Humboldt-Forum-Intendant Bredekamp zur Kreuz-Debatte: "Das Humboldt-Forum wird ein Satyrspiel sein"
Der Kunsthistoriker Horst Bredekamp, Mitglied der Gründungsintendanz beim Humboldt-Forum, über den Streit um das Kreuz auf dem Stadtschloss und die Kuppeln von Berlin.
Horst Bredekamp, Jahrgang 1947, lehrt Kunstgeschichte an der Berliner Humboldt Universität. Mit Hermann Parzinger und dem Leiter Neil MacGregor gehört er zur Gründungsintendanz des Humboldt-Forums.
Herr Bredekamp, Berlin streitet sich über das Kreuz auf der Schlosskuppel. Hätten Sie gedacht, dass es eine derart heftige Diskussion geben würde?
Nein, die Wiedererrichtung der Kuppel in ihrer historischen Prägung wurde vor Jahren öffentlich bekannt gegeben. Das wurde damals mit Anerkennung aufgenommen; Kritik gab es nicht.
Die einen sagen, das Kreuz auf der Schlosskuppel gehört als Teil der historischen Rekonstruktion dazu. Die anderen meinen, das Humboldt Forum sei keine originalgetreue Rekonstruktion, sondern ein staatlicher Bau, der nicht der Religionsausübung diene, also bitte kein Kreuz. Was sagen Sie als Kunsthistoriker?
Aus kunsthistorischer wie auch aus kulturgeschichtlicher Perspektive wäre es eine eigene Form von Ikonoklasmus, das Kreuz wegzulassen. Rekonstruktionen, wenn sie denn beschlossen werden, müssen sich vom Zeitgeist und von Stimmungen frei machen. Im April 2010 gab es unter der Leitung des damaligen Stiftungs-Chefs Manfred Rettig ein zweitägiges Expertentreffen zu dieser Frage in der Villa Vigoni am Comer See. Das Ergebnis war eindeutig und einstimmig: Eine „gezielte“ Rekonstruktion, wie sie in Bezug auf das Schloss in der DDR üblich war, kommt nicht infrage.
„Gezielt“ in welchem Sinne?
Im Sinne von einer Frisierung der Formen im eigenen Interesse. Bei der Versetzung des Portals IV, das ja in die Fassade des DDR-Staatsratsgebäudes integriert wurde, ersetzte man die Adler als Insignien des preußischen Staatswesens durch Jahreszahlen. Jetzt auf das Kreuz zu verzichten, wäre dasselbe Verfahren. Genau dies sollte nicht wieder geschehen.
In einem ersten Statement der Gründungsintendanz heißt es, als Teil der Rekonstruktion seien Adler wie Kreuz ihrer ursprünglichen Funktion enthoben. Wie das?
Selbstverständlich haben sich alle ursprünglich religiösen und politischen Aspekte des Schlosses, unter dessen Kuppel sich die Eosanderkapelle befand, im Humboldt Forum erledigt. Sie sind Geschichte, spätestens seit dem Sturz des Kaiserreiches 1918. Das heutige Kreuz bezeichnet einen historischen Zustand, den es zu reflektieren gilt, eben weil er nicht mehr existiert. Historische Reflexion ist doch nur dann sinnvoll, wenn man die eigenen Verhältnisse am Vergangenen misst, über die Zeichen, die die Vergangenheit hinterlässt. Das Kreuz bezeugt das Fehlen dessen, wofür es steht.
Klingt kompliziert. Ist und bleibt das Kreuz nicht vor allem ein religiöses Zeichen, auch wenn es die repressive preußische Staatsreligion ins Gedächtnis ruft?
Jeder, der das Humboldt Forum betritt, wird sofort bemerken, dass davon nichts mehr vorhanden ist. Das ist der Witz und das Wunder der Geschichte: Dass sie keine planierte Straße ist, auf die wir die Gegenwart zurückprojizieren. Wir schützen Werke, Gebäude und Straßenensembles, um die Widersprüchlichkeit der historischen Entwicklung zu zeigen. Erst das Kreuz fortzulassen, würde den Bau religiös aufladen, denn dieser Eingriff wäre ein politisch-religiös motivierter Akt.
Wir können doch entscheiden, auf welche Tradition wir uns im guten Sinne berufen. Das Gottesgnadentum von Friedrich Wilhelm IV., für das die Kuppel mit dem Kreuz steht, gehört gewiss nicht dazu.
Die Debatte ist kompliziert, besitzen die kontroversen Positionen aus sich heraus doch ihr eigenes Recht. Gleichwohl erscheint mir das Argument der schlechten Tradition, auf die das Kreuz verweist, als scheinheilig. Warum schauen wir uns nicht selbst über die Schulter und erinnern uns daran, dass das Humboldt Forum gerade mit Bezug auf Friedrich Wilhelm IV. und dessen Vision von der Museumsinsel als „Freistätte der Kunst und Wissenschaft“ gegründet wurde? Ja, er war ein König der Gegenrevolution, aber diese Seite bietet noch kein Gesamtbild. Er war eine komplexe Persönlichkeit. Die ihm gewidmete Potsdamer Ausstellung „Künstler und König“ von 1995 thematisierte sein ganzheitliches Denken, das die Welt aus der Kunst erklärt. Das ist jetzt so gut wie vergessen.
Hier die guten Humboldts, da der böse Despot, der die Bürger niederkartätschen ließ – es ist in Wahrheit unentwirrbar?
Friedrich Wilhelms „Freistätte der Kunst und Wissenschaft“ steht in der Tradition von Alexander und Wilhelm von Humboldt und ihrer Idee der Zusammenführung von Sammlung und Universität. Im großen Tempel auf der Museumsinsel sollten Vorlesungen gehalten werden. Es ist ein bis heute bedenkenswertes Modell, an dem große Geister mitgewirkt haben, es betrifft auch die Freiheit der Lehre und der Forschung. Welche andere Funktion hat die Beschäftigung mit der Geschichte, als ihre Widersprüchlichkeit zu zeigen, auch die des damaligen Regenten? Es ist unsere Pflicht als Historiker, an diese Komplexität zu erinnern. Alles andere wäre Populismus, ein eindimensionales Denken im Sinne von Marcuses „Eindimensionalem Menschen“, das nur die Gegenwart und die eigenen ethischen Werte in die Geschichte zurückspiegelt.
Gegen Eindimensionalität: Das Humboldt Forum wird keine Softeis-Fabrik
Sie beklagen die Ethisierung der Debatten. Wie meinen Sie das?
Kategorisch auszublenden, dass Preußen trotz mancher Anstrengungen bis 1884 keine Kolonialmacht war, das ist in meinen Augen eine gezielt reduktive Ethisierung, die allein die Sonde des Schuldbewusstseins ausfährt. Die Verbrechen der Deutschen dürfen niemals vergessen werden. Die deutsche Geschichte lässt sich auf diese Weise aber nicht ausschließlich verklammern. Man muss sich an andere Traditionen wie die des Universalismus erinnern dürfen. Die Kunstkammer im Schloss war schließlich ein Ort, an dem die Effigies der Könige und Priester von Madagaskar in der gleichen Größe und Pracht präsentiert wurden wie diejenigen der preußischen Könige.
Ausgerechnet das Kreuz ist aber kaum ein Zeichen des Universalismus.
Auch beim Streit um das Kreuz findet eine eindimensionale Zuschneidung von Geschichte statt. Ich halte dies für das große Vergehen eines sich selbst wohlgefälligen Zeitgeistes, der überall dort aufblitzt, wo er Schuld sieht, und die Alternativen in der Historie ausblendet. Der Konflikt ging ja sogar durch den Architekten hindurch, Friedrich August Stüler, dessen Kuppel mit ihren Eisenverstrebungen von kühner Modernität war. Und gleichzeitig plante er das Neue Museum. Hier die technisch avantgardistische Eosanderkapelle, dort ein Museum neuen Zuschnitts, das die germanischen Altertümer erstmals gegen die Norm der Antike setzte, amerikanische und ägyptische Figuren auf derselben Niveauhöhe zeigte und im obersten Stockwerk die gesamte Kunstkammer aus dem Schloss beherbergte. Das Kreuz und diesen Universalismus nicht zusammenzudenken, das ist, als wäre Stüler zwei Personen gewesen, die sich nicht gekannt haben.
Wieso gilt als Schloss-Original eigentlich nicht Andreas Schlüters königliche Residenz von 1702, sondern das Schloss mit der Kuppelergänzung 150 Jahre später?
Das war eine vehemente Diskussion auch in der Stiftung Humboldt Forum, an deren Ende die Erkenntnis stand, dass die Stülersche Kuppel entscheidend ist für das Selbstverständnis Berlins.
Inwiefern?
Das Berliner Kuppelspiel begann mit der Hedwigs-Kathedrale, die ja den römischen Pantheon als Tempel aller Götter zur katholischen Kirche umwidmet, im Herzen des protestantischen Berlin. Ein Meisterstück der repressiven Toleranz unter Friedrich II. Dann die Schlosskuppel, die Stüler gegenüber dem ersten Entwurf von Schinkel erweiterte, zu einem Tambour, der sich zur Kuppel verjüngt. Die Spitze abzuschneiden, würde die architektonische Leistung Stülers diskreditieren. Die Kuppel war ein Wahrzeichen, das Modell aller weiteren Kuppeln im Zentrum der Stadt, vom Berliner Dom bis zur Synagoge in der Oranienburger Straße. So ist auch Wallots Reichstagskuppel von der Schlosskuppel als Antibild motiviert. Wallot setzte sie gegen den erbitterten Widerstand Kaiser Wilhelms II. durch, der den Reichstags-Architekten schon deshalb bekämpfte, weil dessen Kuppel höher war. Wallot durfte nicht einmal bei der Einweihung auftreten.
Norman Foster, der Architekt des neuen alten Reichstagsgebäudes, wollte nach 1989 auch keine Kuppel.
Er schloss zunächst eine Kuppel als Form der Autorität kategorisch aus, bis die Architektur- und Stadthistoriker Tilmann Buddensieg und Michael S. Cullen ihn überzeugen konnten, dass die Reichstagskuppel als Antipode zum Schloss ein weithin sichtbares Zeichen der Demokratie war. Das alles gehört zum Berliner Kuppelspiel, das ohne Stüler nicht denkbar ist. Mich betrübt das Versagen gegenüber all diesen Spannungen, ohne die sich die Architektur und die sozialpolitische Prägung Berlins gar nicht verstehen lassen. Auch nicht ohne das Kreuz.
Erklärt sich dieses „Versagen“, wie Sie es nennen, vielleicht damit, dass die Wirkmacht eines schlichten religiösen Symbols stärker ist als die Vermittlung solcher komplexen Zusammenhänge?
Das ist eine Wunde, die mich selber schmerzt. Wir haben erklärt, publiziert, Vorträge gehalten, Bücher geschrieben, Ausstellungen geschaffen, aber all das prallt an einer Wand des Nichthören-Wollens ab. Das Humboldt Forum will die Eindimensionalität unseres Denkens durchbrechen, dazu ist es da. Es wird keine Softeis-Fabrik sein. Ohne Stacheln wird es seinen Auftrag nicht erfüllen können.
Verstehen Sie bereits die historische Rekonstruktion als solch einen Stachel?
Das Humboldt Forum selbst wird ein Satyrspiel sein. Innen ein modernes Museum, außen ein Barockschloss, so viel Schlüter wie möglich. Aber nicht an der Ostseite, denn dort gab es ein architektonisches Pasticcio aus mehreren Jahrhunderten. Hier findet mit Franco Stellas italienischem Stil nun die Architektur unserer Zeit statt. Übrigens, was die Bildhauer zurzeit bei der Nachschöpfung des Figurenschmucks leisten, ist atemberaubend. Schlüters Fortezza und Justizia sind bereits am Portal V angebracht, sie sind von einer Einfühlung, die die Repliken zu einem Original sui generis machen. Reproduktionen sind Originale in ihrem eigenen Recht. Auch sie erzeugen Aura.