Grünen-Vorsitzender: Hartz 5.0 – wie Habeck die SPD unter Zugzwang setzt
Mit seinem Papier zu Hartz IV drängt Grünen-Chef Habeck die Sozialdemokraten in die Defensive. In der Bevölkerung stößt das Thema auf große Zustimmung.
Bei der SPD werden sie sich in diesen Tagen ein bisschen wie beim Wettlauf zwischen dem Hasen und dem Igel gefühlt haben. Kaum verspricht SPD-Chefin Andrea Nahles ihren Genossen eine umfassende Sozialstaatsreform, schon legt der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck Ideen vor, die deutlich weitergehen. „Wir werden Hartz IV hinter uns lassen“, hatte Nahles am Wochenende beim Debattencamp ihrer Partei versprochen, ohne allerdings konkret zu werden. Wenige Tage später veröffentlichte Habeck ein Konzept, das in groben Zügen eine Alternative zu Hartz IV skizziert.
In der SPD provoziert er mit seinem Vorstoß eher gereizte Reaktionen. „Jeder, der arbeiten kann, der muss auch arbeiten“, entgegnete SPD-Vize Ralf Stegner. Dass die neuen Grünen-Chefs sich nicht auf Ökologie beschränken, sondern in den letzten Monaten die soziale Frage massiv ins Zentrum gestellt haben, dürfte viele Genossen alarmiert haben.
Dabei ist Habecks Stoßrichtung nicht ganz neu. „Die Zeit ist über Hartz IV hinweggegangen“, hatte er schon im Frühjahr gesagt. Ohnehin nehmen die Grünen seit einer Weile Abstand von den Regelungen, die sie zu rot-grünen Regierungszeiten mit beschlossen hatten. In Wahlprogrammen forderten sie immer deutlichere Korrekturen, sei es bei den Sanktionen oder der Anrechnung des Zuverdiensts. Doch so deutlich wie Habeck hatte es aus der Grünen-Führungsriege in den letzten Jahren keiner ausgesprochen.
Der Grünen-Chef hat es da auch einfacher als andere. Als Hartz IV 2003 im Bundestag debattiert wurde, war der Parteineuling Kreisvorsitzender in Schleswig-Flensburg. Katrin Göring-Eckardt hingegen fiel es nie leicht, sich glaubwürdig von Hartz IV abzusetzen, schließlich stand sie schon unter Rot-Grün an der Spitze der Grünen-Bundestagsfraktion.
Anreiz statt Bestrafung
Nun skizziert Habeck erstmals konkret, was anstelle des Hartz IV-Systems treten soll. Bis zum März 2020 wollen die Grünen sich ein neues Grundsatzprogramm geben, zum 40. Geburtstag der Partei soll es fertig sein. In sechs Arbeitsgruppen wird in der Partei derzeit über die großen Fragen dieser Zeit diskutiert, von der Ökologie über die Digitalisierung bis zur Bioethik.
Nach längeren internen Debatten wollte Habeck nun offenbar einen ersten inhaltlichen Aufschlag machen. Konkret schlägt er vor, Hartz IV durch eine Garantiesicherung zu ersetzen, die auf Anreiz statt Bestrafung setzt: Arbeitslose, die nicht mit dem Jobcenter zusammenarbeiten, sollen nicht mehr sanktioniert werden. Anders als bei einem bedingungslosen Grundeinkommen, das bei den Grünen ebenfalls viele Anhänger hat, soll die Garantiesicherung nur an die ausgezahlt werden, die Unterstützung benötigen: „Nach wie vor gibt es eine Antragstellung und die Bedürftigkeit muss nachgewiesen werden“, heißt es in dem Papier.
Darin fordert Habeck außerdem höhere Leistungen, eine Anhebung des Schonvermögens auf 100.000 Euro, sowie großzügigere Zuverdienstregeln. Er rechnet damit, dass vier Millionen Haushalte mehr Anspruch auf eine Garantiesicherung hätten als heute Hartz IV beziehen. „Es gäbe es zwar mehr Empfänger der Garantiesicherung, aber weniger Armut“, verspricht Habeck. Die Kosten schätzt er auf rund 30 Milliarden Euro.
Die SPD setzt Habeck damit unter Zugzwang. Dass die Sozialdemokraten sich dem Thema überhaupt widmen wollen, stößt in der Bevölkerung auf breite Zustimmung. Laut ARD-Deutschlandtrend sagen drei Viertel der Befragten, sie fänden es gut, dass die SPD ihr Großprojekt aus der Ära Schröder korrigieren wolle.
Parteiintern geht Habeck mit seinem Vorstoß auch ein Risiko ein. Zwar sind die Hartz-IV-Kritiker bei den Grünen angetan, dass er diesen Punkt so offensiv setzt. Doch sobald es um Einzelheiten geht, muss er mit Widerspruch rechnen. Etwa bei der Frage, ob Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets für Kinder direkt an die Eltern ausgezahlt werden, wie Habeck fordert. Oder ob mit dem Geld die Infrastruktur für Kinder in den Kommunen gestärkt werden soll. Was am Ende der Debatte übers Grundsatzprogramm von seinem Konzept übrig bleibt, muss sich noch zeigen.