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Atomkraftgegner protestieren zum Fukushima-Jahrestag vor dem Kanzleramt.
© dapd

Fukushima und die Folgen: Angela Merkel, die Atompartei CDU und die Energiewende

Vor einem Jahr havarierte in Japan das Atomkraftwerk Fukushima und hierzulande vollzogen CDU und CSU eine beispiellose politische Kehrtwende. Wirklich erklären können Merkel und ihre Kollegen das riskante Manöver bis heute nicht.

Zweifel kennt Angela Merkel keine. "Richtig" sei angesichts der Ereignisse in Fukushima der Beschluss zum Atomausstieg gewesen, sagte die Bundeskanzlerin am Samstag in ihrer wöchentlichen Videobotschaft. Ein Jahr nach dem Supergau verteidigt sie die Entscheidung der schwarz-gelben Bundesregierung, bis zum Jahr 2022 aus der Nutzung der Atomenergie auszusteigen. Acht Kraftwerke gingen im vergangenen Jahr sofort vom Netz, die übrigen neun sollen in den kommenden zehn Jahren folgen, das erste 2015.

Ein Jahr ist es zugleich her, dass CDU, CSU und FDP die wohl spektakulärste politische Wende in der Geschichte der Bundesrepublik eingeleitet haben. Nie zuvor seit 1949 hat eine Partei so schnell und faktisch ohne innerparteiliche Debatte einen wichtigen Teil ihres Markenkerns geopfert. Nie zuvor hat eine Partei vor allem ihre Stammwähler so verunsichert. Nie zuvor hat eine Bundesregierung so schnell eine politische Entscheidung mit so weitreichenden Konsequenzen beschlossen.

Aus der Atompartei CDU wurde nach dem GAU im fernen Japan quasi über Nacht die Partei der Energiewende. Aus christdemokratischen Apologeten der Kernenergie wurden Kritiker der Atomkraft. Selbst geltendes Recht wurde dabei eigenwillig interpretiert. Denn im Grunde gab es für das sofortige Abschalten von Atomkraftwerken, denen die Aufsichtsbehörden kurz zuvor noch die erforderliche Sicherheit bescheinigt hatte, keine ausreichende Rechtsgrundlage.

Denselben Politikern, die noch kurz zuvor den rot-grünen Atomausstieg verantwortungslos und ideologisch motiviert genannt hatten, konnte es nun gar nicht schnell genug gehen. Dieselbe Regierung, die im Herbst 2010 noch die Laufzeitverlängerungen beschlossen hatte, wollte nun schneller und konsequenter aussteigen als Rot-Grün. Denn an die Stelle der Restrommengen, die den Atomkonzernen eine gewisse Flexibilität ermöglichten, traten nun feste Daten für das Abschalten der Kraftwerke. Selbst auf eine Kaltreserve wurde verzichtet.

Nur wie kam es zu dieser spektakulären Wende? Alles nur politische Taktik angesichts dramatischer Bilder oder hat in der Union tatsächlich ein Umdenken stattgefunden? Hatte Merkel nur die nächsten Wahlen im Blick oder war sie von dem Ausmaß der Katastrophe tatsächlich erschrocken? Hat die Regierung nur auf den Druck der Atomkraftgegner reagiert oder hat sie tatsächlich eine Neubewertung des sogenannten Restrisikos vorgenommen?

Richtig erklärt hat Angela Merkel ihren Sinneswandel nie, eine innerparteiliche Debatte gab es in CDU und CSU nicht. Die Ethikkommission wurde nach dem GAU in Fukushima nur einberufen, um der bereits gefällten politischen Entscheidung ihren Segen zu geben und den gesamtgesellschaftlichen Konsens zu bestärken. Die Energiekonzerne, die eben noch an der schwarz-gelben Novelle des Atomgesetzes mitgeschrieben und sich schon auf zusätzliche Milliardengewinne gefreut hatten, wurden vor vollendete Tatsachen gestellt. An der Basis gab es erhebliche Irritationen, die bis heute nachwirken. Viele Wähler von CDU und CSU fragen sich, ob es denn wirklich so schnell gehen musste. Die Probleme, die es bei der Umsetzung der Energiewende gibt, bestärken sie in diesen Zweifeln.

Eigentlich könnte man von der Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzenden deshalb ein Jahr nach Fukushima ein paar erklärende Worte erwarten. Doch Merkel bemüht sich auch nach zwölf Monaten gar nicht erst darum, diesen plötzlichen politischen Sinneswandel zu erklären, sie bleibt gewohnt distanziert. "Beschleunigt" habe man den Atomausstieg, erklärt Merkel in ihrem Video-Podcast lapidar. "Wir haben in einem hoch entwickelten Industrieland gesehen, dass Risiken aufgetreten sind, die wir nicht für möglich gehalten hätten", sagte sie nüchtern. Von der Dramatik der Ereignisse vor einem Jahr ist in ihrer Erklärung nichts zu hören. Auch für die politischen, gesellschaftlichen und finanziellen Herausforderungen der kommenden Jahre, die sich nur mit jenen der Wiedervereinigung vergleichen lassen, findet sie nicht den richtigen Ton.

Plötzlicher Sinneswandel einer Akw-Anhängerin

Dabei gäbe es Einiges zu erklären. Schließlich war Merkel nicht nur selbst noch vor ein paar Jahren eine überzeugte Anhängerin der Atomkraft. Sie steht zudem einer Partei vor, die wie keine andere fünf Jahrzehnte lang den Bau von Atomkraftwerken vorangetrieben hat. Die friedliche Nutzung der Kernenergie gehörte zum Markenkern der Unionsparteien und es ist deshalb auch kein Zufall, dass die meisten deutschen Atomkraftwerke in den beiden christdemokratischen und christsozialen Kernländern Baden-Württemberg und Bayern stehen. Atomkraftgegner hingegen galten ihnen jahrzehntelang als weltfremde Spinner, Chaoten oder Fortschrittsfeinde.

Auch Merkels persönliche Wende lässt sich nur schwer nachvollziehen. Als sie 1994 als junge ostdeutsche Politikerin Bundesumweltministerin wurde, zweifelte sie nicht an der friedlichen Nutzung der Atomkraft. Als die rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2000 ihren Atomausstieg beschloss, sprach sie von einer Entscheidung von "rein ideologischer Natur". Ihren Wählern versprach sie noch im Bundestagswahlkampf 2005 diesen zu korrigieren, die Verlängerung der Laufzeiten nannte sie "volkswirtschaftlich vernünftig".

Als die schwarz-gelbe Bundesregierung im September 2010 schließlich die Laufzeitverlängerungen umsetzte, lobte sie die "sichersten Kernkraftwerke der Welt", die trotzdem "nicht länger als unbedingt notwendig" betrieben würden. Wobei Merkel bis zur Katastrophe in Fukushima zwar gerne von der Kernenergie als "Brückentechnologie" sprach, um ihren Wählern die scheinbar unabdingbaren Entscheidungen der Gegenwart mit der Hoffnung auf eine bessere, sauberere und sicherere Zukunft schmackhaft zu machen. Aber gleichzeitig erweckte sie den Eindruck, als würde sie den erneuerbaren Energien nicht trauen, und es sei allein wegen des Klimawandels richtig, weiterhin auf Kernenergie zu setzen.

Nach Fukushima galt das alles nichts mehr. Seit einem Jahr steht die Politik Kopf. Merkel ist mit der Entscheidung zum schnellen Atomausstieg für sich und ihre Partei ein sehr hohes politisches Risiko eingegangen. Bislang scheint das CDU und CSU nicht zu schaden. In allen Meinungsumfragen steht die Union mit Werten zwischen 36 und 38 Prozent besser da als vor zwölf Monaten, von dem Stimmungstief im April 2011, als sie auf 30 Prozent abgesackt war, hat sie sich wieder erholt. Die Grünen hingegen, die sich drei Jahrzehnte als Anti-AKW-Partei profiliert haben, wurden nach einem kurzen demoskopischen Höhenflug und einem sensationellen Erfolg bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg wieder auf Normalmaß gestutzt.

Doch das Glaubwürdigkeitsproblem von Angela Merkel und der CDU bleibt. Schon jetzt ist abzusehen, dass der Atomausstieg und die Energiewende nicht reibungslos vollzogen werden können. Alles andere wäre angesichts der Herausforderungen, vor denen das Land steht, auch ein Wunder. Es wird politische und technische Rückschläge geben, Widerstände. Die Strompreise könnten explodieren, und die Wähler könnten merken, dass auch die Energiewende nicht nur sauberen Strom verspricht, sondern ihre Schattenseite hat. Somit scheint es nur eine Frage der Zeit zu sein, bis Merkel und die Union das Image der Atompartei wieder einholt.

Christoph Seils ist Ressortleiter Online von Cicero. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch "Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien" erschienen.

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