Scheidungsanwältin Ingeborg Rakete-Dombek: „Zweite Ehen sind oft die besseren“
Ans verflixte siebte Jahr glaubt sie nicht, an getrennte Betten schon. Die Scheidungsanwältin Ingeborg Rakete-Dombek weiß genau, wie die Deutschen lieben.
Frau Rakete-Dombek, am Samstag wollen Prinz Harry und Meghan Markle heiraten. Ohne Ehevertrag, obwohl die Queen drauf drängt! Ein Fehler?
Das mit der Queen halte ich jetzt mal für eine Ente. Prinz Charles hat keinen Ehevertrag, Prinz William auch nicht. Die Engländer haben eine völlig andere Rechtskultur als wir. Dort sind Eheverträge nicht verbindlich. Deshalb ist das Thema garnicht so aufregend, wie die Boulevardpresse gern suggerieren möchte.
Und in Deutschland?
Wenn Sie einen guten Ehevertrag haben, gilt der. In Deutschland darf man über alles Verträge schließen, solange die nicht sittenwidrig sind. Das gilt auch für Eheverträge.
Viele sehen das ja als Misstrauensvotum. Wer einen Ehevertrag unterschreibt …
… zerstört jegliche Romantik. Ja, ja. Dann frage ich Sie: Warum soll es denn romantischer sein, eine Ehe zu den gesetzlichen Bedingungen zu schließen? Auf dem Standesamt unterschreiben Sie doch auch einen Vertrag. Die Leute heiraten, weil alles so schön rosa ist, informieren sich aber nicht darüber, welche Regeln anschließend nach dem Gesetz für sie gelten.
Nämlich?
Das deutsche Recht schützt den Schwächeren. Wer kein Einkommen erzielen und kein Vermögen aufbauen kann, bekommt Unterhalt, einen Anteil am Vermögen und an der Rente. Meist sind das die Frauen. Gleichen Lohn für gleiche Arbeit haben wir ja bis heute nicht. Deshalb bleibt natürlich derjenige zu Hause, der das schlechtere Einkommen hat. So ein Ehevertrag kann auch ein Test sein, bei dem man prüft, wen man da eigentlich heiraten will. Wer versorgt die Kinder? Wer geht einkaufen? So was kann Enttäuschungen verhindern. Man diskutiert die realen Bedingungen der Ehe.
Also sollten wir bei der Liebe mehr auf den Kopf hören als auf den Bauch?
Man braucht den Bauch, sonst geht man ja auf keinen zu. Aber danach müssten Sie auch noch prüfen, wie weit die Lebensvorstellungen übereinstimmen. Das wird gern vergessen. Stattdessen wird anderes geplant: Wo findet die Hochzeitsfeier statt? Was ziehen die Brautjungfern an? Welchen Hochzeitsplaner beschäftigt man? Aber damit ist es nicht getan. Im Alltag ist man darauf angewiesen, dass der andere auch einfach mal ein Kumpel ist.
„Drum prüfe, wer sich ewig bindet …“
Ja, das berühmte „Auswahlverschulden“. Ich erlebe oft, dass Leute vor mir sitzen, ihren Partner schlecht machen und sagen: Er war früher nicht so. Das glaube ich nie. Dafür gibt’s Zeichen, die man nicht sehen wollte.
Können Sie Paaren ansehen, wie lange sie noch zusammenbleiben?
Wie lange eine Beziehung dauern wird, kann ich nicht voraussagen. Aber manchmal klappt es andersherum: Ich war mal mit einer Freundin in einer Bar und hab ihr gesagt: Da links sitzt einer, und da rechts sitzt eine, und in einer Stunde sitzen die zusammen. So kam es dann auch. Ein Zeichen dafür, dass etwas nicht gut läuft, ist oft die Nichtachtung oder Nichtbeachtung, mangelnde Kommunikation. Ich fahre gerne in den Cluburlaub, und an den Achtertischen bekommt man schon so einiges mit: Jemand steht auf: „Ich geh jetzt!“ – „Wohin?“ – „Na, zum Golf, weißt du doch?“ – „Ich weiß von nix.“ Da denke ich schon: Na, ein schönes Leben noch!
Ist das Geheimnis einer funktionierenden Ehe schlicht Aufmerksamkeit?
Nicht nur. Ähnliche Interessen sind an bestimmten Punkten wichtig. Ich bin jetzt seit 33 Jahren mit einem Anwalt verheiratet, und wir haben uns immer gut ergänzt. Es braucht ein gemeinsames überstrahlendes Interesse, eine „gemeinsame dritte Sache“, wie Brecht das in „Die Mutter“ genannt hat. Das Verbindende kann eine Zeit lang auch ein Kind sein oder ein Hausbau. Komischerweise trennen sich die Leute ja oft, wenn das Haus fertig ist.
Brecht meinte den Kommunismus. Sind politische Ansichten wichtiger als Hobbys oder Geschmack?
Möglich. Mein Vater war ein strammer rechter Konservativer und politischer Kommentator beim Rias. Meine Mutter war eher bei der Literaturabteilung. Wenn die Wahl anstand, hat sie ihm immer eine reingewürgt und gesagt: Ich hab’ SPD gewählt. Das gab einen Riesenaufstand. Ich habe meine Mutter dafür bewundert, weil mein Vater ein ziemlicher Choleriker war. Die haben sich natürlich später auch scheiden lassen.
"Ich will heute nicht mehr über Kinder streiten"
Getrennte Betten oder Ehebett?
Ich kenne Männer, für die wäre Getrenntschlafen ein Scheidungsgrund. Ich finde das nicht. Ich habe 20 Jahre lang hingenommen, dass die Vorhänge nicht zu sind, obwohl ich gern im Dunkeln schlafe, das Fenster irgendwann geschlossen wird, obwohl ich es gern kalt mag. Als mein Sohn auszog, bin ich auf dessen Hochbett gezogen. Seitdem schlafe ich gut. Getrennt schlafen hat durchaus was. Vor allen Dingen, weil man nicht nur rübergreifen muss, wenn man was voneinander will. Kann ja nicht schaden, sich ab und an mal etwas Mühe zu geben.
FDP-Chef Christian Lindner hat jetzt nach sieben Jahren Ehe die Trennung bekannt gegeben. Stimmt der Mythos vom verflixten Jahr?
Ich halte das für Unsinn. Es kann sein, dass man sich nach sieben Jahren nochmal fragt: Wozu bin ich überhaupt verheiratet? Aber in der Regel gibt es immer einen Anlass.
Was ist denn der häufigste Scheidungsgrund?
Neuer Partner, Fremdgehen. Auch bei den älteren Paaren übrigens, von denen immer mehr kommen. Das liegt an der zunehmenden Lebenserwartung, denke ich. Wenn Sie heute 90 Jahre alt werden und eine Ehe im Schnitt 15 Jahre hält, können Sie ja viermal heiraten.
Die Natur hat den Menschen nicht monogam angelegt. Sollten wir das nicht auch rationaler angehen?
Treue ist unverhandelbar. In einer Ehe geht es ja auch um Loyalität und Solidarität. Einmal ausflippen? Still schweigt der See, würde ich sagen. Aber wenn jemand ein Doppelleben führt, ist das eine schlimme Kränkung. Trotzdem muss ich Frauen manchmal klarmachen, dass eine Scheidung eine ausgesprochen blöde Idee wäre. Bleibt die Ehe bestehen, gibt es sichereren Trennungsunterhalt, der Mann zahlt länger in die Rente ein und erbberechtigt bleibt sie auch. Das ist das Schwierigste: den Menschen zu vermitteln, dass es wirtschaftlich gegen ihre Interessen geht, sich dermaßen zu echauffieren. Das ist ein hoch emotionaler Moment.
Sie bekommen Einblick in so viele menschliche Dramen. Fällt es manchmal schwer, Distanz zu wahren?
Nicht mehr, aber ich habe da auch viel psychologisch gemacht. Bei uns in der Kanzlei gibt es regelmäßig Supervisionen. Gerade bei jungen Anwälten ist die Gefahr der Überidentifikation hoch. War bei mir auch so. Ich will aber heute zum Beispiel nicht mehr über Kinder streiten. Das war manchmal wirklich furchtbar. Einmal führte ich wegen der Kinder an die 15 Verfahren: Wo sie eingeschult werden, ob sie Ohrlöcher tragen dürfen, über das Impfen, den Umgang ... Die Eltern waren beide so was von zerstritten und uneinsichtig. Der Mann war wesentlich älter. Das war auch Machtkampf.
Macht das Alter einen Unterschied? Emmanuel Macrons Frau ist 25 Jahre älter. Scheint zu funktionieren.
Ich würde schon sagen, dass es einen Unterschied gibt. Einfach weil die Lebensrealitäten auseinandergehen. Stichwort Mobilität, älter werden. Wenn Sie kein fürsorglicher Typ sind, sollten Sie einen großen Altersunterschied zu Ihrem älteren Partner vermeiden. Aber auch junge Eltern verlieren beim Streit häufig die Belange ihrer Kinder aus den Augen. Das wird eher schlimmer.
Warum?
Vor 30 Jahren bekam die Frau die Kinder zugesprochen und fertig. Die Männer wollten möglichst wenig mit den Blagen zu tun haben. Heute sind sie begeisterte Väter und wollen weiterhin am Leben ihrer Kinder teilnehmen.
Ist das nicht gut?
Wäre es vielleicht, wenn die Leute nicht so unkontrolliert wären und ihren Beziehungsstreit über die Belange der Kinder stellen würden. Jeder fürchtet, mit weniger Umgang gehe auch die Beziehung zu den Kindern kaputt. Kinder sollen „gerecht aufgeteilt“ werden. Als entscheide die Stechuhr, wie gut die Bindung ist. Wir haben Untersuchungen, dass es nicht zählt, wie viel Zeit Sie mit den Kindern verbringen, sondern wie intensiv. Sie können einmal die Woche drei Stunden mit den Kindern zusammen sein, wenn Sie sich dann wirklich intensiv mit ihnen befassen, ist das prima.
Kann man trotzdem pauschal sagen, dass Kinder immer unter einer Scheidung leiden?
Ja. Man kann aber durch vernünftiges Verhalten das Leid erheblich mindern. Die Kinder müssen das Gefühl haben, dass sie keinen der Eltern verlieren. Sie müssen den jeweils anderen lieben dürfen. Und sie müssen begeistert vom Umgang zurückkehren dürfen, wenn es ihnen gefallen hat, und nicht damit rechnen, dass der andere sofort ein Gesicht zieht oder den Expartner schlechtmacht.
"Das Recht hinkt dem Leben immer hinterher"
Ist Streit für Kinder schlimmer als Trennung?
Das kommt auf den Streit an. Dass Eltern streiten, halte ich für natürlich, dass Paare streiten auch. Untersuchungen zeigen, dass die Ehen besser halten, in denen sich die Partner gepflegt zoffen. Aber es gibt eine Art von zerstörerischen Begegnungen, die für Kinder unzumutbar sind. Wenn der andere vor den Kindern schlechtgemacht wird, beschimpft und herabgesetzt wird.
Viele trennen sich nach dem zweiten Kind. Zufall?
Mit dem zweiten Kind müssen viele Paare einsehen, dass ihre Beziehung nicht mehr im Mittelpunkt steht. Gerade wenn beide arbeiten. Diese harten Zeiten zu überbrücken, halten manche nicht aus. Die meisten zappen lieber weiter zum Nächsten. Viele denken heute, dass sich Wünsche immer sofort verwirklichen lassen. Alles soll einfach funktionieren. Doch an einer Beziehung muss man arbeiten. Man muss einfach auch mal den Mund halten, man muss gelegentlich ein bisschen Geduld aufbringen und sich auch mal was anhören, was einem nicht gefällt. Können viele aber nicht. Und wenn einer dann keine Lust mehr auf Sex hat …
Haben Ehepartner denn nicht „Anspruch auf den gegenseitigen Gebrauch der Geschlechtsorgane“?
Quatsch. Dieser Satz von Kant steht in keinem Gesetz. Und wissen Sie, wenn wir das Scheitern einer Ehe daran messen würden, ob die Leute miteinander schlafen, hätten wir überwiegend gescheiterte Ehen. Denken Sie doch bloß an Partner, die älter werden oder Krankheiten haben, die Männer bringen es ja ebenfalls nicht immer durchgehend. Da läuft die Frau auch nicht gleich weg.
Tatsächlich geht die Zahl der Scheidungen zurück. 2005 wurden 52 Prozent der Ehen geschieden. 2016 waren es 39,5. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Vielleicht ist es den Leuten zu teuer. In unsicheren Zeiten denkt man zuletzt daran, sich scheiden zu lassen. Ich kann mich allerdings nicht über Arbeitsmangel beklagen.
Haben Sie sich deshalb fürs Fachgebiet entschieden?
Das lief eher auf mich zu. Tatsächlich habe ich als Anwältin zu Beginn alles gemacht. Typ linke Engagierte: Mietrecht, Ausländerrecht, Strafrecht, ich habe dafür gekämpft, dass Menschen in der Psychiatrie auch Grundrechte haben. Irgendwann hatte ich aber keine Lust mehr auf Betriebskostenabrechnung, und Ausländerrecht machte mich nur wütend und traurig. Und dann habe ich mich aufs Familienrecht konzentriert. Das ist ja auch ein spannendes Gebiet.
Warum?
Gucken Sie nur, wie viele Gesetzesänderungen es in den vergangenen Jahrzehnten gegeben hat. 1977 kam die große Eherechtsreform. Damals fiel das Schuldprinzip weg, das besagte, wer die Ehe zerstört, also etwa fremdgeht, der kriegt keinen Unterhalt und auch die Kinder nicht. Für Frauen hieß das oft, dass sie aus der Ehe nicht rauskamen, sich buchstäblich keinen Liebhaber leisten konnten. Sonst hätten sie nichts mehr gehabt. Heute geht es um Rechte der nichtehelichen Väter, lesbische Paare und künstliche Befruchtung, Leihmutterschaft, Adoptionsfragen bei der Ehe für alle. Da kann man nur gucken, was die Menschen alles so treiben. Das Recht hinkt dem Leben immer hinterher.
Scheiden sich homosexuelle Partner anders?
Problematisch waren nur Fälle, bei denen es Kinder gab und der Mann nach 20 Jahren Ehe sagte, er sei in Wahrheit homosexuell. Die Oberkränkung. Man denkt automatisch, war ich jetzt die Scheinbeziehung?
Erleben Sie auch mal schöne Momente?
Natürlich. Wenn die Leute nach der Scheidung aus dem Saal kommen und sagen, wir gehen jetzt erst mal Champagner trinken. Das passiert häufiger, als man denkt.
Apropos Champagner: Welche Chancen geben Sie Harry und Meghan? Beide sind Scheidungskinder. Statistisch trennen die sich häufiger.
Tun die das? Vielleicht. Grundsätzlich würde ich aber mal annehmen, dass es auch umgekehrte Fälle gibt. Für wen die Scheidung der Eltern der Horror war, der wird das bestimmt nicht so schnell durchziehen. Ich wünsche den beiden jedenfalls alles Gute. Man sollte nicht aus den Augen verlieren: Schaffen kann es jeder. Ich bin ja auch ein Scheidungskind und nun seit Jahrzehnten verheiratet, wenn auch in zweiter Ehe. Zweite Ehen sind oft die besseren.