Meinung: Atombomben vor der Haustür
20 Jahre Tschernobyl: Die Kernkraft bleibt das größte Risiko der Industriegesellschaft
Mehrere hundert Strahlentote, Zigtausende von Krankheit gequälte Aufräumarbeiter, 350 000 Vertriebene und Landschaften von der Größe Niedersachsens für Generationen verloren: Dies ist 20 Jahre nach der größten Katastrophe der zivilen Kerntechnik die Bilanz des Schreckens von Tschernobyl.
All das, so versichern die Apologeten der nuklearen Menschheitsbeglückung aus der Strombranche und ihre Partner in der Christenunion, soll jedoch nur ein singuläres Unglück gewesen sein. Schrecklich zwar, aber verursacht nur durch Konstruktionsmängel und die organisierte Verantwortungslosigkeit der einstigen Sowjetbürokratie. Deutschland hingegen, so verspricht die Physikerin Angela Merkel, habe „die sichersten Kernkraftwerke der Welt“. Und ginge es nach ihr, dann würden selbst die ältesten Reaktoren noch weitere 20 Jahre laufen.
Doch zur Beruhigung besteht kein Anlass. Denn eines haben alle Atomstrommaschinen gemeinsam: Ihre Uranladung birgt ein Tausendfaches der todbringenden Radioaktivität einer Bombe vom Hiroshima-Typ. Würde jemals auch nur ein Teil davon in die Umwelt gelangen, würden hierzulande, anders als in der dünn besiedelten Ukraine, nicht Hunderttausende, sondern viele Millionen Menschen ihre Heimat verlieren, die Republik würde im Aufruhr versinken.
Gewiss, die Sicherheitsanforderungen sind hoch, die Wahrscheinlichkeit für einen Super-GAU ist äußerst gering. Allenfalls einmal in 33 000 Betriebsjahren sei mit einer Kernschmelze und anschließender radioaktiver Verseuchung zu rechnen, kalkulierten einst die Autoren der deutschen Risikostudie Kernkraftwerke.
Aber derlei Zahlenspiele verstellen den Blick auf die Realität. Denn sie gehen davon aus, dass Technik und Personal stets so reagieren wie vorgesehen – eine Annahme, die in der Praxis längst hundertfach widerlegt ist. Zudem blenden sie ein Risiko völlig aus, das spätestens seit dem 11.9.2001 als das größte von allen gelten muss: die Möglichkeit eines Terrorangriffs. Attentäter, die ihren eigenen Tod einplanen, sind in keiner Sicherheitsanalyse vorgesehen. Und keines der derzeit betriebenen Atomkraftwerke könnte dem gezielten Absturz eines voll getankten Jumbojets widerstehen. Für potenzielle Attentäter sind die Reaktoren bereitstehende Atombomben im Feindesland, im Falle Biblis sogar nur wenige Minuten Flugzeit vom Frankfurter Flughafen entfernt. Darum macht Atomkraft jedes Land extrem verwundbar und kann schon deshalb keine Versorgungssicherheit bieten.
Nicht minder irreführend ist die Lebenslüge der Atomgemeinde von der Trennung der zivilen und der militärischen Atomtechnik. Tatsächlich aber, das belegt der Fall Iran, ist jeder Atomkraftstaat ein potenzieller Atomwaffenstaat. Alle Betreiber von Atomkraftwerken machen sich daher mitschuldig an der Verbreitung der schlimmsten aller Waffen, schließlich halten sie alle Welt zur Nachahmung an.
„Die weltweite Durchsetzung der Kernenergie fordert als Konsequenz die Überwindung der politischen Institution des Krieges“, schrieb vor 21 Jahren der Physiker Carl Friedrich von Weizsäcker und begründete so seinen Wandel vom glühenden Befürworter zum Gegner der Atomkraft. Weizsäckers Lehre ist aktueller denn je.
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