Streit ums Berliner Humboldt-Forum: Ein Kreuz auf dem Dach ist der falsche Weg
Die Kuppel des Stadtschlosses soll als Abschluss ein Kreuz bekommen. Doch das würde in die Irre führen. Das Humboldt-Forum soll ein Ort der Weltkulturen sein. Ein Kommentar.
Alexander von Humboldts Hauptwerk, der fünfbändige „Kosmos“, war ein internationaler Bestseller. Die damalige Welt erkannte sich darin in ihrem Aufbruchsgeist. Der letzte Band erschien 1862 posthum, drei Jahre nach Humboldts Tod. Da war bereits Charles Darwins grundstürzendes Buch „Die Entstehung der Arten“ auf dem Markt.
Beide Forscher haben Gott nicht gebraucht, um die Welt zu erklären. Bei Alexander von Humboldt kommt Gott nicht vor. Auch bei seinem Bruder Wilhelm, dem preußischen Reformer, Diplomat, Sprachforscher – Universalgelehrter wie Alexander – spielt der Glaube keine Rolle. Die Humboldts waren von der Aufklärung, der Revolution, von den damals sich dynamisch entfaltenden Wissenschaften geprägt. Sie mussten Gott nicht einmal verneinen.
Und nun soll dem im Bau befindlichen Berliner Humboldt-Forum ein Kreuz aufgepflanzt werden. Ein großes, vergoldetes christliches Kreuz soll auf die Kuppel kommen. Damit wäre der historische Zustand von 1854 äußerlich wiederhergestellt. Zu der Zeit entstand die Kuppel und die Kapelle darunter wurde geweiht. Heute gibt es sie nicht mehr. Gemessen an der Baugeschichte seit dem 16. Jahrhundert sind Kuppel und Kreuz eine späte Zugabe. Der wilhelminische Berliner Dom vis-à-vis erstand dann erst 1905.
Das Kreuz markiert eine Sollbruchstelle, die lange übersehen wurde. Oder die man für geheilt halten konnte. Jetzt zeigt sich: Es geht immer um das Schloss. Das Humboldt-Forum ist dort künftig nur zu Gast, wenn es so weitergeht. Denn das Berliner Schloss und das Humboldt-Forum sind ganz verschiedene Dinge, nur durch einen Bundestagsbeschluss unglücklich miteinander verbunden.
99,9999 Prozent der Bürger hätten wahrscheinlich niemals bewusst wahrgenommen, dass da oben auf der Kuppel des Schlosses ein Kreuz thront, geschweige denn sich irgendetwas dabei gedacht, wenn jetzt nicht diese Diskussion darüber von Überkorrekten losgetreten worden wäre.
schreibt NutzerIn spreeathen
Innen und außen passen beim Forum nicht recht zusammen
Man sieht es auf der Baustelle. Das Innen und das Außen passen nicht wirklich zueinander. Der Bundestag und Teile der Bevölkerung wollten den Wiederaufbau des 1950 von der DDR gesprengten Schlosses mit seinen barocken Fassaden. Aber nur mit der Idee, darin einmal ein Humboldt-Forum mit den außereuropäischen Sammlungen als einen Ort für die Kulturen der Welt einzurichten, war das Schloss zu haben. Und umgekehrt: Nur mit der Schlosshülle kann es in Berlin ein Humboldt-Forum geben.
Ein hoher Preis – für das Humboldt-Forum. Das Großartige an dieser neuen Institution ist ja, dass sie die Museumsstrecke vollenden kann, die am Bode-Museum beginnt und mit der neuen James-Simon-Galerie weitergeht. Auch das Bode-Museum mit seiner christlichen Kunst hat eine Kuppel, aber kein Kreuz.
Hier ist die national mall der Deutschen, die grandiose Museumsstrecke. Ein nachgebautes Schloss mit der Anmutung eines Gotteshauses steht da schief in der Landschaft. Der Plan, ein Kreuz auf dem Humboldt-Forum zu errichten, treibt das architekturfälscherische Element, das in Franco Stellas Schlossentwurf von Anfang an steckt, auf die Spitze.
Bei einer Diskussion auf der Baustelle wies kürzlich die Historikerin und Humboldt-Forscherin Bénédicte Savoy auf die Gewaltenteilung hin. Hier der Dom, die evangelische Hauptkirche, dort das Humboldt-Forum als staatliche Kultureinrichtung. Und nebenan das Auswärtige Amt. Diese Dinge soll man nicht vermengen. Nicht im säkularen Berlin. Und nicht aus bloß formalen Gründen, indem man sagt: Auf der Kuppel war im 19. Jahrhundert mal ein Kreuz, also muss es im 21. Jahrhundert auch wieder eins geben.
Es geht um Wiederherstellung eines Stadtbilds, das nicht mehr existiert
Das Humboldt-Forum wird – vermutlich ab Winter 2019/20 – Artefakte aus Amerika, Afrika, Asien und Ozeanien präsentieren, in veränderlicher Form und in Anlehnung an Humboldts Schriften, die Natur und Kultur, Kunst und Wissenschaft, Geografie und Politik zusammenbringen. Humboldt wird heute als einer der ersten Denker der Globalisierung verstanden. Kulturen, wo auch immer, betrachtete er als prinzipiell gleichwertig. Er bekämpfte die Sklaverei und war frei von antisemitischen Tendenzen, die Mitte des 19. Jahrhunderts zu einer schrecklichen Modeerscheinung wurden. Mit Religion hat er sich allerdings auf seinen Reisen durch Lateinamerika auseinandergesetzt: mit den Folgen der katholischen Missionierung im Namen der spanischen Krone.
Rekonstruiert werden mit dem Schloss die Fassaden und die Kubatur. So lautet der offizielle Auftrag. Das Kreuz gehört dabei zum Fassadenschmuck, wie Putten und Adler und Wappen. Da zeigt sich das Dilemma des ganzen Unternehmens. Es geht um die äußere Erscheinung, um die Wiederherstellung eines alten Stadtbilds, das schon lange nicht mehr existiert und auch mit den Schlossfassaden nicht zurückgeholt werden kann. Andernfalls müsste man vielleicht auch den Fernsehturm abreißen. Auf dessen Glaskugel bildet sich bei bestimmtem Sonnenstand – ein Kreuz. Ein lustiger Streich der Natur, eine Zufallserscheinung.
Das Kruzifix ist ein Symbol, das man nicht missverstehen kann
Anders sieht es beim Humboldt-Forum aus. Wer ihm ein Kreuz aufzwingt, spielt mit dem Zeichen der Christen. Es ist nicht das Zeichen der Muslime, der Juden, der Buddhisten, der Agnostiker. Das Kruzifix ist ein Symbol, das man nicht missverstehen kann. Oder? Könnte im gottlosen Berlin auch eine Installation sein, irgendeine künstlerische Provokation.