Gespalten: Was aus der Klage von RWE folgt
Die Atomruinen in Fukushima rauchen noch. Doch in Deutschland ist der Kampf um die Kernenergie wieder in vollem Gang. RWE hat gegen das Moratorium Klage eingereicht. Was folgt daraus?
Bis Mitte Mai soll die Reaktorsicherheitskommission einen Bericht darüber vorlegen, wie gut die deutschen Meiler mit einer Krise ähnlichen Ausmaßes zurande kämen. Zwei Wochen später soll die am Montag erstmals tagende Ethikkommission der Bundesregierung einen Weg zu einem neuen Energiekonsens weisen. Für das Ende des „Moratoriums“ Mitte Juni hat Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) bereits „Entscheidungen“ versprochen.
Warum hat RWE geklagt?
Der Energiekonzern RWE hat am Freitag beim Verwaltungsgerichtshof Kassel Klage gegen die dreimonatige Stilllegung des Atomkraftwerks Biblis A (Baujahr 1974) eingereicht. In einer Pressemitteilung begründete der Konzern die Klage damit, dass „die Voraussetzungen der von der Bundesregierung herangezogenen Rechtsgrundlage für diese Maßnahme nach Paragraf 19, Absatz 3 des Atomgesetzes nicht vorliegen“. Weiter heißt es: „Die deutschen Kernkraftwerke erfüllen die geltenden Sicherheitsanforderungen.“ Eine Auffassung, die bezogen auf das Atomkraftwerk Biblis A gewagt ist. Denn seit mehr als 20 Jahren gibt es immer wieder neu angeordnete Nachrüstanforderungen an das Atomkraftwerk, denen RWE nie vollständig nachgekommen ist. Jedenfalls heißt es in der Pressemitteilung weiter: „Mit diesem Schritt stellt RWE die Wahrung der Interessen seiner Aktionäre sicher.“ Am Vormittag hatte RWE-Sprecherin Stephanie Schunck noch hinzugefügt, es sei nicht geplant, Biblis A wieder anzufahren. Allerdings scheint die Rechtsabteilung des Konzerns im Laufe des Tages noch einmal darüber nachgedacht zu haben. Am Nachmittag hieß es aus der Konzernzentrale in Essen nämlich, Biblis A werde wieder hochgefahren, wenn das Umweltministerium in Hessen nicht einen Sofortvollzug anordne. Genau das hatte das Ministerium schon am Vormittag angekündigt, sollte es Hinweise darauf geben, dass RWE den Meiler wieder ans Netz nehmen wolle. RWE ließ am Nachmittag wissen, dass der Konzern davon ausgehen müsse, dass die Behörde eine Gefährdung nach dem Atomgesetz nicht als gegeben ansehe, wenn die Weisung nicht erfolge.
Welche Erfolgsaussichten hat die Klage?
Die Einschätzungen der Anwälte gehen auseinander. Der Berliner Rechtsanwalt Hartmut Gaßner hält die Klage des Energiekonzerns RWE gegen die vorübergehende Stilllegung des Atomkraftwerks Biblis A für eine „politische Schaumschlägerei ohne juristische Substanz“. Gaßner gehört zu den Anwälten, die die Klage der Bundestagsabgeordneten von SPD und Grünen vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke vertritt. Dem Tagesspiegel sagte er, dass die Klage von RWE vor dem hessischen Verwaltungsgerichtshof Kassel „sinnlos“ sei. Gaßner begründet seine Einschätzung so: Eine Klage, die sich gegen eine Stilllegungsanordnung richte, die am 15. Juni schon wieder ende, könne vor einem Verwaltungsgericht in diesem Zeitraum in der Hauptsache nicht verhandelt werden. Das hat das Gericht am Freitag bereits selbst bestätigt. Da RWE aber zugleich angekündigt habe, das Atomkraftwerk Biblis A nicht wieder hochfahren zu wollen, entfalle auch die Möglichkeit des Konzerns, diese Klage als Vorbereitung für eine Schadenersatzklage zu nutzen. Denn nur wenn RWE Biblis A nun wieder hochfahren würde, dann das hessische Umweltministerium als Atomaufsicht Sofortvollzug für die Abschaltung anordnen würde, dann wäre eine Eilentscheidung des Verwaltungsgerichtshofs innerhalb von zehn Tagen möglich. Und nur dann könne das vorgebliche Anliegen von RWE, „die Rechtsgrundlage der Stilllegungsanordnung zu prüfen“ tatsächlich umgesetzt werden. Gaßner sagt mit Blick auf alle Atomkraftwerksbetreiber: „Es gibt keinen Schadenersatz, solange die Stilllegungsanordnung akzeptiert wird.“
Offenbar sieht RWE die Klage ähnlich. Denn im Verlauf des Tages änderte der Konzern seine Position entsprechend. Andererseits sieht Professor Joachim Wieland von der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaft in Speyer gute Chancen für RWE. Wieland vertritt mit einer Gruppe von Anwälten die Klage der Bundesländer gegen die Laufzeitverlängerung. Die Länder klagen wegen der Nichtbeteiligung des Bundesrates, die Abgeordneten von SPD und Grünen auch wegen einer Senkung der Sicherheitsstandards. „Ich hatte so eine Klage erwartet“, sagte Wieland am Freitag. Der Paragraf 19, Absatz 3 sei eine Gefahrenabwehrvorschrift. Aus seiner Sicht reicht er als Rechtsgrundlage nicht aus. Wieland sagt, nur der Bundestag hätte mittels eines Gesetzes ein Moratorium beschließen dürfen. Schließlich habe es der Gesetzgeber noch vor einem halben Jahr für richtig gehalten, die alten Atomkraftwerke einschließlich Biblis A mit einer Laufzeitverlängerung von acht Jahren auszustatten. Er verwies auf das Gesetz zur Griechenlandhilfe, das binnen eines Tages durch alle Instanzen gegangen sei. „Das hätte man hier auch machen können.“ Wieland argumentiert, die Regierung hätte auch einen anderen, rechtssicheren Weg suchen können, indem sie die Sicherheitsanforderungen an die Atomkraftwerke hätte erhöhen können.
Folgen weitere Klagen?
RWE dürfte allein bleiben. Eon-Chef Johannes Teyssen hat am Freitag in einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Rundschau“ begründet, warum Eon auf eine Klage verzichten will. „Fukushima wiegt zu schwer, als das irgendjemand einfach zur Tagesordnung übergehen könnte“, schreibt er. Nach dem Verzicht auf die Klage fordert Teyssen allerdings von der Regierung eine Beteiligung an den Verhandlungen über die Zukunft der Kernenergie. Bisher hat die Regierung die Energiekonzerne ziemlich demonstrativ aus den Debatten herausgehalten. Sie sind lediglich indirekt über ihnen nahestehende Mitglieder der Reaktorsicherheitskommission beteiligt. Vattenfall verzichtet ebenfalls auf eine Klage. Die Atomkraftwerke Brunsbüttel und Krümmel liefern seit 2007 schon keinen Strom mehr und mussten wegen des Moratoriums nicht heruntergefahren werden. EnBW ist im Besitz des Landes Baden-Württemberg. Dort gibt es seit einer Woche eine grün-rote Mehrheit. Es dürfte ausgeschlossen sein, dass EnBW wegen des dreimonatigen Stillstandes der Atomkraftwerke Neckarwestheim 1 und Phillipsburg 1 die Gerichte bemüht.
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