscheidend. „Im Moment ist eher die Zukunftsfrage wichtig, wie lebt die kommende Generation und reicht die Politik überhaupt noch an die Größe der Probleme heran?“
Was ist das für ein Land, Herr Habeck?
„Ein Land auf der Suche.“
Wonach?
„Nach einem Wir-Verständnis. Wer ist das deutsche ,Wir’ im Jahr 2019 und folgende?“
Mitte März sucht Habeck Spurenelemente des Wir im Erzgebirge, Glashütte, rund 40 Autominuten von Dresden entfernt. Bei der Bundestagswahl 2017 holte Frauke Petry hier ein Direktmandat. Knapp 40 Prozent der Glashütter, von denen es 1700 gibt, schenkten bei der letzten Wahl ihre Stimme der AfD.
„Schön hier“, sagt Habeck, als der Wagen durch den Ortskern rollt, vorbei an sauber gestrichenen Häuserfassaden und einem Gasthof, über dessen Tür ein Plakat den „Haxen- und Rippchentag“ preist. Glashütte ist seit 170 Jahren Heimat berühmter Uhrenmanufakturen. A. Lange & Söhne haben hier ihren Firmensitz, Glashütte Original – und seit 1990 Nomos Glashütte, jenes Unternehmen, das Robert Habeck an diesem Tag besuchen wird. Anfang des vergangenen Jahres hatte die Geschäftsführung beschlossen, dem um sich greifenden Rassismus und der Fremdenfeindlichkeit, die in Sachsen so überdeutlich spürbar sind, etwas entgegenzusetzen. Seither können die Mitarbeiter Workshops besuchen, anonym, in denen die Parolen und „Fakten“ der Rechten gegengecheckt, Ängste und Befürchtungen besprochen werden. Ein Drittel der Belegschaft, heißt es, habe schon an so einem Workshop teilgenommen.
"Vaterlandsliebe fand ich stets zum Kotzen"
Wie funktioniert das hier, bei Nomos Glashütte, dieses Positionbeziehen? Ginge das nicht auch anderswo?
Im Ort hängen an diesem Tag Flyer, darauf ein Bild von Habeck und ein aus dem Zusammenhang gelöstes und unvollständiges Zitat aus seinem Buch „Patriotismus. Ein linkes Plädoyer“: „Vaterlandsliebe fand ich stets zum Kotzen. Ich wusste mit Deutschland noch nie etwas anzufangen und weiß es bis heute nicht.“ Dieser Mensch besucht am 12. März Nomos Glashütte – steht fett gedruckt darunter.
Robert Habeck hat darüber gesprochen und geschrieben, wie die Wiedervereinigung an ihm, dem damals 19 Jahre alten Zivildienstleistenden, vorbeigegangen ist; wie er nicht begriff, dass sich mit dem Zusammenbruch des Kommunismus die Welt neu ordnete. Wenn er heute sagt, dass die Grünen versäumt haben, eine ostdeutsche Identität aufzubauen, dann klingt es so, als beschuldige er ein Stück weit auch sich selbst. Das Wir, es fühlt sich noch nicht so geschmeidig an, sechs Monate bevor auch Sachsen einen neuen Landtag wählt.
Eine westdeutsche Akademikerpartei. Den Ruf gibt es immer noch
Robert Habeck wird später sagen, dass er es auch als seine persönliche Verantwortung sieht, dass die Landtagswahlen im Osten gut ausgehen. „Wir begreifen das auch als unseren Wahlkampf“, erklärt er, „nicht nur den der Landesverbände.“ Immerhin hat sich die Mitgliederzahl der sächsischen Grünen seit der letzten Landtagswahl verdoppelt. Wird es gelingen, den Ruf der westdeutschen Akademikerpartei zu brechen?
Zunächst: Werksführung bei Nomos Glashütte. Hochkonzentrierte Mitarbeiter sitzen in weißen Kitteln aufrecht an schulterhohen Tischen, die Arme auf speziell angefertigten Ablagen, viele blicken durch dicke Lupengläser. Zig kleinste Arbeitsschritte sind nötig, bis die Uhren Uhren sind. Robert Habeck ist interessiert, er fragt nach, er blickt durch ein Vergrößerungsglas auf die Unruhwelle, ein winziges Rädchen, Herzstück des Uhrwerks, das alles antreibt. „Ich möchte gern die Unruhwelle im politischen System sein“, sagt Habeck und freut sich über die Vorlage. „Das ist doch ’ne geile Metapher!“ Die mitgereisten Journalisten notieren.
Er musste singen, es gelang ihm nicht gut
Einen älteren Herrn, auf dessen Tisch die Uhren zum ersten Mal ticken, fragt er: „Merkt man noch, was das für eine Romantik hat?“ Nee, sagt der Mann, das wird Routine.
Robert Habeck hat mal geschrieben, dass er befürchtet habe, in der Politik, unter all den Kompromissen, Paragrafen und Zwängen seine Leidenschaft zu verlieren. Doch das Gegenteil sei der Fall: Sein Idealismus sei im Amt gewachsen.
Heute erzählt er gern eine Geschichte aus seiner Schulzeit, sie findet sich auch in einem seiner Bücher. Er spielte Theater, den Bettlerkönig Jonathan Jeremiah Peachum in Bertolt Brechts „Dreigroschenoper“ und natürlich musste er singen – was ihm nicht gut gelang. Je mehr er es versuchte, desto schlimmer wurde es. So fragte er seinen Kumpel Jan, den Mackie Messer, wieso er seinen Vortrag so gut hinbekomme, obwohl er keinen Deut besser singen könne. „Stimmt“, sagte der, er lasse sich das nur nicht anmerken. „Du musst dir vornehmen, selbstbewusst zu sein, um selbstbewusst zu werden.“
Heute ist Robert Habeck der Charakterdarsteller der deutschen Politik. Aus seiner frühen Bühnenerfahrung hat er das Wissen mitgenommen: „Man kann das Glück auch herbeidrücken.“ Er wird wissen: Auf der großen Bühne in Berlin ist das auf Dauer ein Kraftakt.