21. Weltklimagipfel in Paris: Das bringt das Klimaabkommen
Alle Staaten verpflichten sich, den Ausstoß von Kohlendioxid zu beenden. Dafür haben sie zwischen 40 und 70 Jahre Zeit. Ein Signal für den Ausstieg aus der Kohle – überall.
Die Welt „hält den Atem an“. Das sagte der Präsident des 21. Weltklimagifels in Paris am Samstag, eine Stunde, bevor er die letzte Fassung des neuen, umfassenden Klimaabkommens öffentlich machte. „Das ist ein historisches Abkommen“, fügte Laurent Fabius hinzu. Es dauerte noch bis 19.20 Uhr, bis er einen kleinen grünen Hammer fallen lassen konnte, und das Abkommen, um das er tage- und nächtelang gekämpft hatte, verabschiedet war. Fabius strahlte, und der französische Präsident François Hollande und UN-Generalsekretär Ban Ki Moon wollten den Erfolg nur zu gerne mitfeiern, nachdem Sie am frühen Nachmittag noch einmal aufrüttelnde Ruck-Reden für den Vertrag gehalten hatten.
Angela Merkel feierte aus der Ferne mit. In Berlin bezeichnete sie die Einigung als ein "Zeichen der Hoffnung". Zwar bleibe noch viel Arbeit, doch habe sich im Kampf gegen die Erderwärmung "zum ersten Mal die gesamte Weltgemeinschaft zum Handeln verpflichtet", sagte die Bundeskanzlerin.
Das Pariser Klimaabkommen bildet den Rahmen für den globalen Klimaschutz der kommenden Jahrzehnte und soll 2020 in Kraft treten. Der Vertrag, der für alle 196 Vertragsparteien – 195 Länder und die Europäische Union – gelten soll, ist auf Zuwachs angelegt. Der Ehrgeiz bei der Minderung der Treibhausgasemissionen soll alle fünf Jahre gesteigert werden. Die Grundlage dafür bieten die nationalen Klimaaktionspläne, die 187 Staaten im Vorfeld und Verlauf des Pariser Gipfels vorgelegt haben. Diese Pläne sollen von 2023 an alle fünf Jahre einer Revision unterzogen werden, damit die Ziele des Abkommens erreicht werden können.
Die erste Auflage der Pläne bringt die Welt lediglich auf einen Pfad, der zu einer globalen Erwärmung um etwa 2,7 Grad führt. Zusätzlich zum völkerrechtlich verbindlichen Abkommen sollte eine „Entscheidung“ verabschiedet werden. Die sieht vor, dass 2018 eine Überprüfung der Klimaaktionspläne stattfindet. Wer sich Ziele bis 2025 gegeben hat, soll in der Revision Ziele für das Jahr 2030 vorlegen, und wer Ziele bis 2030 vorgelegt hat, soll überprüfen, ob nicht mehr möglich ist.
"Weit unter zwei Grad"
Das Ziel ist es, die globale Erwärmung durch den menschengemachten Klimawandel „weit unterhalb von zwei Grad“ im Vergleich mit dem Beginn der Industrialisierung zu halten und darüber hinaus anzustreben, die Erwärmung nicht über 1,5 Grad ansteigen zu lassen. Der Grund dafür ist das erfolgreiche Lobbying einer Staatengruppe kleiner Inselstaaten, afrikanischer Staaten und besonders anfälliger armer Entwicklungsländer.
Dieses „Climate Vulnerable Forum“ hat es geschafft, das ohnehin anspruchsvolle Ziel noch einmal zu verschärfen. Monica Araya, Gründerin des Nivela-Instituts in Costa Rica, sagte: „Die kleinen Kerle haben die großen Kerle geschubst.“ Es sei den verletzlichen Staaten gelungen, „eine moralische Ebene“ in die Diskussion um den Klimawandel zu bringen, meint sie. „Niemand wollte sich hier in Paris hinstellen und sagen: Ihr seid uns egal. Geht doch unter.“
Außerdem hat sie beobachtet, dass die womöglich klimabedingten Wetterkatastrophen auch in Industriestaaten – der tropische Wirbelsturm Sandy, der Teile von New York zerstört hat; die vierjährige Dürre in Kalifornien; die dramatischen Überflutungen im Norden Englands – das Thema „emotionaler gemacht“ hätten. Der Klimawandel sei nicht mehr so leicht zu einer „technischen Frage“ zu machen, wie das in Kopenhagen 2009 noch der Fall war.
Ein neuer Süd-Süd-Dialog
Monica Araya sagte zudem, dass es nun an der Zeit sei, „das der Süd-Süd-Diskurs im 21. Jahrhundert ankommt“. Dabei denkt sie daran, dass Staaten wie Saudi-Arabien, China oder Indien, die sich selbst weiterhin als Entwicklungsländer sehen, mit ihren Wirtschaftsmodellen die Existenz ganzer Inselstaaten gefährden. Darüber, findet Araya, müsse künftig nicht mehr nur zwischen Nord und Süd gestritten werden, sondern auch im Kreis der Entwicklungsländer (G77) selbst. Die Frage, wie viel Verantwortung Schwellenländer für die Minderung der Treibhausgase, aber auch die Finanzierung von Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel in armen Ländern übernehmen sollten, war einer der Hauptstreitpunkte. Am Ende konnten sich beide Lager als Sieger fühlen.
Die USA und die Europäische Union haben eine modernisierte Formel für das Verhältnis zwischen Industrie- und Entwicklungsländern durchgesetzt. Statt der bisherigen „gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung“ (Common but differenciated responsibility, CBDR) wird diese Formel nun mit einem weiteren Halbsatz verknüpft: „entsprechend ihrer Möglichkeiten unter Berücksichtigung der nationalen Umstände“. Damit sind alle Staaten in den Klimaschutz eingebunden und verantwortlich. Im Kyoto-Protokoll, dem Vorgängervertrag, waren nur die Industriestaaten zur Minderung ihrer Treibhausgasemissionen verpflichtet worden, während der Kohlendioxid-Ausstoß der Schwellen- und Entwicklungsländer den der Industriestaaten unterdessen überholte.
Alle müssen Rechenschaft ablegen - über Emissionen und Finanzierung
Am deutlichsten ist dieses neue Kräfteverhältnis im Kapitel über die Berichts- und Rechenschaftspflichten aller Vertragsparteien ausgefallen. Demnach sollen alle Staaten nach einheitlichen Regeln über ihren Treibhausgasausstoß, ihre Minderungsanstrengungen und ihre Erfolge dabei berichten. Die Informationen müssen nachvollziehbar sein und werden einer „technischen Überprüfung“ unterzogen, also auf ihre Plausibilität geprüft.
Arme Länder, die noch gar keine Statistischen Ämter haben, die diese Informationen bereitstellen könnten, sollen beim Aufbau dieser Behördeninfrastruktur unterstützt werden. Dafür bezahlen die Industriestaaten. Allerdings müssen sie sich dafür gefallen lassen, dass die Geberländer alle zwei Jahre darüber berichten müssen, wie viel Geld sie wofür und auf welchem Weg für die Klimafinanzierung bereitstellen.
Von 2020 bis 2025 sollen die Industriestaaten jedes Jahr 100 Milliarden Dollar an staatlichen und dadurch ausgelösten privaten Investitionen für arme Länder geben. Die armen Länder wiederum sind angehalten, ebenfalls alle zwei Jahre einen Bericht darüber vorzulegen, welche finanziellen Hilfen sie erhalten haben, und was sie damit gemacht haben. 2025 soll ein Klimagipfel dann darüber entscheiden, ob es bei den jährlichen 100 Milliarden Dollar bleibt, oder ob mehr Geld gebraucht wird, um die Entwicklungsländer beim Aufbau einer klimafreundlichen Energieversorgung und bei der Anpassung an den Klimawandel zu unterstützen. Die Industriestaaten bleiben zunächst die Zahlmeister. Allerdings werden Schwellenländer und reiche Ölscheichtümer oder andere Staaten, die dazu bereit sind, ebenfalls dazu „eingeladen“, Mittel für die Klimafinanzierung armer Staaten zur Verfügung zu stellen. Gegen diesen Satz hatten vor allem China und Indien tagelang opponiert.
Beim für viele Entwicklungsländer wichtigen Thema „Verluste und Schäden“ soll ein Hilfesystem aufgebaut werden, zu dem auch Klimaversicherungen gehören. Eine Haftung wird in diesem Abkommen aber nicht vereinbart, dagegen hatten sich die USA und die Europäische Union gewehrt.
Die Industriestaaten müssen vorangehen
Bei der Minderung der Treibhausgase gilt ebenfalls die Formel, dass die Industriestaaten „vorangehen und sich zur Minderung ihrer Emissionen“ verpflichten sollen. Die nationalen Aktionspläne werden zwar nicht völkerrechtlich verbindlich, aber sie sind es jeweils national. Außerdem werden sie in einem öffentlich zugänglichen Register beim UN-Klimasekretariat veröffentlicht. Damit werden alle Regierungen dem Druck der Weltöffentlichkeit ausgesetzt, wenn sie ihre Ziele nicht einhalten. Die Revisionsklausel, die diese Aktionspläne alle fünf Jahre einer Aktualisierung unterwirft, und zumindest festschreibt, dass die Staaten nicht hinter ihre Pläne zurückfallen dürfen, soll zu einer kontinuierlichen Steigerung des Klima-Ehrgeizes führen.
Abschied von Kohle, Öl und Gas
Um klarzustellen, wo das alles am Ende hinführen soll, gibt es im Vertragsentwurf ein langfristiges Ziel: Es soll eine „Balance zwischen den menschlich bedingten Treibhausgasemissionen“ durch die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas, und „der Aufnahme von Treibhausgasen durch Senken“ in der „zweiten Hälfte des Jahrhunderts“ erreicht werden. Senken sind Wälder oder Böden, die Treibhausgase speichern können.
Der Satz ist eine umständliche aber präzise Beschreibung des Ziels, die Weltwirtschaft von fossilem Kohlendioxid zu befreien. Über eine „Dekarbonisierung“ soll ein Zustand erreicht werden, in dem kein zusätzliches CO2 durch die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas oder durch Entwaldung in die Atmosphäre gelangt. Der G-7-Gipfel in Elmau hatte sich im Sommer auf eine „Dekarbonisierung“ geeinigt. Das war in Paris nicht durchsetzbar.
Auch die im zweitletzten Entwurf vorgeschlagene „Treibhausgasneutralität“ fand offenbar keine Zustimmung. Der umständliche Satz bedeutet aber nichts anderes. Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) darf den Gipfelbeschluss also durchaus als Auftrag verstehen, den deutschen Kohleausstieg auf den Weg zu bringen.
Ein Signal für erneuerbare Energien
Der britische Klimaökonom Nicholas Stern sagte dem Tagesspiegel: „Deutschland ist ein bisschen wie Indien: Auf der einen Seite werden die erneuerbaren Energien massiv ausgebaut, auf der anderen Seite steigt der Kohlendioxid-Ausstoß wegen der Kohle.“ Stern sieht das Abkommen ebenfalls als einen „Wendepunkt“, denn es sende das „eindeutige Signal“ an die Wirtschaft, dass sich Investitionen in Kohlekraftwerke und -minen, aber auch in die Öl- und Gasindustrie, schon jetzt oder absehbar in naher Zukunft nicht mehr lohnen werden. Dafür lohne es sich, in erneuerbare Energien zu investieren.
„Die nationalen Aktionspläne lassen sich in Billionen von Dollar in Investitionen übersetzen“, jubelt Edward Cameron, von der Unternehmensinitiative „We mean business“. Je nachdem, wie viel Geld Industriestaaten, Entwicklungsbanken und private Investoren dafür auf den Tisch legen werden, können sich die Entwickler und Produzenten von Windrädern, kleinen Wasserkraftwerken oder Solaranlagen freuen. Warum in Paris möglich war, was in Kopenhagen noch gescheitert ist, erklärt sich Stern so: „Es gibt in Indien und China die Zuversicht, dass ein sauberes Entwicklungsmodell möglich ist, dass also Klimaschutz nicht bedeutet, dass die Armen für immer arm bleiben müssen.“ (mit AFP)