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Jens Spahn will die Impfverordnung anpassen.
© imago images/photothek

„Nur“ Astrazeneca für Pfleger und Ärzte: Kommt jetzt das 2-Klassen-Piksen?

Menschen unter 65 sollen nur ausnahmsweise die wirksameren Biontech- oder Moderna-Dosen bekommen. Manche profitieren davon, es droht aber auch Streit.

Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen könnten nach der vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) vorgesehenen neuen Corona-Impfverordnung höher priorisiert werden als bisher.

Das geht aus dem Referentenentwurf für die Verordnung hervor, die Tagesspiegel Background vorliegt.

Die Verordnung unterscheidet sich nicht in vielen, aber einigen wesentlichen Punkten von der derzeit geltenden:

  • Für die ersten beiden der genannten drei Priorisierungsstufen gibt es nämlich getrennte Empfehlungen für AstraZeneca auf der einen Seite und die mRNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna auf der anderen.
  • Zudem wurden diverse Vorerkrankungen als Berechtigungsmerkmal heraufgestuft, zum Beispiel Adipositas und chronische Leber- und Nierenerkrankungen.
  • Festgelegt werden soll mit der neuen Verordnung auch, dass individuelle Entscheidungen für Priorisierungen ärztlich getroffen werden dürfen – allerdings nur von Ärzten, die dafür von den Ländern autorisiert wurden.

Der Impfstoff von Astrazeneca wurde gerade in der EU als dritter nach denen von Biontech und Moderna zugelassen. Die europäische Arzneimittelagentur EMA wies in ihrer Entscheidung darauf hin, dass an den Zulassungsstudien zu wenige über 55-Jährige teilnahmen, um für diese Altersgruppe statistisch signifikante Wirksamkeitsergebnisse berechnen zu können – allerdings gebe es keine Hinweise darauf, dass in dieser Altersgruppe die allgemein mit 60 Prozent angegebene Wirksamkeit nicht erreicht werde.

Während die EMA den Impfstoff für alle Altersgruppen empfiehlt, legte sich die Ständige Impfkommission (Stiko) am Freitag auf eine Altersgrenze von 65 Jahren fest. Dies schlägt sich jetzt in der neuen geplanten Impfverordnung nieder, die zwei Stränge aufmacht: Die Jüngeren werden mit AstraZeneca geimpft, die Älteren mit Biontech. 

Diskussion um 2-Klassen-Impfungen droht

Für viele Menschen bedeuten die BMG-Pläne wahrscheinlich eine frühere Impfung. Für viele andere aber auch, dass sie nicht – wie nach bisherigen Plänen – mit dem wirksameren Biontech- oder Moderna-Impfstoff geimpft werden, sondern dem von AstraZeneca.

Konkret zutreffen dürfte dies aktuell für Mitarbeiter, die in stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen arbeiten oder auf Intensiv- und Coronastationen – sie genießen zwar weiterhin oberste Impfpriorität, sollen aber, sofern sie nicht älter als 65 sind, nun mit Astrazeneca geimpft werden.

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Damit dürften auch innerhalb von Belegschaften Differenzen entstehen: Zwischen jenen, die bereits geimpft wurden (mit Biontech oder Moderna), und jenen, die erst noch geimpft werden.

Bei der letzten Gesundheitsministerkonferenz wurde dieses Szenario bereits adressiert: Dort wurde über „wahrnehmbare Diskussionen“ unter Pflegekräften berichtet, sich nicht mit Astrazeneca impfen lassen zu wollen, sowie die Furcht vor einer Diskussion über „2-Klassen-Impfungen“ geäußert

Der weitaus größte Teil des medizinischen Personals der höchsten Prioritätsstufe dürfte demnächst also mit Astrazeneca geimpft werden, nachdem der schwedisch-britische Hersteller am Wochenende ankündigte, seine Lieferprobleme in die EU wenigstens zum Teil beheben zu können: Einen Biontech- oder Moderna-Impfstoff sollen sie nur dann erhalten, wenn der von Astrazeneca nicht verfügbar ist, wie es im Entwurf heißt.

In der nächsten Stufe, der hohen Priorität, werden im Verordnungsentwurf wie in der derzeit gültigen Fassung auch Menschen über 70 aufgeführt und solche mit definierten Vorerkrankungen. Die Liste der relevanten Erkrankungen jedoch wird nun deutlich erweitert.

Mehrere Patientengruppen rücken auf

In der alten Verordnung waren in dieser Priorisierungsstufe nur Menschen mit Trisomie 21 aufgeführt, mit einer Demenz oder geistigen Behinderung und solche mit transplantierten Organen. Nun finden sich hier auch Patientengruppen, die bislang in der dritten Priorisierungsstufe verortet waren. Als erste solche mit psychiatrischen Erkrankungen (genannt werden insbesondere bipolare Störungen, Schizophrenien und schwere Depressionen).

„Aufgerückt“ sind zudem Menschen mit COPD oder anderen schweren Lungenerkrankungen, mit Diabetes mellitus (mit HbA1c ≥58 mmol/mol), mit Leberzirrhose und anderen chronischen Lebererkrankungen, mit chronischer Nierenerkrankung und Menschen mit einem Body-Maß-Index von über 30 (also Adipositas, die ein 40-Jähriger mit 180 Zentimeter Körpergröße bei 98 Kilogramm aufweist). 

Auch hier gilt für alle genannten Personengruppen eine Zweiteilung: Die über 65-Jährigen erhalten Biontech- oder Moderna-Impfungen, die anderen solche von AstraZeneca, es sei denn, dieser ist nicht verfügbar.

[Mehr zum Thema: Bundesweiter Präzedenzfall? Warum ein 30-Jähriger jetzt schon geimpft wurde]

In der zweiten Stufe wird außerdem die Zahl derer erhöht, die von bestimmten Menschen als enge Kontaktpersonen benannt werden dürfen, die geimpft werden sollen – von einer Person auf zwei. Gebrauch davon machen können Menschen über 80 und Menschen über 65, die in Pflegeheimen wohnen, außerdem Schwangere. In der zweiten Priorisierungsstufe gilt außerdem, dass Menschen zwischen 75 und 79 Jahren vor den 70- bis 74-Jährigen geimpft werden.

Lehrer:innen und Erzieher:innen werden nicht hochgestuft

In der letzten Stufe, also der erhöhten Priorität, die unter anderem für Menschen ab 60 gilt, gibt es keine Unterscheidung mehr nach Impfstoffen. Hier finden sich die Vorerkrankungen, die schon in der gerade geltenden Impfverordnung aufgeführt werden und nicht nach oben klassifiziert werden – etwa Asthma, HIV, in Remission befindliche Krebserkrankungen und chronisch entzündliche Darmerkrankungen.

Nicht nach oben gestuft werden sollen ebenso – entgegen vieler politischer Forderungen in diese Richtung – Lehrer:innen und Erzieher:innen. Zur beschleunigten Wieder-Eröffnung von Schulen und Kitas bietet die neue Impfverordnung nach jetzigem Stand damit also keinen Pfad.

Vorgesehen sind in der neuen Verordnung auch Einzelfallentscheidungen, und zwar in der zweiten und dritten Prioritätsstufe. Patienten, die keine der genannten Vorerkrankungen vorweisen, bei denen aber aus anderen Gründen ein „sehr hohes, hohes oder erhöhtes Risiko für eine schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf“ nach einer Corona-Infektion haben, sollen darüber eine Bescheinigung bekommen und damit in die mittlere oder dritte Priorisierungsstufe eingeordnet werden können.

Allerdings kommt hier auf die Länder noch Arbeit zu, denn offenbar will das BMG verhindern, dass Ärzte Patienten Gefälligkeitsatteste ausstellen oder gar ein Schwarzmarkt dafür entsteht. Zur Bescheinigung sollen laut Entwurf daher nur Einrichtungen berechtigt sein, „die von den obersten Landesgesundheitsbehörden und den von ihnen bestimmten Stellen mit der Wahrnehmung dieser Aufgabe beauftragt wurden.“

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