21. Weltklimagipfel in Paris: Forscher: Mit der Physik kann man nicht verhandeln
Die Stimmung in Paris ist optimistisch, und der am späten Donnerstag vorgelegte Vertragsentwurf wird vielfach gelobt. Doch die Elite der Klimaforscher warnt davor, den Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas zu lange hinauszuzögern.
Am Ende der zweiten Nachtsitzung in Folge hat der Präsident des Weltklimagipfels, Laurent Fabius, morgens um fünf Uhr angekündigt, dass die COP21 um einen Tag verlängert wird. Am Samstag um die Mittagszeit soll dann der endgültige Vertragstext vorliegen.
Ein klares Investitionssignal an die Wirtschaft
Die Reaktionen auf den Vertragsentwurf, den Frankreichs Außenminister Laurent Fabius am späten Donnerstag vorgelegt hat, waren am Freitag überwiegend positiv. Michael Jacobs, der ehemalige Klimaberater der britischen Regierung, sagte am Freitag, der Text wäge die "Interessen der verschiedenen Parteien sehr gut gegeneinander ab". Die Erfahrung zeige, "dass man jedem etwas geben muss, womit er nach Hause fahren kann", sagte der Berater des New Climate Economy Projektes, das im Frühjahr einen Report über die wirtschaftlichen Chancen des Klimaschutzes vorgelegt hat.
Auch Nicholas Stern, der 2007 den ersten Bericht über Kosten und Nutzen des Klimaschutzes vorgelegt hat, ist verhalten optimistisch. Wenn bis zum Ende des Gipfels nicht "die Substanz" aus dem Abkommen verhandelt werde, "könnte das ein Wendepunkt sein", sagte er. Jacobs lobt vor allem, dass in der am Freitag in vielen kleinen Zirkeln intern verhandelten Textversion, eine "Vertragsarchitektur" sichtbar werde, die den globalen Klimaschutz in den kommenden Jahrzehnten bestimmen könnte. Alle fünf Jahre würden die nationalen Klimaschutzpläne überprüft - mit dem Ziel, sie zu verbessern.
Edward Cameron, von der Unternehmensinitiative "We mean business", hob hervor, dass das Langzeitziel, die globale Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad oder sogar 1,5 Grad im Vergleich zum Beginn der Industrialisierung zu halten, mit dem Ziel der Treibhausgasneutralität verbunden sei. Damit sei der Weg beschrieben. Verbunden mit den Fünf-Jahres-Überprüfungszyklen sei das "ein klares Signal, in die neue Klimaökonomie zu investieren", sagte Cameron in Paris.
Klimaforscher warnen: Für 1,5-Grad-Ziel ist es fast zu spät
Führende Klimaforscher waren deutlich weniger begeistert vom vermutlich zweitletzten Entwurf eines neuen Klimavertrags. Kevin Anderson vom Tyndall-Center sagte am Freitag sogar: "Das Papier ist noch schlechter als das von Kopenhagen." 2009 war der Klimagipfel in Kopenhagen, wo der erste Versuch gemacht wurde, ein umfassendes Abkommen zustande zu bringen, spektakulär gescheitert war. Anderson kritisierte vor allem, dass die Emissionen des internationalen Luft- und Schiffsverkehrs - nach seiner Aussage immerhin so viel, wie Deutschland und Großbritannien gemeinsam produzierten - aus dem Text gefallen seien. Der vorliegende Entwurf nutze "reichen Hochemittenten", aber für arme und von Wetterkatastrophen bedrohte Menschen im Süden, liege der Entwurf irgendwo zwischen "gefährlich und tödlich", beklagte er.
Hans Joachim Schellnhuber, Präsident des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung, lobte zwar, dass im Vertragsentwurf festgehalten wird, dass die globale Erwärmung zwischen 1,5 und zwei Grad im Vergleich mit dem Beginn der Industrialisierung gehalten werden solle. "Das liegt auf einer Linie mit der Wissenschaft", sagte er. Aber der Weg zu diesem Ziel sei "unzureichend" im Text abgebildet. Um das 1,5-Grad-Ziel noch zu erreichen, müsse die Weltwirtschaft bis 2050 frei von fossilem Kohlendioxid (CO2) sein. Eine "Treibhausgasneutralität in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts" reiche nicht aus, sagte er. Johan Rockström vom Stockholm Resilience Center fügte hinzu, dass bis 2050 eine Minderung der Emissionen um 70 bis 90 Prozent das "Minimum" seien. Er kritisierte, dass der im Vertragsentwurf verwendete Begriff "Treibhausgasneutralität" die Türen für die unterirdische Lagerung von CO2 (CCS) und die umfangreiche Nutzung der Kohlenstoffsenken, gemeint sind damit Wälder und Böden.
Steffen Kallbekken, Forschungsdirektor des norwegischen Cicero-Instituts, kritisierte, dass die Zwischenetappen auf dem Weg zur Dekarbonisierung der Weltwirtschaft nicht mehr im Text zu finden seien. Bis 2050 sollten die globalen Treibhausgasemissionen um 40 bis 70 Prozent im Vergleich zu 2010 sinken, hatte es noch im Vorläuferpapier geheißen. Außerdem sei das globale Kohlenstoff-Budget, das der Weltklimarat IPCC in seinem aktuellen Report errechnet hat, um die Welt unter einer Zwei-Grad-Grenze zu halten, bezogen auf das 1,5-Grad-Ziel schon 2020 "aufgebraucht", also dann, wenn das Pariser Abkommen frühestens in Kraft treten wird. Das bestätigte auch Joeri Rogelj vom Wiener International Institute for Applied System Analysis (IIASA), der zu den Autoren einer gerade vorgelegten Studie gehört, die die Erreichbarkeit des Zwei- und auch des 1,5-Grad-Ziels untersucht.
Zivilgesellschaft verhalten optimistisch
Die Nicht-Regierungsorganisationen in Paris haben sich überwiegend vorsichtig optimistisch zum Vertragsentwurf geäußert. Im Detail haben zwar alle Kritik und hofften auf eine Verbesserung des Textes in ihrem Sinne. Aber die Kritik blieb am Freitag eher moderat. Christoph Bals von Germanwatch lobte die Fortschritte, mahnte aber weitere Verbesserungen an. Er war sich mit dem Präsidenten des Nabu, Olaf Tschimpke, darin einig, dass noch mehr Ehrgeiz bei den Überprüfungszyklen nötig sei.
Oxfam kritisierte, dass die ärmsten nicht ausreichend bei der Anpassung an den Klimawandel unterstützt würden, und BUND-Präsident Hubert Weiger bezeichnete das Abkommen als "Schatten seiner selbst". Aber keine der Organisationen sprach von einem kompletten Misserfolg. Regine Günther, Klimaexpertin der Umweltstiftung WWF, sagte dagegen, der "jetzige Entwurf kann noch die Architektur liefern, die wir für einen Gipfelerfolg benötigen". Jennifer Morgan, Klimaexpertin des Washingtoner World Resources Institute sagte, nachdem die Rekordzahl von mehr als 150 Staats- und Regierungschefs am 30. November zum Auftakt des Gipfels angereist war, sei es nun an der Zeit, dass diese Spitzenpolitiker "zum Telefonhörer greifen und zusammenarbeiten, um ihre Worte von vor zwei Wochen zur Realität werden zu lassen.
Das Aufgebot an Staats- und Regierungschefs hat übrigens nicht nur Jennifer Morgan beeindruckt. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sagte in Paris, dass so viele Staatenlenker an einem Tag zusammenkommen, "habe ich in den neun Jahren an der Spitze der Vereinten Nationen noch nie erlebt". Und auch der amerikanische Außenminister John Kerry, wahrlich kein Novize auf der politischen Bühne, sagte genau das gleiche.
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