Prothesen: Stabiler, langlebiger, funktionaler
Orthopäden setzen besonders bei körperlich aktiven Patienten bevorzugt zementfreie Prothesen ein
Geschätzte 400 000 Kunstgelenke werden jedes Jahr in Deutschland eingesetzt. Etwa die Hälfte davon sind Hüftprothesen, am zweithäufigsten wird ein künstliches Kniegelenk implantiert. Hohe Belastbarkeit und Langlebigkeit mit sehr guter Funktion des Gelenkes sind die wichtigsten Bewertungskriterien einer Prothese. Um all diese Punkte weiter zu verbessern, habe es in den letzten Jahren immer wieder Neuerungen auf dem Prothesenmarkt gegeben, sagt Carsten Perka, Leiter des Muskuloskeletalen Zentrums an der Charité in Berlin-Mitte. Damit die Hüftprothese stabil bleibt, muss sie zunächst fixiert werden. Eine Möglichkeit ist es, Knochenzement zu verwenden und damit das künstliche Gelenk im Knochen zu verankern. Der Nachteil dieser Methode ist, dass der Zement die Prothese nicht biologisch mit dem Knochen verbindet, beides also nicht zusammenwächst. Das bedeutet, dass sich die Verbindung im Laufe der Zeit wieder lockern kann - entweder weil der Zement altert, also zum Beispiel rissig wird, oder weil sich der Knochenabbau etwa in Folge einer Osteoporose fortsetzt. Da ein solcher Auflösungsprozess für den Patienten nicht immer mit Schmerzen verbunden ist, wird er oft erst sehr spät wahrgenommen. Dann sind unter Umständen bereits größere Knochendefekte entstanden, was den erfolgreichen Austausch des Kunstgelenkes erschwere, sagt Perka. Deshalb setzen Orthopäden besonders bei körperlich aktiven Patienten bevorzugt zementfreie Prothesen ein. Das Prinzip bei dieser Methode ist, dass der Knochen direkt auf der Prothese anwächst. Dazu wird zunächst das eigentliche Material des Kunstgelenks - am Hüftgelenk meist Titan - angeraut. Zusätzlich wird die Oberfläche mit Hydroxylapatit beschichtet, einem Werkstoff, der sich bereits bei Zahnimplantaten bewährt hat. Einen ähnlich aufrauenden Effekt haben Gerüststrukturen, die nachträglich mit Metallen wie Tantal bedampft werden, oder Titankonstruktionen, die mittels 3-D-Druckern hergestellt werden. Die so erreichte biologische Verbindung sorgt für eine langlebige und stabile Prothese. Bei der Entwicklung von Knieprothesen dagegen sei es weniger um die Oberflächen, sondern um eine Verbesserung der Funktionsweise gegangen, sagt Klinikchef Carsten Perka. Das Knie ist ein hochkomplexes Gelenk, das eine ausgeklügelte Mechanik besitzt. Herkömmliche Prothesen haben diese bisher nur sehr beschränkt nachbilden können. Knieprothesen sind mechanisch kompliziert zu bauen, weil sie in das Zusammenspiel aus Muskeln, Bändern und Kniescheibe, das sich je nach Beugung des Knies stark verändert, eingepasst werden müssen. Entscheidend ist unter anderem, dass sich der Oberschenkelknochen beim Anwinkeln des Beins nach hinten auf dem Unterschenkel rollt. Das war bei den bisherigen Knieprothesen nicht der Fall, was typischerweise bei vielen Patienten zu Schmerzen im vorderen Kniebereich führte, zum Beispiel beim Treppensteigen. Seit 2013 sind aber einige Modelle auf dem Markt, die der natürlichen Biomechanik des Kniegelenks näher kommen, sagt Perka. Andere Erfindungen, in die große Hoffnungen gesetzt wurden, haben sich nicht wie geplant durchgesetzt. Dazu gehört zum Beispiel die Operation mithilfe der Navigation (siehe Text rechts). Bei dieser Technik erhält der Chirurg während des Eingriffes über einen Bildschirm genaue Daten über die optimale Lage des Implantats. Damit dies möglich ist, wird während der Operation am Kniegelenk des Patienten ein Sensor befestigt, der beständig Informationen sendet. Doch obwohl dies bei komplizierten Fällen sinnvoll sei, waren die Ergebnisse nicht entscheidend besser als bei Prothesen ohne Navigation, sagt Carsten Perka. Möglicherweise werde dieser Mangel damit erklärt, dass die Knieprothesen noch nicht ausreichend an die natürliche Funktionsweise des Knies angepasst wurden. Die Forschung am künstlichen Gelenk erfordert Geduld. Veränderungen sollten langsam erfolgen, meint der Chefarzt. Denn schon heute halten die meisten neu implantierten Hüftprothesen, wenn auch nicht ewig, so doch 15 bis 25 Jahre. Entsprechend lange dauert es denn auch, bis Ergebnisse über tatsächliche Verbesserungen in Belastbarkeit und Funktion vorliegen. Die Entscheidung für eine moderne Prothese, über die noch keine Langzeitergebnisse vorliegen, sollte daher immer genau überlegt und mit dem Arzt besprochen sein.
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Anna Ilin