Organisierte Kriminalität in Berlin: Rocker, arabische Clans, Autohehler - ein Überblick
Nach dem Mord an einem Drogenhändler in der Bismarckstraße wird viel über "die Mafia" geredet. In Berlin aber sieht Organisierte Kriminalität anders aus als in Italien. Der Versuch eines Überblicks.
Steckt hinter der Autobombe, die am Dienstag in Charlottenburg explodiert ist, die Mafia? War der Anschlag der Mordauftrag eines Paten? Und welche Mafia, welcher Pate soll eigentlich gemeint sein? Wird über Organisierte Kriminalität (OK) gesprochen, stellen sich viele Fragen – klare Antworten gibt es selten. Als OK werden Aktivitäten bezeichnet, bei denen die Verdächtigen arbeitsteilig und dauerhaft Profite durch illegales Handeln machen und diese in die legale Wirtschaft überführen. Im Polizeipräsidium hat man bislang die Fälle von 2014 ausgewertet. Demnach gab es 44 Verfahren mit OK-Bezug. Die Zahl ist seit Jahren ähnlich hoch.
Ethnische Zuschreibungen haben nur begrenzte Aussagekraft
Konkrete Hinweise auf die handelnden Personen fehlen oft. Das liegt nicht nur daran, dass es Kennzeichen mafiöser Gruppen ist, im Verborgenen zu agieren. Hinzu kommt, dass es – nicht nur in Berlin – keine zentral geführte OK-Struktur gibt, also nicht die Mafia. Vielmehr arbeiten Berufsgangster oft nur auf Zeit oder für bestimmte Aktionen zusammen. Die Verdächtigen sind meist flexibel, weshalb Bezeichnungen wie „Russenmafia“ oder „Türkenmafia“ wenig taugen. Für viele Profi-Kriminelle steht nicht die ethnische Herkunft ihrer Komplizen im Vordergrund, sondern die Gewinnmaximierung. Ein Überblick.
Rocker: Zunächst sei darauf hingewiesen, dass allenfalls Ableger bestimmter Biker-Clubs der OK zugerechnet werden. Bundesweit sollen Rocker in zehn Prozent der OK-Verfahren beteiligt sein. Einigen Biker-Bruderschaften haben sich Ex-Rechtsradikale angeschlossen – diese Männer haben also ideologische Abstriche gemacht, um von den Geschäften der oft multinationalen Rockertruppen zu profitieren. In Berlin werden bis zu 1000 Rocker als militant eingestuft. Nur ein kleiner Teil davon dürfte der OK zugerechnet werden.
Arabische Clans: Die Söhne vieler Flüchtlingsfamilien aus den 1980er Jahren werden in Deutschland nur geduldet. Eine Arbeitserlaubnis haben sie oft nicht. Bis zu zwölf arabische Clans sollen in allerlei Kriminalitätsfeldern der Stadt aktiv sein. Mitglieder einer bekannten Familie sollen den Strich an der Kurfürstenstraße kontrollieren. Andere Familien waren an Überfällen auf Juweliere, Erpressungen und Schmuggel von unverzolltem Tabak, aber auch Drogen beteiligt. Arabische Verdächtige stehen vergleichsweise oft vor Gericht, ihre Vorgehensweise gilt wie die von Rockern zuweilen als kurzsichtig.
Türken und Kurden: In Verfahren gegen die Männer einschlägiger Clans wird oft auch gegen einzelne Türken und Kurden ermittelt. Doch wie erwähnt: Ethnische Zuschreibungen haben nur begrenzte Aussagekraft, im Milieu ändern sich Allianzen schnell. Der am Dienstag durch die Autobombe getötete, türkischstämmige Mesut Ter war wegen Kokainhandels vorbestraft. Ermittelt wurde auch wegen Falschgelddelikten und illegalen Glücksspiels. Er hat in Polen in Haft gesessen, weshalb er eine nicht unerhebliche, grenzüberschreitende Rolle im Milieu gespielt haben könnte.
Osteuropäer: In Berlin sind erstaunlich oft Litauer wegen Autohehlerei ins Visier der Behörden geraten. Sie sollen, heißt es, gestohlene Wagen nach Osteuropa gefahren haben. In solch konspirative Hehler-Netzwerke können auch Deutsche, Russen und Ukrainer eingebunden sein. Zuweilen geht es auch um das Beschaffen von Prostituierten, die in Berlin arbeiten sollen. Gerade diese Gruppen bilden Zweckbündnisse auf Zeit. Das Bundeskriminalamt erwähnt auch Betrugsserien am Telefon, massenhafte Ladendiebstähle oder Erpressungen über das Internet. Dahinter könnten sich „handfeste OK-Strukturen“ verbergen. Auch illegal hergestellte Zigaretten sollen oft von Osteuropäern nach Deutschland geschmuggelt werden, wo sie häufig von Vietnamesen verkauft werden.
Arabische Gangster treffen deutsche Finanzprofis
Italiener: Viele Experten sind sich einig, dass traditionelle, italienische Mafia-Familien die deutsche Hauptstadt eher als Ruhezone betrachten. Es hatte in den vergangenen Jahren „keinen italienisch dominierten OK-Komplex“ in Berlin gegeben, heißt es von Ermittlern. In Justizkreisen wird aber auf die in Ruhezonen übliche Geldwäsche hingewiesen: Verdächtige, die in Deutschland oder auch in Italien leben, steckten in Berlin jahrelang viel Geld in Baugeschäfte. Zudem gibt es Restaurants, die selten besucht werden, aber offiziell viel Umsatz machen. Illegale Gewinne könnten in den Büchern solcher Lokale als Einnahmen von Gästen verbucht werden, die es nie gegeben hat.
Legalwirtschaft: Bevor sich aus dem Genannten latent rassistische Vorurteile entwickeln, sei angemerkt: Wenn das illegal erwirtschaftete Geld in den legalen Finanzkreislauf gelangen soll, treffen Berufskriminelle nicht selten auf deutsche Geschäftsleute. Immer noch wird in Berlin gegen einen früheren Klinikmanager ermittelt. Der als Krankenhausvorstand gut bezahlte Mann hatte sich vor zwei Jahren mit einem einschlägig bekannten Berliner arabischer Herkunft getroffen. Letzterer wurde von Drogenfahndern überwacht – weshalb auch herauskam, dass der Manager vom mutmaßlichen Dealer 20.000 Euro bekommen haben soll. So wollte der Deutsch-Araber an einen gut dotierten Auftrag für den Krankenhaus-Winterdienst kommen. Wären die beiden nicht erwischt worden, so eine Mutmaßung, hätte der Manager das Bestechungsgeld wohl ausgegeben, als wäre es sein legales Einkommen aus der Klinik gewesen.