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Seit Mai 2016 gilt in Berlin das Zweckentfremdungsverbot. Jeder Airbnb-Vermieter muss bei seinem Bezirk einen Antrag stellen.
© Jens Kalaene/dpa

Illegale Ferienwohnungen: Wer steckt hinter meinem Airbnb-Zimmer?

Was tun, wenn man in einer illegalen Ferienwohnung landet? Unsere Autorin hat versucht, ihren Vermieter aufzuspüren - dann wurde es mysteriös.

Meine Unterkunft nach dem hübschen Gesicht des Vermieters auszuwählen, war wahrscheinlich nicht die klügste Idee. Dass ich deswegen allerdings in eine Hercule-Poirot-Detektivgeschichte katapultiert werden würde, hätte ich nicht gedacht.

Ich lebe normalerweise in Paris. Für zwei Monate Praktikum in Berlin war ein Airbnb-Zimmer das Einfachste. Klick und die Wohnung ist reserviert. Kein Besichtigungsstress, kein Skype-Interview. Um die Miete niedrig zu halten, hatte ich auch einen perfekten Plan – das Bett mit meiner Pariser Freundin Anna zu teilen.

Natürlich entschieden wir uns bei der riesigen Airbnb-Zimmerauswahl für Alex Ritter: Surferfrisur und unwiderstehlicher Blick. Mit Abstand der schönste Anbieter. Sein WG-Zimmer in der Kurfürstenstraße, auch ganz okay.

„Die echte Adresse ist in der Potsdamer Straße. SEHR WICHTIG: Bitte sprecht nicht miteinander, wenn ihr im Treppenhaus seid. Falls ihr die Klingel hört oder jemand an der Tür klopft, geht nicht ran. Ich werde euch anrufen oder Nachrichten schreiben, wenn ich euch erreichen will.“ Einen Tag vor dem Einzug bekommen wir über die Airbnb-Homepage diese seltsame Nachricht auf Englisch. Ich erwarte fast, dass sie sich nach dem Lesen von selbst löscht. Es folgen Anweisungen zum Schlüssel. Und so werde ich zum Hercule Poirot, oder genauer zur Herculine Poirotte, zur Detektivin.

Traummann Alex ist ein Lügner

Im Dunkeln, mit riesigem Rucksack beladen, begebe ich mich auf die Suche. Ich lese die Nachricht weiter: „An der Haltestelle Bülowstraße sind viele Fahrräder angeschlossen. Schau nach einem roten Mountainbike mit kleinem schwarzen Schließfach. Der Code lautet 2981.“

Ich finde das Rad, die Box, tippe den Code ein, nehme den Schlüssel für das 4. OG, stehe nach ein paar Fehlversuchen vor der grünen Tür meiner neuen, geheimnisvollen Wohnung.

In der Dreier-WG sollte ich mit einem jungen chinesischen Paar und einem niederländischen Mädchen leben. Stattdessen finde ich ein zugedröhntes spanisches Paar und eine Oma, nüchtern. Traummann Alex ist ein Lügner. Und wenn man alle hässlichen Gemälde dazuzählt, die an den Wänden der Wohnung hängen, haben Anna und ich noch mehr Mitbewohner. Als Beispiel möchte ich Rudolf vorstellen: Ein zwei Meter hohes Foto von einem leidenden Mann, der kopfüber baumelt, neben ihm ein Ventilator, der Schaum auf seinen nackten Körper weht.

Die erste Nacht kann ich nicht schlafen. Nicht wegen Rudolf oder des riesigen schwarzen Monochroms mit aufgeklebten Kohlestücken, das an der Wand gegenüber prangt. Auch nicht wegen des Nachbarn, der mit voller Lautstärke fernsieht, bis ich um vier Uhr früh an die Wand trommele. Es sind die Fragen, die sich in meinem Kopf drehen: Werden die zwei Spanier zu uns ins Zimmer kommen? Sollen wir lieber abschließen? Wer ist Alex? Und wer die 70-Jährige, die ich im Flur getroffen habe? Könnte Alex in Wirklichkeit die Oma sein? Wäscht Alex mit den hässlichen Bildern sein Geld?

Der Bezirk sei auf die Hinweise aus der Bevölkerung angewiesen

Am nächsten Tag erkundige ich mich und erfahre: Ich lebe in der Illegalität. Seit dem 1. Mai 2016 dürfen Berliner nicht mehr so einfach untervermieten. Bis zu 23 000 Ferienwohnungen könnte es hier geben, schätzen unterschiedliche Stellen. Offiziell registriert haben sich nur etwa 6300 davon, sie hoffen auf eine Ausnahmegenehmigung. Die bewilligt zu bekommen, ist jedoch beinahe unmöglich. Die übrigen fast 17 000 Wohnungen sind wahrscheinlich illegal.

Das Zweckentfremdungsverbot wurde verabschiedet, um den angespannten Berliner Wohnungsmarkt zu entlasten. Jeder Airbnb-Vermieter muss bei seinem Bezirk einen Antrag stellen. Ich wende mich an Herrn Baudach vom Bezirk Tempelhof-Schöneberg, wo sich Alex’ Wohnung befindet, und erfahre, dass dort 2016 nur 291 solche Anträge eingegangen sind, bis heute sei keine einzige Ferienwohnung genehmigt. Die Ablehnung sei der Regelfall, schreibt Baudach, da das „öffentliche Interesse an der Erhaltung des Wohnraums überwiege“. Nur wenn man selbst in den Räumen lebt, „mehr als die Hälfte der Wohnung auch wirklich selber nutzt“, und die Genehmigung vom Bezirksamt bekommen hat, darf man einen Teil vermieten.

Das ist bei Alex nicht der Fall. Wie konnte er durch die Masche schlüpfen? Herr Baudach schickt mir einen Link, über den ich meinen süßen Vermieter anonym melden kann. Auf Seiten wie Airbnb, erklärt er mir, seien weder die genaue Adresse noch der wahre Name der Person ersichtlich, der Bezirk sei daher „vor allem auf Hinweise aus der Bevölkerung angewiesen“. Man solle aber nicht glauben, dass nichts passiere.

Wer ist Alex Ritter

Seit Mai 2016 gilt in Berlin das Zweckentfremdungsverbot. Jeder Airbnb-Vermieter muss bei seinem Bezirk einen Antrag stellen.
Seit Mai 2016 gilt in Berlin das Zweckentfremdungsverbot. Jeder Airbnb-Vermieter muss bei seinem Bezirk einen Antrag stellen.
© Jens Kalaene/dpa

Das Verwaltungsverfahren – Recherche, Befragung, Rückführungsanordnung in den Wohnungsmarkt, rechtliches Gehör – dauere lange, und in der Zeit könnten Betreiber ihre Wohnung weitervermieten. Vielleicht ist das auch bei Alex der Fall. Der Mann vom Bezirk fragt mich nach mehr Informationen. Ich weiche aus: Was riskiert mein Vermieter? „Zwischen 500 und 1500 Euro Strafe je Wohnung und Monat. Höchstens 100 000 Euro.“

Wer ist Alex Ritter? Ich beginne zu recherchieren. Auf seiner Profilseite schreiben Gäste in ihrer Bewertung, sie hätten Sexy-Alex nie gesehen. Auch sie waren von der Schlüsselsuche überrascht. Andere schreiben von einer weiteren Wohnung in Wedding. Auf seinem Airbnb-Profil hat Alex einen einzigen virtuellen Freund: Bob. Noch ein Adonis, der eine Wohnung im selben Gebäude plus eine am Alexanderplatz anbietet.

Am dritten Tag zieht Ian aus Kalifornien ein. Den Namen Alex Ritter hört er zum ersten Mal. Er habe sein Airbnb-Zimmer bei Janosch gemietet, auch ein besonders attraktiver Typ. Auf seiner Profilseite hat Janosch zwei weitere Wohnungen in Kreuzberg und in Mitte. Auf der Klingel: natürlich kein Name. Auch die Fotos helfen nicht weiter. Google hat eine Suchfunktion, in die ich Alex Ritters Profilbild laden kann. Ein Treffer: Julian Morris, ein englischer Schauspieler. Bobs Bild gehört Julian Sengelmann, einem Schauspieler aus der TV-Serie „Türkisch für Anfänger“. Janosch findet die Google-Suche nicht. Bestimmt ist auch er irgendein Star.

"Ihr solltet die Polizei anrufen!"

Mit den Wochen werden das Leben in der Wohnung beunruhigender und meine Fantasie größer. Manchmal sind wir allein, hören Schritte oder Türgeräusche mitten in der Nacht. Manchmal sind die Mitbewohner komisch, wie diese bekifften Chinesen, die vier Tage lang zwischen Zimmer und Toilette hin und her laufen und kein Wort mit uns wechseln. Auch dieses Kaninchenbild mit blauem Hintergrund verwirrt uns. Es verschwindet und taucht später plötzlich wieder auf. Oder diese Gespenster-Putzfrau! Wann immer jemand auszieht, wird die Wohnung unauffällig gereinigt. Erst als ich ihnen auflauere, kann ich sie enttarnen: Es sind ausländische Studenten, die kurioserweise auch an kalten Tagen nur T-Shirts tragen.

„Ihr solltet die Polizei anrufen!“, meint eine besorgte Freundin. „Ihr habt keine Ahnung, wer euren Hausschlüssel noch haben könnte. Es ist doch gefährlich.“ Eine andere will uns überreden, Alex zu denunzieren, da wegen solcher Anbieter die Mieten steigen. Sie haben ja recht. Aber dass wegen meines Anrufs einem Menschen wie Alex 100 000 Euro Strafe drohen könnten, ist eine enorme Verantwortung. Womöglich hat mich auch das Stockholm-Syndrom eingeholt, und ich habe meinen vielleicht gar nicht so schönen Vermieter lieb gewonnen. Ich zögere, fürchte auch Alex’ mögliche Rache.

Es scheint, als habe Airbnb kein Interesse, die Situation aufzuklären

Schließlich entscheide ich mich für einen Anruf bei der Airbnb-Notrufzentrale. Ich wähle die 30808380. Die müssen doch wissen, was ich machen soll. Der Mann am Apparat will mich beruhigen: „Ein illegales Airbnb ist das bestimmt nicht.“ Alex’ Profil sei ja von Airbnb verifiziert worden und mit dem grünen Stempel beglaubigt. Das heißt, dass Airbnb einen gültigen Personalausweis von ihm gesehen hat, Facebookprofil, Telefonnummer oder E-Mail-Adresse. Ich bin nicht ganz überzeugt. Falls ich mir weiter Sorgen mache, sagt der Mann, solle ich mit Alex darüber sprechen und ihn einfach fragen, ob er ein illegales Airbnb betreibe.

Und falls ja? Im schlimmsten Fall wird er mich rausschmeißen. Dann solle ich zurückrufen, die Zentrale würde mir kostenlos ein neues Zimmer besorgen. Jedenfalls sei es nicht mein Problem: „Viele Airbnb sind halb legal. Gesetzlich sind Sie nicht verpflichtet, etwas zu melden“, sagt der Mann. Es scheint, als habe Airbnb kein Interesse, die Situation aufzuklären.

"Hallo, ich bin Alex. Braucht ihr neue Bettwäsche?"

Seit Mai 2016 gilt in Berlin das Zweckentfremdungsverbot. Jeder Airbnb-Vermieter muss bei seinem Bezirk einen Antrag stellen.
Seit Mai 2016 gilt in Berlin das Zweckentfremdungsverbot. Jeder Airbnb-Vermieter muss bei seinem Bezirk einen Antrag stellen.
© Jens Kalaene/dpa

Alex, Janosch, Bob oder wer immer hinter diesen Wohnungen steckt, macht sich, wie man bei mir in Frankreich sagt, goldene Eier. Pro Monat vermietet er uns das Zimmer für 800 Euro, die anderen zwei Zimmer kosten jeweils 30 Euro pro Tag. Und unsere Bleibe ist fast immer voll. Spanier lösen die Oma ab, Chinesen lösen die Spanier ab, Brasilianer die Chinesen. Aus sicherer Entfernung lenkt Alex das Geschehen im Haus und verdient nach meinen Berechnungen etwa 2400 Euro im Monat. Steuerfrei selbstverständlich. Denn illegale Ferienwohnungen meldet man nirgendwo an.

Von den Putz-Studenten erfahren wir, dass Alex drei Wohnungen in unserem Haus mietet. Ein Netzwerk? Die russische Mafia? Auf seinem Airbnb-Profil steht, dass Alex Russisch spricht; unter uns im Haus: ein russisches Café. Und wir wissen zu viel!

Eines Abends klopft jemand an unsere Zimmertür. Ein normaler Typ, Mitte 30, groß, schlank, Jeans und Pulli, nett. Ganz klar nicht der Mann auf dem Profilbild. „Hallo, ich bin Alex. Braucht ihr vielleicht neue Bettwäsche?“ Anna und ich tauschen erstaunte Blicke.

Alex erklärt, dass er in der Wohnung über uns lebt. Früher wohnte er hier unten, deswegen sind auch seine Kunstwerke noch da. Seine Kunstwerke? Die zwei riesigen Fußballerporträts in der Küche? „Meine Masterarbeit.“ Das schreckliche Folterfoto mit dem nackten Mann? „Das bin ich auf dem Bild!“ Alex ist also Künstler. Sich nackt an den Füßen aufzuhängen und sich in Folterposen filmen zu lassen, scheint sein Hauptsujet zu sein, am liebsten zwischen den zwei gigantischen Putzrotoren von Carwash, wie er es auf seiner Facebookseite zeigt.

Auf Youtube habe ich ein Video gesehen, worin ein Amerikaner erklärt, wie er dank Airbnb nur ein paar Stunden pro Woche arbeiten muss. Im ersten Jahr soll er damit schon 300 000 Dollar verdient haben. Laut dem Magazin „Forbes“ erwirtschaften 75 Airbnb-Vermieter in den USA mehr als eine Million Dollar jährlich allein durch Vermietung. Eine Million!

Bin ich diejenige, die sein Leben zerstören soll?

Das Airbnb-Vermögen finanziert also deine Kunst? „Welches Vermögen?“, fragt Alex. Nachdem er alle Mieten bezahlt habe, blieben ihm nur 300 Euro. Seine Kunst habe er für einen Bürojob bei Zalando aufgegeben. Er mache das nicht fürs Geld: „Bei Airbnb kann ich kontrollieren, wer in meiner Wohnung lebt. Eine Studenten-WG wäre viel stressiger.“ Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen und konfrontiere ihn. „In Berlin ist es verboten, seine ganze Wohnung zu vermieten. Du betreibst ein illegales Airbnb!“

Er helfe gern armen Ausländern, und das mit dem Wohnungsmarkt sei doch übertrieben. „Es ist nicht alles die Schuld von Airbnb. Der Staat muss mehr bauen. Ist auch gut für die Wirtschaft“, argumentiert er. Und Janosch, Bob, die Wohnungen in Mitte, Kreuzberg, Wedding? „Das sind alles Freunde, wir helfen uns gegenseitig. Damit es so aussieht, dass wir nicht die ganze Wohnung vermieten, verteilen wir die Zimmer.“

Alex hat für alles eine Antwort. Ehrlich und dubios gleichzeitig. Bin ich diejenige, die sein Leben zerstören soll?

Am letzten Tag frühstücke ich mit einem neuen Mitbewohner, Paul aus Villingen. Er macht in Berlin ein Praktikum als Arzt und hat einen perfekten Plan: Um sich die zentral gelegene Wohnung einen Monat lang leisten zu können, wird er mit einem Freund das Bett teilen.

Karina Kochan

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