Gesundheit: Glückliche Menschen leben länger
Der Gesundheitszustand unseres Herzens hängt nicht nur davon ab, wie gut wir uns ernähren oder ob wir Sport machen, sondern auch von unserem Wohlbefinden. Erkenntnisse darüber sammelt die Psychokardiologie.
Herr Ladwig, warum aber haben wir eigentlich Herzklopfen, wenn wir emotional erregt sind, zum Beispiel vor einem Bühnenauftritt?
Auch wenn wir unsere Körperlage verändern, also zum Beispiel vom Sitzen ins Stehen kommen, reagiert das Herz auf die veränderte Kreislaufsituation - wir nennen das Herz deshalb ein dynamisches Funktionsorgan. Faszinierender für viele ist aber, dass das Herz auch auf psychische Zustände regiert.
Aber wie wirken denn Emotionen auf das Herz?
Emotionen lösen immer körperliche Reaktionen aus. Das war in der Evolution ein Vorteil, um äußeren Gefahren zu entgehen, entweder durch Flucht oder Angriff. Angst oder auch Lampenfieber wirken auf das Herz, damit die Muskulatur mit mehr Blut versorgt wird und so schnell reagieren kann. Dabei werden die elektrischen Reize vom Gehirn über den Sympathikusnerv direkt an den Herzmuskel geleitet, wo er aktivierend wirkt. Im Ergebnis schlägt das Herz schneller und pumpt damit mehr Blut durch den Körper. Der Gegenspieler vom Sympathikus ist der Parasympathikus. An ihn gehen die Reize, die eine hemmende Wirkung haben. Manche Menschen werden zum Beispiel ohnmächtig, wenn sie eine Spritze bekommen sollen. Dann spricht man von einer hyperparasympathischen Reaktion.
Können emotionale Belastungen tatsächlich herzkrank machen?
Ja, aber anders als zunächst gedacht. In den 50er Jahren haben die US-amerikanischen Kardiologen Meyer Friedman und Rey H. Rosenman die Theorie entwickelt, dass der Herzinfarkt besonders oft den gestressten Manager-Typen treffe. Also jemanden, der seine Umwelt als feindselig wahrnimmt, schnell auf 180 ist und sehr konkurrenzorientiert denkt. Dieser Persönlichkeitstypus wurde »Typ-A« genannt. In den 80er Jahren kamen allerdings Zweifel an dieser These auf. Auch ich habe die Erfahrung gemacht, dass nur wenige Patienten diesem Bild entsprechen. In Langzeitstudien wurde nachgewiesen, dass die Menschen, die unter Depressionen leiden und gleichzeitig sozial isoliert sind, das höchste Risiko haben, eine Herzerkrankung zu entwickeln. Also nicht so sehr der jähzornige Macher-Typ, sondern jemand, bei dem es zum Beispiel auf der Arbeit nicht gut läuft, der eventuell sogar gemobbt wird und gleichzeitig auch privat einsam ist, weil vielleicht die Ehe nicht mehr funktioniert oder es keinen Freundeskreis gibt.
Ist dann der Umkehrschluss auch richtig: Je mehr Freunde ich habe, desto niedriger ist mein Risiko, an einer Herzerkrankung zu sterben?
Ganz so einfach kann man das natürlich nicht sagen. Fakt ist aber, dass gute Freunde, eine liebevolle Familie, eine gefestigte Partnerschaft, als Puffer in stressigen Situationen wirken. Langzeitstudien zeigen, dass glückliche Menschen zweifach profitieren: vom Glück und vom längeren Leben.
Depressionen können nicht nur Auslöser für Herzerkrankungen sein, das Ganze geschieht auch andersherum. 20-30 Prozent der Patienten erkranken nach einem Herzinfarkt an einer sogenannten Post-Infarkt-Depression.
Das stimmt. Typischerweise reagieren die Patienten in der akuten Phase des Herzinfarktes, beziehungsweise kurz danach, erstmal mit Angst. Ein Herzinfarkt ist ein wirklich großer Schock für die meisten. Der Kalender ist voll mit Terminen und auf einmal wird man komplett raus gerissen und schaut dem Tod ins Gesicht. Dann, wenn die erste Notfallrettung kommt und die Beruhigungsmittel verabreicht werden, folgt ein Zustand, bei dem man kaum bei Bewusstsein ist. Die meisten Betroffenen haben nur schemenhafte Erinnerungen daran. Alles ist auf das Ziel fokussiert zu überleben. Als letztes, also nach dem man schon quasi »gerettet« wurde und die eventuelle Operation oder Katheterbehandlung gut überstanden hat, kommt die Phase der Trauerarbeit - eine aktive Auseinandersetzung mit dem, was passiert ist. Ein Herzinfarkt bedeutet nämlich auch langfristig einen radikalen Schnitt in der Biografie. Der Körper, auf den man sich immer so selbstverständlich verlassen konnte, hat einen plötzlich im Stich gelassen. Eine Erfahrung, die traurig macht. Manche Menschen bleiben in dieser Trauerphase stecken. Sie schaffen es nicht, den Herzinfarkt in ihre Lebensgeschichte zu integrieren. Eine kurze Zeit traurig über den Verlust des alten Ichs zu sein, ist in Ordnung. Aber so nach drei Wochen, wenn die Reha beginnt, sollte man lernen, wieder nach vorne zu schauen. Wenn man das nicht alleine schafft, hilft eventuell eine Psychotherapie oder Medikamente gegen Depressionen.
Wollen die Menschen denn überhaupt über ihre persönliche Situation sprechen?
Unsere Botschaft zu dem Thema heißt: Von alleine werden die wenigsten Patienten anfangen, über sich zu erzählen. Aber auf Nachfrage verweigern die Menschen eigentlich nur in Ausnahmefällen das Gespräch. Im Gegenteil, die meisten sind sehr froh, sich einer Vertrauensperson, die der Arzt ja sein sollte, öffnen zu können. Manchmal wirkt sich auch schon die Nachfrage positiv auf das allgemeine Befinden aus.
Welchen Menschen fällt es leichter, mit einem Herzinfarkt klar zu kommen - denen, die vorher einen eher ungesunden Lebensstil hatten oder denen, die vorher schon sehr gesund gelebt haben?
Das lässt sich nicht eindeutig beantworten. Diejenigen, die vorher viel geraucht und getrunken haben und nie zum Sport gingen, müssen sich danach natürlich mehr umstellen. Andererseits empfinden die »Moralapostel« es eventuell als ungerechter, dass ausgerechnet ihnen der Herzinfarkt widerfahren ist, obwohl sie doch so viel dafür getan haben, dass es nicht passiert. Unter Umständen fällt es ihnen deshalb schwerer ihr Schicksal zu akzeptieren.
Berücksichtigen Kardiologen heute die psychische und soziale Situation ihrer Patienten?
Die wissenschaftliche Grundlage der Psychokardiologie ist heute unbestritten, dafür haben zahlreiche Studien gesorgt. Trotzdem zögern manche Kardiologen die psychosoziale Situation ihrer Patienten zu berücksichtigen. Zum einen, weil sie befürchten, es könnte zu viel Zeit kosten und zum anderen, weil viele nicht geschult sind, die Ergebnisse dann zu interpretieren und eine Behandlung vorzuschlagen. Ich glaube aber, gerade die jüngeren Generationen sind sehr offen für Ansätze. Letztendlich ist es als Arzt beruflich auch erfüllender, wenn man ganzheitlicher behandelt und sich mit dem Patienten als Menschen beschäftigt und in ihm nicht nur einen Fall sieht.
Der Volksmund schien schon immer gewusst zu haben, dass Liebe und Freundschaft gut für das Herz sind. Jedenfalls gibt es unzählige Sprüchlein und Sprichwörter, die den positiven Zusammenhang thematisieren.
Ja, manchmal gibt es dieses intuitive Wissen, dass in der Gesellschaft vorhanden ist. Trotzdem funktioniert die medizinische Wissenserkenntnis doch anders. Man sagt ja auch, jemandem ist eine »Laus über die Leber gelaufen«, trotzdem gibt es dazu keine entsprechenden Studien.
Mehr zum Thema lesen Sie im Magazin für Medizin und Gesundheit in Berlin "Tagesspiegel Gesund - Die besten Ärzte für Herz & Kreislauf".
Weitere Themen der Ausgabe: Sport. Welches Training tut ihrem Herz gut?; Stress kann krank machen - und trifft oft die Armen der Gesellschaft; Cholesterin. Über die guten und schlechten Seiten des Blutfetts; Navigator. Routenplaner zum gesunden Herzen; Bypass-OP. Eine Reportage aus dem Operationssaal; Herztransplantation. Das lange Warten auf den Spender; Lebensrettung. Wie ein Patient einen Herzanfall überlebte; Herzklappen, die man per Katheter durch die Adern schiebt; Herzkatheter. Ein Stent wird eingesetzt; Metabolisches Syndrom. Jugendliche lernen in der Adipositas-Ambulanz, nein zu sagen; Herzreha. Lernziel: Lebensstil radikal ändern; Telemedizin. Wenn der Arzt virtuell zum Hausbesuch kommt; Beininfarkt. Gefäßverschlüsse können gefährlich sein; Krampfadern. Erfolgreich therapieren; Thrombose. Ursachen und Behandlung; und außerdem in übersichtlichen Tabellen: Kliniken und Ärzte im Vergleich
Anna Ilin