Debatte um Enteignung: SPD verschärft Kritik an Grünen-Chef Habeck
Für Robert Habeck sind Enteignungen "notfalls" ein Mittel, um gegen die Wohnungsnot in Städten vorzugehen. Die SPD schießt sich auf den Grünen-Chef ein.
Nach scharfen Tönen von Grünen-Parteichef Robert Habeck in der Debatte um bezahlbaren Wohnraum werfen SPD-Politiker ihm nun Doppelzüngigkeit und Ahnungslosigkeit vor. Der Grünen-Politiker hatte erklärt, „notfalls“ müssten Enteignung erfolgen. Zudem hielt er der Bundesimmobiliengesellschaft BimA vor, ihre Grundstücke „noch immer meistbietend" zu verkaufen. Die SPD-Spitze lehnt den Enteignungs-Vorschlag ab. Auch der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann widersprach seinem Vorsitzenden.
SPD-Politiker üben scharfe Kritik an Habeck
Beim Thema bezahlbares Wohnen sei bei Habeck und den Grünen „Reden und Handeln zweierlei“, sagte SPD-Parteivize Ralf Stegner. Der Grünen-Politiker habe im Koalitionsvertrag für die Jamaika-Koalition in Kiel ausgehandelt, dass die Mietpreisbremse abgeschafft werde und dies damit begründet, sie sei wirkungslos. Dabei habe ein Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) selbst der alten, inzwischen nachgebesserten Mietpreisbremse durchaus Effizienz bescheinigt. „Dann selbst später Enteignungen zu fordern ist ziemlich scheinheilig“, meinte Stegner. Zudem hätten die Landes-Grünen gemeinsam mit CDU und FDP den SPD Antrag abgelehnt, kommunale Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften finanziell zu unterstützen.
Kritik am Enteignungsvorschlag kam auch von Sozialdemokraten in Baden- Württemberg. „Dass diese Debatte nun ausgerechnet von den Grünen forciert wird, ist ein völlig untauglicher Versuch, einfache Lösungen zu suggerieren“, sagte Landes- und Fraktionschef Andreas Stoch: „Viel hilfreicher wäre es, wenn die Grünen damit aufhören würden, auf kommunaler Ebene, aber auch in der Landes- und Bundespolitik einen verstärkten Wohnungsbau zu blockieren.“ Gerade in Baden-Württemberg werde von Tag zu Tag deutlicher, dass den Grünen „alles Mögliche wichtig ist, nur bezahlbarer Wohnraum für Familien nicht“. Unter Schwarz-Grün sei das Land von einer echten Wohnraumoffensive "meilenweit entfernt".
SPD-Politiker Schneider: Habeck hat keine Ahnung davon, wie die Realität ist
Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider, warf Habeck im Hinblick auf dessen Äußerungen zur BimA vor, er wolle „auf einer Welle surfen, ohne eine Ahnung davon zu haben, wie die Realität ist“. Anders als dieser in „völliger Unkenntnis“ behaupte, habe Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) die frühere BimA-Praxis längst abgestellt, Immobilien meistbietend zu veräußern. 2018 sei die Möglichkeit geschaffen worden, diese günstig an Kommunen zu verkaufen, wenn sie Sozialwohnungen bauen wollten.
Auch bei den Grünen sind nicht alle ganz glücklich darüber, mit welche Verve der Parteichef über Enteignungen und die im Grundgesetz verankerte Allgemeinwohlverpflichtung von Eigentum redet. Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann hält Debatten über die Enteignung von Wohnungsbaugesellschaften für „unsinnig“. Um diese zu entschädigen, müsse man „gigantische Summen“ zahlen, die man lieber in den Neubau von Wohnungen stecken solle. Ähnlich argumentiert sein Parteikollege Tarek Al-Wazir aus Hessen.
Grüne Haßelmann: "Haben einen wunden Punkt getroffen"
Doch angesichts der heftigen Kritik an Habeck schließen sich bei den Grünen zugleich die Reihen. Dass CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak dem Grünen-Chef „DDR-Methoden“ unterstellte und eine Zusammenarbeit seiner Partei mit den Grünen infrage stellte, findet die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im Bundestag, Britta Haßelmann, befremdend. „Das zeigt doch, dass wir einen wunden Punkt getroffen haben“, sagt sie.
Doch Haßelmann will auch vermeiden, dass in der Öffentlichkeit der Eindruck hängen bleiben könnte, dass den Grünen gegen die aktuelle Wohnungsnot nur Enteignungen einfielen. Sie redet lieber über die praktischen Vorschläge ihrer Partei, wie in Ballungsräumen bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden kann. Auch deswegen hat sie im Namen ihrer Fraktion für diesen Mittwoch eine aktuelle Stunde im Bundestag beantragt.
Wohnen ist die "neue soziale Frage"
Schon im Bundestagswahlkampf 2017 hatten die Grünen versucht, Wohnen als die „neue soziale Frage“ ins Zentrum zu stellen. Das Baukindergeld der großen Koalition helfe nicht gezielt gegen Wohnungsnot in Großstädten, sagt Haßelmann. Doch dafür gebe der Bund so viel Geld aus wie insgesamt für den sozialen Wohnungsbau seit 2007. Ein Instrument, mit dem die Grünen in den nächsten zehn Jahren eine Million neue Wohnungen schaffen wollen, ist das der „neuen Wohngemeinnützigkeit“: Jährlich soll der Bund Zuschüsse von drei Milliarden Euro für Unternehmen zahlen, die neue dauerhaft günstige Mietwohnungen bauen oder bestehende Wohnungen binden.
Die Grünen fordern darüber hinaus unter dem Namen "100.00 Dächer" ein Förderprogramm, mit dem in den nächsten drei Jahren Dachgeschosse ausgebaut werden sollen. Laut einer Studie der Technischen Universität Darmstadt und des Pestel-Instituts gibt es ein großes Potential ungenutzter Dachgeschosse und Dachflächen für über eine halbe Million Wohnungen.