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Ricardo Lange, 39, arbeitet als Intensivpfleger in Berlin.
© Doris Spiekermann-Klaas

Berliner Intensivpfleger an der Corona-Front: „Wieso sollen wir den weniger wirksamen Impfstoff bekommen?“

Ricardo Lange berichtet jede Woche aus dem Krankenhaus von der Corona-Front. Diesmal: Impfstoffmangel und eine gespaltene Gesellschaft. Ein Interview.

Ricardo Lange, 39, arbeitet als Pflegekraft auf einer Berliner Intensivstation. Seine Klinik ist eine der 17 Einrichtungen mit einem Covid-Schwerpunkt. Hier berichtet er jede Woche von Nachtschichten, Provisorien und Hoffnungsschimmern.

Herr Lange, seit Wochen versuchen Sie, sich impfen zu lassen. Als Leasingkraft hatten Sie bislang keinen Termin bekommen. Waren Sie inzwischen erfolgreich?
Meine Firma hat für uns Intensivpfleger jetzt wenigstens ein paar Codes erhalten, aber als ich heute wieder mal versucht habe über die Hotline einen Termin zu machen, hat man mich vertröstet: Kein Impfstoff da. Einigen Kollegen und Kolleginnen wurde deshalb ihr Termin schon abgesagt. Andere haben nach der zweiten Spritze ziemliche Nebenwirkungen wie Schüttelfrost und Kopfschmerzen bekommen, und fallen ein paar Tage aus.

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Nun habe ich gelesen, dass wir Pflegekräfte mit dem neu zugelassenen Astrazeneca-Präparat geimpft werden sollen und nicht mit den beiden anderen, wirksameren. Wir sind doch aber wie niemand sonst der hohen Viruslast der Covid-Kranken ausgesetzt und das auch noch permanent. Sollte der Gesundheitsminister nicht eigentlich an unserer Seite stehen, anstatt uns durch immer weitere Signale seine mangelnde Wertschätzung auszudrücken?

Die Inzidenz sinkt leicht. Spüren Sie das?
Wir können das daran ablesen, dass das Durchschnittsalter der Patienten wieder steigt. Die Arbeitsbelastung liegt aber weiterhin über dem, was zumutbar ist. Seit Herbst 2020 gelten ja eigentlich die strengeren Personaluntergrenzen, die zu Beginn der Pandemie ausgesetzt worden waren. Demnach sollen tagsüber zwei Patienten auf einen Pfleger kommen, nachts drei. In die Statistik zählt allerdings auch die Stationsassistenz, die keinerlei Dienst am Patienten leistet. Aber einhalten können wir sie ohnehin nicht.

[Weitere Folgen der Kolumne "Außer Atem" mit Ricardo Lange lesen Sie hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier]

Und wie geht es Ihnen persönlich?
Viele meiner Kollegen und auch ich haben gesundheitlich mit den Auswirkungen der Schutzausrüstungen zu tun. Die Tragezeiten für die FFP2-Masken überschreite ich täglich. Die warme Luft, die oben aus der Maske strömt, reizt die Augen, ich habe es schon mit allerlei Tropfen versucht, aber sie tränen ständig, die Lider sind schon ganz faltig. Meine Haut wird mit jeder Woche schlimmer und als ich wegen der Ekzeme beim Hautarzt anrief, fragte mich die Sprechstundenhilfe, was ich beruflich mache. „Sie betreuen Covid-Patienten?“. Als ich ja sagte, war sie nicht mehr so freundlich.

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Außerdem mache ich mir viele Gedanken über die Spaltung der Gesellschaft. Ich sehe den ganzen Tag nur Covid, wenn ich nach einer Schicht heimkomme, sage ich also im ersten Impuls: Wir müssen alles dicht machen, wir brauchen sofort den ganz harten Lockdown! In der Pandemie hat jeder seinen eigenen Fokus. Höre ich den Leuten in meinem Umfeld zu, muss ich diesen Gedanken relativieren. Wir müssen wieder lernen, die anderen auch zu sehen. Ich kann doch von der Frisörin, deren Existenz von den Maßnahmen bedroht ist, nicht erwarten, dass sie die gleichen Prioritäten setzt.

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