Raubkunst-Kritik am Humboldt-Forum: Horst Bredekamp: "Die Werke sind nicht bezähmbar"
Horst Bredekamp ist einer der Gründungsintendanten am Humboldt-Forum. Er spricht über die Kritik am "Raubkunst-Museum", die Tradition des vorkolonialen Sammelns in Berlin und seine Visionen für das Berliner Stadtschloss.
Horst Bredekamp, Jahrgang 1947l, gehört mit Hermann Parzinger und dem Leiter Neil MacGregor zur Gründungsintendanz des Humboldt-Forums. Das Trio nimmt seine Arbeit als beratendes Gremium am 1. Oktober auf. Bredekamp lehrt seit 1993 an der Humboldt Universität Berlin, er ist Professor für Kunst- und Bildgeschichte sowie Sprecher des Exzellenzclusters „Bild Wissen Gestaltung“.
Herr Bredekamp, beim Richtfest des Humboldt-Forums protestierten Demonstranten gegen das künftige „Museum für Raubkunst“. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie dort vorbeigingen?
Dass Gegner des Humboldt-Forums auch beim Richtfest protestieren, gehört zur Kultur der Selbstkritik. Es ist ein unabdingbares Gebot, dass der Kolonialismus und die zerstörerische Seite der westlichen Kultur kritisch aufgearbeitet werden. Das Massaker der Deutschen an den Herero in Deutsch-Südwestafrika muss benannt werden als das, was es war: ein Völkermord. Darüber gibt es keinen Zweifel. Ebenfalls richtig ist aber, dass es immer auch vehemente Widerstände gegen den deutschen, von 1884 bis 1918 dauernden Kolonialismus gab. Auch in der Universität wurden diese Konflikte ausgetragen.
Wie hat man sich das vorzustellen?
Es gab Gestalten wie Heinrich von Treitschke, aber auch 1848er-Demokraten wie Rudolf von Virchow oder Theodor Mommsen. Das Institut für Meereskunde war ein besonders eindrucksvoller Ort dieser Konflikte. Vor allem dürfen die aus den damaligen Kolonien stammenden Werke nicht automatisch mit dem Kolonialismus kurzgeschlossen werden; hiervon zeugt allein bereits ihre Strahlkraft auf die Kunst der Avantgarde.
Die Objekte haben ein Eigenleben, sagen Sie. Wie wird das sichtbar?
In jedem Kunstwerk liegt etwas, das sich nicht beherrschen lässt und uns aus eigener Kraft entgegentritt. Warum fasziniert uns sonst die Kunst, warum gehen wir in Ausstellungen und Museen? Nehmen Sie die Artefakte, die aus China im 17. Jahrhundert in die Kunstkammer im Schloss kamen: Sie lösten die Chinabegeisterung aus, die wir etwa im Sanssouci-Park mit dem Chinesischen Teehaus erleben können. Oder Objekte aus Tahiti, von denen die Südsee-Sehnsucht ausging, schon damals. Das war nicht erst Gauguin mit seinen vermeintlichen „Edlen Wilden“.
Das Exotische faszinierend finden, heißt nicht, ihm auf Augenhöhe begegnen.
Natürlich, man kann all das unter den Generalvorwurf des Orientalismus stellen. Aber Ideologisierungen dieser Art sollten überwunden sein. Auch eine bestimmte Form des Postkolonialismus kann Züge der Selbstgerechtigkeit tragen. Ist die Begeisterung für fremde Kulturen immer mit einem Überlegenheitsgefühl verbunden? Europäer schätzten im 17. und 18. Jahrhundert die chinesische Kultur für höher ein als ihre eigene. Ein solches Staunen unter Generalverdacht zu stellen, scheint mir abwegig. Es würde etwa auch bedeuten, dass das Erlernen fremder Sprachen allein auf die Domestizierung anderer Kulturen abzielt.
Die Kunstkammer soll ein Vorbild fürs Humboldt-Forum sein. Aber wie lässt sich nach der alles überwölbenden Epoche deutscher und europäischer Weltherrschaftsansprüche wieder daran anknüpfen?
Die Berliner Kunstkammer war nicht die größte, auch nicht die kostbarste, aber eine der ersten, die Mitte des 16. Jahrhunderts nördlich der Alpen gegründet wurde. Von Beginn an war die ethnologische Sammlung angelegt: Etwa ein Zehntel der Objekte stammte aus nichteuropäischen Kulturen. Den 34 Jahren Kolonialismus steht also eine über 450-jährige Tradition gegenüber. Ich halte es für ein Gebot der Aufklärung, gerade heute, in der sogenannten globalisierten Welt, an solche vorkolonialen Konzepte des Sammelns und Reflektierens zu erinnern , wie sie etwa die Kunstkammer der Franckeschen Stiftung in Halle nacherleben lässt – und zwar über die Objekte.
Das heißt, die Ethnologie ist unverdächtig?
Adolf Bastian, der Gründungsdirektor des Berliner Instituts für Völkerkunde, ist eine enigmatische Figur. Er wollte retten, was Imperialismus und weltweite Industrialisierung zerstörten. Gerade mit Blick auf ihn müsste man über jedes einzelne Objekt im Humboldt-Forum eine Biografie schreiben, so wie Kerstin Hinrichs in ihrer Dissertation über die Bernstein-Stücke in der Kunstkammer die Geschichte jedes einzelnen Exponats zurückverfolgt hat. Oder nehmen Sie das Naturkundemuseum: Das große Skelett des Brachiosaurus stammt aus Deutsch-Ostafrika, aus der Kolonialzeit. Dazu ist kürzlich ein Forschungsprojekt des Naturkundemuseums bewilligt worden, an dem unter anderem unser HU-Exzellenzcluster „Bild Wissen Gestaltung“ beteiligt ist.
Soll wirklich jedes Objekt mit Erläuterungen umstellt werden? Hermann Parzinger erwähnte beim Richtfest den Federmantel, den der König von Hawaii Friedrich Wilhelm III. 1828 schenkte. Eine Geste der Unterwerfung oder der Ebenbürtigkeit?
Alleine das im Humboldt-Forum zu hinterfragen, würde sich lohnen. Die Habsburger sammelten mexikanische Federkunst, nachdem sie Mexiko mit den Spaniern auf grauenvolle Weise erobert hatten. Aber es gab auch die Gegenbewegung, die von größter Wertschätzung der indianischen Kulturen geprägt war. Deshalb existieren ja die großen Sammlungen in Wien und Florenz, mit Fächern aus Federn über Gemälde bis zu Marienfiguren. So bezwingt das Eigenleben der Objekte ihre Domestikatoren. Werke sind nicht bezähmbar, das war bereits die Überzeugung des Kunsthistorikers Aby Warburg: Sie wandern als Teppiche, als Kleidungsstücke, als Kupferstiche, Filme oder Fotografien um die Welt und lösen sich von ihrem Adressaten wie von ihrem Empfänger. Sie spielen ihr eigenes Spiel.
Ein Beispiel?
Jens Baumgarten, der in Sao Paulo das erste autonome Kunsthistorische Institut aufbaute, konnte zeigen, wie im 17. Jahrhundert über die Jesuiten im heutigen Brasilien eine Mischung aus indigenen und europäischen Bildkulturen entstand. Muster davon wurden nach Augsburg geschickt, dort zu tausenden als Kupferstiche reproduziert und wieder zurückgeschickt. Spätere Ethnologen deuteten sie dann als originale indigene Kultur. Seit dem 17. Jahrhundert sind die Kulturen global. Das Humboldt-Forum ist der Ort, derartige Zusammenhänge zu zeigen.
Ist es das, was Sie eine „Menschheitsidee“ nennen? Frank-Walter Steinmeier spricht von der „Weltvernunft“. Auch die Politik wird pathetisch beim Humboldt-Forum.
Seit 15 Jahren wird uns unterstellt, es gäbe keine Idee fürs Humboldt-Forum. Ich bin gegenüber dieser Art der Missachtung mittlerweile immunisiert und frage zurück: Gibt es in unserer von Kriegen und Kulturkämpfen beherrschten Welt ein wichtigeres Ziel, als Übungsfelder anzulegen, auf denen sich die Kulturen nicht-hierarchisch begegnen? Woran soll die Menschheit sonst arbeiten? An Herders Idee einer Weltkultur können wir anknüpfen, wie auch an Franz Kuglers „Handbuch der Kunstgeschichte“ von 1842, in dem von frühesten Steinwerkzeugen bis zur Gegenwart ein nicht-hierarchisches Panorama der Weltkulturen über ihre Artefakte entworfen wird. Kugler ging übrigens ständig in die Kunstkammer des Schlosses, um sich dort die ethnologischen Sammlungen anzuschauen.
Und wie soll man mit spirituellen Objekten umgehen? Mit menschlichen Überresten wie Schrumpfköpfen?
Für spirituelle Objekte gibt es Modelle: Man könnte sie nachts zugänglich machen, damit sie verehrt werden können, ohne dass es der säkularen Bestimmung eines Museums widerspricht. Bei Schrumpfköpfen ist die Frage der Dignität eine andere, hier wäre eine Rückführung zu erörtern. Aber es ist meine Auffassung, dass alle Objekte zunächst in der Verantwortung der Museumsleute liegen. Sie sollen schützen und bewahren, das ist ihr Hippokrates-Eid. Es ist letztlich ein nur von Fall zu Fall lösbarer Konflikt.
Weisen Sie die Forderung zurück, Objekte an die Nachfahren der indigenen Völker zu restituieren?
Oft ist es kompliziert, weil die ursprünglichen Volksgruppen nicht mehr existieren und sich die Frage nach den legitimen Nachfahren stellt. Im Einzelfall kann es vollkommen richtig sein, aber es kann eben auch passieren, dass Objekte begraben werden, verwittern und verschwinden. Ich finde das unverantwortlich.
"Die Humboldt-Idee muss im gesamten Haus spürbar sein."
Der Humboldt-Forum-Besucher wird viel Berlinisches vorfinden. Unten die Geschichte des Schlosses, im ersten Stock dann 4000 Quadratmeter „Welt.Stadt.Berlin“ sowie die Humboldt-Universität mit 1000 Quadratmetern. In Ordnung?
Der Vorstoß des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller, die Sprachen Ausstellung durch das Projekt „Welt.Stadt.Berlin“ zu ersetzen, hat mich anfangs skeptisch gestimmt. Inzwischen halte ich es für eine fruchtbare Idee, weil die beabsichtigten Verzahnungen nun wirklich realisiert werden können, auch mit den ethnologischen Sammlungen im zweiten und dritten Stock. Die Humboldt-Idee muss im gesamten Haus spürbar sein. Seitens der Universität könnten wir gemeinsam mit Berlin und den Museen einen Leibniz-Raum bespielen und mit einem Raum starten, der den Humboldt-Brüdern gewidmet ist, einschließlich von Teilen der zunächst geplanten Weltsprachen-Ausstellung. Wilhelm von Humboldt war ja einer der ersten, der indigene Sprachen festhielt und analysierte: Für ihn hatte jede Sprache ihre eigene Dignität.
Besteht nicht die Gefahr von zu viel Berlin, zu viel Selbstdarstellung im Schloss?
Ihre Frage rührt von einer verbreiteten Selbstdegradierung her: dem permanenten Unwillen Berlins, sich seine ehemalige Bedeutung zuzugestehen. Mit Blick auf den Nationalsozialismus ist das verständlich. Aber ist es wirklich verboten, daran zu erinnern, dass die Friedrich-Wilhelms-Universität bis 1933 zu den führenden Universitäten der Welt gehörte, mit der größten Zahl von Nobelpreisträgern? Die Wissenschaftssprache war meist deutsch, die intellektuelle Welt pilgerte hierher. Berlin war ein Laboratorium der Moderne. Dies zu rekonstruieren, mit Blick auf die potentielle eigene Größe wie auf das Grauen des Nationalsozialismus, ist ein zentrales Anliegen des Humboldt-Forums.
Und wie lässt sich das konkret zeigen?
Nach der Revolution von 1918 wurde das Schloss für die Universität geöffnet, unter anderem zog das Institut für Psychologie hierher. Die berühmte Berliner Gestaltpsychologie betrieb im Schloss ihre Hauptforschungen, bis die Nazis sie 1933 nach Amerika vertrieb. Dort haben Wolfgang Köhler und seine Kollegen dann Generationen amerikanischer Designer in Gestaltpsychologie geschult. Apple und Windows sind ohne diesen Einfluss nicht denkbar.
Außen Schloss, innen Humboldt-Forum, wie geht es Ihnen als Kunsthistoriker damit?
Ich war radikal für einen Neubau, und ich habe den damaligen Kulturstaatsminister Michael Naumann mit Frank Gehry zusammengebracht, der das Schloss pro bono geplant hätte. Aber inzwischen habe ich mich um 180 Grad gedreht. Wilhelm von Boddien hat die Frage 1993/1994 mit der Schlossattrappe an der Fassade des Palasts der Republik entschieden. Diese Performance gab den Ausschlag: Berlin war begeistert, es lief mit Hosianna auf den Wiederaufbau hinaus. Aber auch gegen den Stella-Entwurf hatte ich zunächst Vorbehalte, vor allem wegen der Ostfassade. Ich dachte, es gibt bereits genug italienischen Rationalismus in der Stadt. Inzwischen halte ich das Gebäude für grandios.
Was ist so grandios an einer Replik?
Viele haben Franco Stella unterschätzt, dabei macht er etwas äußerst Kluges. Er verwandelt den Innenraum des Schlüterhofs in einen Außenraum, so wie es Michelangelo bei der Biblioteca Laurenziana in Florenz erstmals vollzogen hat. Dazu die Tag und Nacht passierbare Nord-Süd-Passage, die künftigen „Uffizien“ Berlins: Ich stelle mir vor, wie die Menschen in einer Sommernacht nach der Oper oder einer Party zum Schloss kommen, durch die Passage laufen, dort in Kneipen und Restaurants gehen, wie zu Zeiten der Weimarer Republik. Schon Schinkel wollte ein belebendes Gewerbezentrum neben dem Schloss, jetzt wäre es das Schloss selbst. Auch auf die neuen alten Sichtachsen freue ich mich. Man tritt aus dem Dom und links liegt das Schloss mit seiner barocken Fassade als Antwort auf die griechische Fassade des Alten Museums auf der rechten Seite. Der Lustgarten bekommt Innenhofcharakter, der Stadtraum wird extrem verdichtet.
Gibt es eigentlich andere ethnologische Museen wie das Pariser Musée du Quai Branly, von denen sich etwas lernen lässt?
Das Pariser Museum pathetisiert: Mit der Juwelierästhetik der Spotlights werden die Objekte dort fast religiös inszeniert. Damit gibt sich die ehemalige Kolonialmacht Frankreich wieder eine rückwirkende Lizenz für den Besitz der Objekte. Da ist mir die Afrika-Abteilung in den Dahlemer Museen lieber. Dort entfalten die Objekte innerhalb der eigenen Kultur ihre Wirkung, ganz im Sinne von Carl Einsteins 1915 erschienener Studie „Negerplastik“ – auch ein Wort, das sich heute verbietet, damals war es ein neutraler Begriff. Für Einstein gehörten die afrikanischen Masken und Skulpturen zu den großen Kulturleistungen der Menschheit..
Haben Sie ein Lieblingsobjekt in Dahlem?
Vielleicht der Gedenkkopf einer Königinmutter aus dem Königreich Benin aus dem 16. Jahrhundert. Eine Schönheit. Eigentlich gehört sie neben die marmorne Frauenbüste von Desiderio da Settignano aus dem Bode-Museum. Das ist die Hoffnung: dass die Museumsinsel mit dem Schloss und der Universität das alte Dreieck bilden, das Schinkel, Hegel und die Gebrüder Humboldt im Auge hatten. Eine Freistätte für Kunst und Wissenschaft, die in der Welt ihresgleichen sucht.
Das bringt Ihnen jetzt den Vorwurf der Großmannssucht ein.
Ich will weder die Großmannssucht bedienen, noch der nicht weniger spürbaren Kleinmannssucht entgegentreten. Es geht um Geschichte: Was in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Berlin entstand, kann ein Modell für die Zukunft sein: ein vorkoloniales! Wir haben zwei Jahre Zeit für den Testlauf. Vor uns liegt schier furchterregend viel Arbeit.