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Aktivisten der Entwicklungsorganisation Oxfam haben am Donnerstag eine kleine Protestaktion gegen die schleppenden Klimaverhandlungen veranstaltet. Mit den Köpfen der wichtigsten Akteure des Pariser Gipfels legten sie sich "schlafen".
© Jacky Naegelen/REUTERS

21. Weltklimagipfel in Paris: Rasender Stillstand bei den Klimaverhandlungen

Die Verhandlungen über einen neuen Klimavertrag in Paris sind in ihrer entscheidenden Phase. Am späten Donnerstagabend präsentierte Gipfelpräsident Fabius einen neuen Vertragsentwurf. Die Suche nach Kompromissen dürfte zumindest die ganze Nacht andauern.

21.30 Uhr:

Kurz nach 21 Uhr hat Gipfelpräsident Laurent Fabius beim Weltklimagipfel in Paris einen neuen Vertragsentwurf präsentiert. Zwei einhalb Stunden hat er den Delegierten gegeben, um den Entwurf zu lesen und sich ihre Gedanken darum zu machen. Danach beruft Fabius eine "Indaba of solutions" ein, also ein internes Ministertreffen, für das er sich statt "allgemeiner Stellungnahmen" konkrete "Lösungsvorschläge" für den Vertragsentwurf ausgebeten hat. "Es ist Zeit zu einer Einigung zu kommen", sagte Fabius. Die Verhandlungen dürften die ganze Nacht weiter gehen. Ob es am Freitag einen Abschluss geben wird, dürfte sich am Freitagvormittag abzeichnen.

20.30 Uhr:

Der rasende Stillstand beim Weltklimagipfel in Paris setzt sich fort. Um 15 Uhr hätte eigentlich ein neuer Vertragsentwurf vorliegen sollen. Das hatte der Präsident des 21. Weltklimagipfels in Paris (COP21), Frankreichs Außenminister Laurent Fabius, um fünf Uhr morgens angekündigt. Da hatten die Umweltminister und Klimaverhandler gerade gute acht Stunden Debatte hinter sich. Um 18.30 Uhr lag noch kein neues Papier vor. Zwischen 19 und 20 Uhr sei womöglich damit zu rechnen, hieß es auf den Fluren. Das Plenum wird stündlich verschoben. Um 19 Uhr sollte es stattfinden, dann sollte das neue Papier um 19 Uhr präsentiert werden. Dann wurde das Plenum auf 20 Uhr und schließlich auf 21 Uhr verlegt.

Südafrika prägt die Weltklimagipfel seit 2011. Beim Gipfel in Durban hat die damalige Präsidentschaft das sogenannte Indaba-Format eingeführt. Darunter sind informelle, offene Runden zu verstehen, in denen die Minister durchaus im großen Kreis aber ohne öffentliche Beobachtung Tacheles reden können. In Durban haben die Indabas den Gipfel gerettet. In Paris ist das Format in der Nacht vom Mittwoch auf den Donnerstag an seine Grenzen gestoßen. Nach einem fünf-stündigen Indaba, das morgens um fünf Uhr endete, waren die Minister in etwa so weit, wie sie es nach einem dreistündigen vorgangangenen Plenum schon waren: völlig verhakt.

Erst dann lässt sich einschätzen, ob die 196 Vertragsstaaten bei den entscheidenden Streitpunkten weiter gekommen sind. Seit dem frühen Morgen finden bilaterale Gespräche und solche in kleinen Gruppen statt, um Kompromisse auszuloten. Bis zum späten Nachmittag offenbar noch ohne greifbare Ergebnisse.

Worüber wird gestritten?

Am Mittwoch hatte Fabius gegen 15 Uhr einen ersten Vertragsentwurf präsentiert. Daraufhin begannen hektische Analysen des Vertragstextes. Im Vergleich zum ersten Versuch, der bei einer Verhandlungsrunde in Genf vorgelegt worden war und 86 Seiten umfasste, ist der am Mittwoch vorgelegte Text mit 29 Seiten ein echter Fortschritt. Das mögliche Vertragswerk besteht aus zwei Teilen. Der eigentliche Vertragstext legt als völkerrechtlich verbindlicher Kontrakt Pflichten und freiwillige Beiträge der Vertragsstaaten fest. In einer weniger verbindlichen Erklärung werden die Themen abgehandelt, für die eine weniger verbindliche Form ausreicht.

Schon am Mittwochabend fasste Laurent Fabius zusammen, woran es in Paris hakt: Differenzierung, Ambitionssteigerung, Finanzierung.

Differenzierung

Mit Differenzierung ist die Frage gemeint, wer welche Verantwortlichkeit für den Klimaschutz übernehmen soll. Die Industriestaaten, die mit der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas in den vergangenen 200 Jahren den Klimawandel ausgelöst haben, müsse mehr Verantwortung schultern. Darüber sind sich noch alle einig. Doch die "alte Welt", in der nur die Industriestaaten ihre Treibhausgasemissionen mindern mussten, wie im Vorgängervertrag, dem Kyoto-Protokoll, spiegelt die heutige Realität nicht mehr wieder. Als die Klimarahmenkonvention 1992 beim Erdgipfel in Rio beschlossen worden ist, spiegelte sich das beim Kohlendioxid-Ausstoß der Industrie- und der Entwicklungsländer auch noch wider. Aber inzwischen haben vor allem die Schwellenländer von China, Indien und Brasilien bis hin zu Südkorea und der Türkei die alten Industriestaaten längst überholt.

Deshalb versucht die Weltgemeinschaft seit dem Klimagipfel auf Bali 2007 nach einem Weg, die beiden Stränge zusammenzubringen. Denn ohne Klimaschutzbeiträge von China, seit 2010 der größte Emittent von Treibhausgasen vor den USA, lässt sich das Problem nicht lösen. In der Klimarahmenkonvention ist der Grundsatz verankert, dass die Staaten in "gemeinsamer aber unterschiedlicher Verantwortlichkeit" (common but differenciated responsibilitiy, CBDR) einen "gefährlichen Klimawandel" abwenden wollen. Auf diesen Grundsatz haben sich im Plenum am Mittwoch alle Staaten berufen, die nicht schon im Kyoto-Protokoll Klimaschutzpflichten unterlagen. Die Differenzierung "nach der Leistungsfähigkeit und den nationalen Umständen" bei der Minderung von Treibhausgasen, der Finanzierung von Klimaschutz und -anpassung sowie bei der Berichterstattung und Rechenschaftslegung über die eigenen Leistungen finden sich im ersten Entwurf des Vertragstextes jeweils mehrere Varianten. Entwicklungsländer haben argumentiert, sie wollten "nicht die Klimarahmenkonvention neu verhandeln" sondern einen Klimavertrag abschließen, und der müsse "auf der Basis der Konvention" begründet werden.

Ambitionssteigerung

Die 186 Klimaschutzpläne, die die Vertragsstaaten zum Klimagipfel vorgelegt haben, bringen die Welt, wenn alles umgesetzt wird, auf einen Kurs von etwa 2,7 Grad globaler Erwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts. Das Ziel ist es aber, unter zwei Grad zu bleiben. Und in Paris hat sogar der dringende Wunsch der kleinen Inselstaaten, dieses Ziel zu verschärfen und sich vorzunehmen, unter 1,5 Grad zu bleiben, überraschend viele Freunde gefunden. Sogar die USA können sich vorstellen, das 1,5-Grad-Ziel mit den den Vertrag aufzunehmen. Mit den vorliegenden Klimaplänen ist das aber nicht zu schaffen. Deshalb soll der Ehrgeiz bei der Treibhausgasminderung über die Jahre gesteigert werden.

Ziemliche Einigkeit besteht darüber, dass alle fünf Jahre überprüft werden soll, ob die Ziele erreicht wurden, und wie sie noch verbessert werden können. Gestritten wird aktuell darüber, wann diese Überprüfungsmechanismen beginnen sollen, die Europäische Union wünscht sich 2018/19, um spätestens 2021 die verbesserten Klimaschutzpläne vorliegen zu haben. China, Indien und andere wollen dagegen erst 2024 mit einer Steigerung der Ambitionen beginnen. Auch hier wird über die Differenzierung gestritten, weil den Entwicklungsländern wichtig ist, dass ihre Klimaschutzleistungen weiterhin "freiwillig" sein sollen, oder nur dann "verbindlich" sind, wenn dafür eine "ausreichende Finanzierung" bereit gestellt werde.

In diesem Zusammenhang wird auch darüber gestritten, wie über die Minderung der Treibhausgase in Industrie- und in Entwicklungsländern berichtet werden muss. Die Industriestaaten wünschen sich einheitliche Regeln für alle, bieten Entwicklungsländern aber Hilfe an, damit sie beispielsweise statistische Ämter aufbauen können, um die notwendigen Daten überhaupt erst einmal aufzutreiben. Viele Entwicklungsländer fürchten sich vor neuen Berichtslasten, die sie überfordern - und nerven. Der frühere Präsident von Osttimor, José Ramos-Horta, sagte am Donnerstag: "Die Europäische Union hat eine furchtbare Bürokratie. Aber wenn man die überlebt, dann bekommt man auch etwas."

Finanzierung

Im Verlauf der zweiten Woche haben Industrieländer und Entwicklungsländer immer wieder darüber gestritten, wie es um die Zuverlässigkeit der Finanzzusagen der Industrieländer bestellt ist. Bis 2020 haben die Industriestaaten schon 2009 beim gescheiterten Gipfel in Kopenhagen zugesagt, 100 Milliarden Dollar aufzubringen, um arme Länder beim Klimaschutz und bei der Bewältigung der Folgen der Erderwärmung zu unterstützen. Vor dem Pariser Gipfel hat die OECD (Organisation für Entwicklung und Zusammenarbeit), ein Industriestaatenclub, einen Bericht vorgelegt, in dem für das Jahr 2014 eine Summe von 62 Milliarden Dollar ermittelt worden ist. Diese Zahl bestreiten die Entwicklungsländer entschieden. Bei einer Pressekonferenz der Basic-Länder (Brasilien, Südafrika, Indien, China) sagte der chinesische Klimabotschafter, Xie Zhunhua, "wir sehen das Geld nicht, es kommt nichts an". Indiens Umweltminister Prakash Javadekar legte in Paris sogar eine Gegenstudie vor, die beweisen sollte, dass die Industriestaaten höchstens eine Milliarden Dollar gezahlt haben. Der Streit dreht sich darüber hinaus um die Frage, ob reiche Ölscheichtümer wie Saudi-Arabien nicht ebenfalls für Klimaschutz und Anpassung in armen Ländern zahlen sollten. Doch das lehnte der Delegierte Saudi-Arabiens am Mittwochabend rundweg ab. Die diskutierte Formulierung, "Länder, die dazu in der Lage sind", sei "ganz und gar inakzeptabel". Denn, "wer richtet denn dann darüber, wer in der Lage ist und wer nicht", fragte er empört.

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