Debatte um Kreuz auf Berliner Schloss: Ein Symbol der Staatsgewalt
Streit um Kreuz und Humboldt-Forum: Es geht dabei auch um die Niederschlagung der demokratischen Bewegung von 1848.
„Fortschrittsschweinehunde!“ Mit diesem Schimpfwort empörte sich Friedrich Engels über die Klassenfeinde, die den Tod von Ferdinand Lassalle begrüßen würden. Der Gründervater der SPD hatte damit begonnen, eine schlagkräftige Vertretung der deutschen Arbeiterschaft aufzubauen, starb aber 1864 nach einem Duell. Für Friedrich Engels und Karl Marx war Lasalle der „einzige Kerl in Deutschland“. Allerdings vergaßen die beiden Cheftheoretiker des Kommunismus in ihrem Londoner Exil, dass sie selbst Lassalle noch kurz zuvor verdammt und verspottet hatten. Marx, der seine Rolle als Anführer gefährdet sah, keinerlei ideologische Abweichung duldete und selber einer jüdischen Familie entstammte, belegte den charismatischen Parteiengründer mit antisemitischen Flüchen wie „kraushaariger Nigger-Jude“, „Baron Itzig“ oder „Ephraim Gescheit“.
Doch in Friedrich Engels schlagendem Neologismus von den „Fortschrittsschweinehunden“ schwingt noch etwas anderes mit: die Enttäuschung und die Wut über das Scheitern der Kämpfe von 1848/49. Aus Revolutionären waren Reaktionäre geworden. Die Fortschrittsschweinehunde, unter ihnen nicht bloß unverbesserliche Bourgeois, sondern auch viele ehemalige Barrikadenbauer, kämpften statt für eine demokratische Verfassung nun für einen Nationalstaat unter preußischer Führung. Die Dynamik des niedergeschlagenen Aufstands, resümiert der australische Historiker Christopher Clark, „übertrug sich wie eine seismografische Schockwelle auf das preußische Regierungssystem“.
So wurde der Fortschritt zum Verbündeten des Hohenzollern-Königs und seiner Bajonette und blieb es durch drei siegreiche Kriege bis zur Kaiserkrönung. Das musste Marx und Engels, die 1848 aus Brüssel nach Köln zurückgekehrt waren, um die verbotene „Rheinische Zeitung“ als „Neue Rheinische Zeitung“ wiederaufleben zu lassen, verbittern. Nach der gewaltsamen Auflösung der Frankfurter Nationalversammlung wurden die beiden Staatenlosen aus Preußen ausgewiesen. „Das Jahr 1848 war das Jahr der Enttäuschungen über die revolutionären Reminiszenzen, Illusionen und sonstige Phrasen“, schrieb Engels. „Das Jahr 1849 ist das Jahr der Enttäuschung über die Allgewalt der Militärdiktatur.“
Unselige Allianz von Krone und Kirche
Das Kreuz, mit dem jetzt die Kuppel des wiederaufgebauten Berliner Stadtschlosses gekrönt werden soll, ist auch ein politisches Symbol. Es steht für eine unselige Allianz von Krone und Kirche und für die Niederschlagung der ersten deutschen Demokratiebewegung mit militärdiktatorischen Mitteln. 1844 von König Friedrich Wilhelm IV. in Auftrag gegeben, wurde die Kapelle mit der Kuppel über dem Westportal des Schlosses, ein Werk der Architekten Friedrich August Stüler und Albert Dietrich Schadow, im Januar 1854 eingeweiht.
Ursprünglich, darauf hat Andreas Kilb gerade in der „FAZ“ hingewiesen, sollte die gesamte Kuppellaterne samt Kreuz vergoldet werden. Doch dafür war nach dem erfolgreichen Feldzug gegen die eigenen Bürger die Finanzsituation des Staates Preußen zu angespannt. Der Förderverein Berliner Schloss kündigt nun an, dass die Kopie des Kreuzes über dem Humboldt-Forum vergoldet sein werde. Bezahlt wird das mit privaten Spenden. Die Kosten für den historische Kuppelnachbau liegen bei 15 Millionen Euro. In der ursprünglichen Planung waren diese Ausgaben nicht vorgesehen. Aber nicht alles, was Gold ist, glänzt auch.
Der zu operettenhaftem Auftreten neigende Friedrich Wilhelm IV. hatte den „Märzgefallenen“, den getöteten Berliner Demonstranten von 1848, seine Referenz erweisen müssen, wobei er sogar auf den Zuruf „Mütze ab“ hin seine Kopfbedeckung vor ihnen verneigte. Seine Soldaten, die ihn hätten beschützen können, waren aus der Stadt abgezogen. Ein Jahr später lehnte er die ihm von der Nationalversammlung angebotenen Kaiserkrone angeekelt ab: „Einen solchen imaginären Reif, aus Dreck und Letten (gemeint: Ton) gebacken, soll ein legitimer König von Preußen sich gefallen lassen?“
Jeder nach seiner Fasson
In Preußen, das durch die Märkische Kirchenordnung von 1540 in die Reihe der evangelischen Territorialstaaten des alten Deutschen Reiches eingetreten war, nahm der Protestantismus die Züge einer Staatsreligion an. Nach der lateinischen Redewendung „cujus regio, ejus religio“ (wessen Gebiet, dessen Religion) hatten die Untertanen dem Religionswechsel ihres Fürsten zu folgen. Wer trotzdem am alten Glauben festhielt, dem wurde es gestattet, das Territorium zu verlassen.
Unter Kurfürst Friedrich Wilhelm und König Friedrich II., der religiös eher unmusikalisch war, wurde die Aus- zur Einwanderung. Religionsflüchtinge wie die französischen Hugenotten oder die „Salzburger Exulanten“ kamen ins Land und brachten es kulturell und wirtschaftlich voran. Friedrich II. versprach, „dass in Preußen jeder nach seiner Fasson selig werden könne“. Gleichzeitig beharrte er darauf, dass er „keine päpstliche noch andere autorité“ anerkenne. Als höchster Souverän fungierte in Preußen immer der Staat mit dem König an seiner Spitze.
Mit den Toleranz-Edikten und dem Fasson-Glück war es allerdings vorbei, als Preußen im 19. Jahrhundert zur schlagkräftigen, nach dem deutschen Primat strebenden Macht ausgebaut wurde. Als Trier nach dem Wiener Kongress von 1815 als Teil der Rheinprovinz an Preußen fiel, ist nicht nur die Zensur verschärft worden. Der jüdische Vater von Karl Marx musste sich taufen lassen, um weiter als Anwalt arbeiten zu können.
Genauso erging es hunderten anderen Juden. Seinen Höhepunkt erreichte der konfessionelle Krieg im Kulturkampf, mit dem Reichskanzler Otto von Bismarck den „heuchlerischen, götzendienerischen Papismus voll Hass und Hinterlist“ brechen wollte. Daraus folgte, dass sich Ende 1878 mehr als die Hälfte der katholischen Bischöfe Preußens entweder im Exil oder im Gefängnis befand. Bismarck, von dem es spöttisch hieß, dass er seinen antriebsschwachen Kaiser Wilhelm I. jeden Morgen mit einer großen Schraube aufziehe, konnte die antikatholische Kampagne trotzdem nicht gewinnen.
Götzen des Goldes
Noch etwas ließ die unheilige Allianz von Kreuz und Krone erblühen: den Antisemitismus. Der Theologe Adolf Stoecker, der von 1874 bis 1890 als Hof- und Domprediger in Berlin amtierte, wetterte gegen die Folgen der Aufklärung, gegen den „verjudeten“ Kapitalismus, gegen die „verjudete“ Linke. Die von ihm gegründete „Christlich-Soziale Arbeiterpartei“ war die erste offen antisemitische Partei Deutschlands. Das Verhängnis der Juden, schreibt Stoecker, sei, dass sie „an Christo gescheitert, ihren göttlichen Curs verloren haben und den Götzen des Goldes nachlaufen“. Konsequenterweise waren es die finanziellen Unterschlagungen eines Freundes, die Stoecker um sein Parteiamt brachten. Kaiser Wilhelm II. schätzte den Hofprediger, später sollten die Nationalsozialisten ihn zu einem ihrer Vorläufer erklären.
Bevor Friedrich August Stüler seine Kuppel auf Andreas Schlüters Barockschloss setzte, war es 150 Jahre ohne Kreuz ausgekommen. Sind unsere Zeiten etwa religiöser als die unter König Friedrich I. im frühen 18. Jahrhundert? Kreuze fungieren als Wegweiser im Stadtbild. Sie zeigen die Funktion eines Gebäudes als Gotteshaus an. Aber ein Gotteshaus wird der von Franco Stella entworfene Schlossnachbau niemals werden.
Das Humboldt-Forum ist als Ort des Wissens, nicht des Glaubens geplant. Wo sich einmal eine Kapelle für die Morgenandacht des Hochadels befand, sollen bald Einbäume aus der Südsee, indonesische Langhäuser oder buddhistische Wandmalereien aus Xinjiang zu sehen sein. Mit dem Christentum haben solche Weltschätze eher wenig zu tun, es sei denn, man wollte an die Zeiten des Kolonialismus und die Rolle der Missionare erinnern. Berlin wäre die einzige Stadt, die ein ethnologisches Museum mit einem Kreuz schmückt. Im Innern soll mit modernster Ausstellungstechnik gearbeitet werden. Das Humboldt-Forum will ja auch mehr werden als ein Museum herkömmlichen Typs: ein Zentrum der Weltkulturen.
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