Die Wutbürger von der B96: „Das wüsste ich doch, wenn hier Rechtsradikale wären“
Jeden Sonntag sammeln sich Wutbürger, Neonazis, Virusleugner und Reichsbürger an der B96 bei Bautzen. Der Oberbürgermeister von der SPD beschönigt.
Rico Maleskat findet es unverschämt, dass dieser Protest jetzt als „rechts“ verleumdet werde. Direkt neben ihm steht eine Handvoll Neonazis, zur anderen Seite ein Mann mit Reichskriegsflagge mit Eisernem Kreuz drauf, dahinter sieht man umgedrehte Deutschlandflaggen, das AfD-Emblem, Reichsbürgersymbole. Maleskat sagt: „Ganz ehrlich. Das wüsste ich doch, wenn hier Rechtsradikale wären.“
Rico Maleskat., 49, Frührentner, ist von Beginn an dabei. Steht nun bereits in der elften Woche auf dem Bürgersteig neben der B 96, immer hier in Weigsdorf-Köblitz, acht Kilometer südlich von Bautzen, immer sonntags zwischen zehn und elf Uhr, immer zwischen Bushaltestelle und Einfahrt zum Netto-Markt.
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Auf seiner Fahne steht „Meine Gedanken sind frei“, und genau darum gehe es ihm, sagt Maleskat. Die Bundesregierung habe in der Coronazeit acht Artikel des Grundgesetzes abgeschafft oder ausgesetzt, unter anderem den, der die Meinungsfreiheit garantiert, das müsse sofort rückgängig gemacht werden. Bei diesen Protesten hier gehe es aber schon lange nicht mehr nur um die Coronamaßnahmen von Angela Merkel: „Es geht um das Ganze.“
Die Melange aus Wutbürgern, Rechtsextremen, Virusleugnern und Reichsbürgern, die sich an diesem Sonntag in Weigsdorf-Köblitz eingefunden hat, gilt laut Polizei als „Hotspot“ der sogenannten B 96-Proteste. Die Bundesstraße ist 520 Kilometer lang, reicht vom südöstlichsten Zipfel Sachsens bis nach Sassnitz auf Rügen, führt durch vier Bundesländer, auch quer durch Berlin.
„Wir haben viel Heimatliebe und Nationalstolz“
Auch an anderen Teilstrecken der B 96 formiert sich der sonntägliche, nun seit Anfang Mai währende Protest, der sich anfangs vor allem gegen eine vermeintliche Überregulierung des Staates in Coronazeiten richtete. In Mecklenburg-Vorpommern stehen wöchentlich einzelne Versprengte am Bundesstraßenrand, nördlich von Berlin ist es ähnlich. Aber nirgendwo zeigt sich die Wut so heftig wie hier im südlichen Sachsen. Auf den 50 Kilometern zwischen Bautzen und der Grenze zu Polen und Tschechien demonstrieren jede Woche Hunderte. Kein Zufall, sagt Rico Maleskat. „Wir haben viel Heimatliebe und Nationalstolz.“
Es herrsche Empörung über die „zahllosen Ausländer“, die ins Land gelassen würden. Über Greta Thunberg und „ihre Hirngespinste“, über die „Hetze gegen Dieselfahrzeuge“, auch über „den ganzen Rassismus“. Dann erklärt Rico Maleskat, dass er eigentlich nicht den Rassismus an sich, sondern die Demonstrationen gegen Rassismus meint, die es aus den USA inzwischen bis nach Berlin geschafft und dort zu nichts als Brandschatzungen und Gewalt geführt hätten. „Das brauchen wir hier nicht.“
Bautzen, Spitzname „brown under“
Dass die Proteste ausgerechnet in ihrer Region so heftig ausfallen, hält auch Annalena Schmidt nicht für Zufall. Sie ist Stadträtin für die Grünen in Bautzen. Rechtes Gedankengut sei in der Stadt über Jahre normalisiert worden. Auch verharmlost. Am Samstagnachmittag im Café berichtet sie, wie stark sämtliche Strömungen, die sich nun in den Coronaprotesten vereinen, in Bautzen seit Jahren sind: die Rechtsextremen, die Reichsbürger, rechte Esoteriker, Impfgegner, Identitäre. Bei der letzten Bundestagswahl wählten knapp 33 Prozent die AfD. Selbst innerhalb Sachsens gilt Bautzen als rechter Fleck, Spitzname „brown under“.
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Annalena Schmidt kam 2015 aus Hessen wegen eines Jobs nach Sachsen. Am Tag ihres Vorstellungsgesprächs habe sie in der Innenstadt erlebt, wie zwei Männer einen Dunkelhäutigen auf offener Straße als „Kanaken“ beschimpften. Danach habe sie nicht recht gewusst, ob sie sich freuen sollte, als sie die Stelle bekam.
„Run, nigger, run!“ Ein Kompliment
Schmidt ist bei vielen Bautzenern unbeliebt. Sie gilt als Nestbeschmutzerin. Als eine, die den Namen der Stadt in Verruf bringt, weil sie regelmäßig auf Twitter und ihrem Blog über Rassismus berichtet. Und das als Zugezogene. „Sie glauben, ich schade dem Image Bautzens. Ich denke, es ist umgekehrt. Ich bin gut für das Image der Stadt. Weil ich der Beweis dafür bin, dass es hier auch andere Menschen gibt.“
Leider sei diese Stadt äußerst geübt darin, Rassismus schnell wegzudiskutieren. Einmal fand im Bautzener Theater eine „Demokratiekonferenz“ statt. Eine dunkelhäutige Freundin von ihr traute sich zu berichten, wie Fremde ihr in Bautzen auf offener Straße „Run, nigger, run!“ hinterherriefen. Der Moderator der Runde erwiderte, so einen Spruch könne man doch auch als Kompliment auffassen. Weit mehr Anteilnahme bekam anschließend der AfD-Mann, der beklagte, seine Wahlplakate seien abgerissen worden.
Vor vier Jahren geriet Bautzen bundesweit in die Schlagzeilen, als Unbekannte nachts eine geplante Flüchtlingsunterkunft niederbrannten. Bis heute ist nicht geklärt, ob es sich um einen politischen Anschlag handelte. Unstrittig ist allerdings, dass Bautzener neben dem brennenden Gebäude standen, applaudierten und die Löscharbeiten behinderten. Und dass der Mitarbeiter einer Baufirma die Schäden später mit den Worten „Sieg Heil! Gute Arbeit.“ kommentierte.
Ausgangssperre für Geflüchtete
Im Herbst desselben Jahres kam es in der Innenstadt zu einer Hetzjagd auf junge Geflüchtete. Für den örtlichen Revierleiter der Polizei handelte es sich bei den Tätern nicht um Rechtsextreme, sondern um „event-orientierte Jugendlichen“, die vielleicht ein bisschen zu viel Bier getrunken hätten. Das Jugendamt reagierte – und verhängte eine Ausgangssperre für die Geflüchteten.
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Alltag in Bautzen ist, wenn die Leiterin der Oberschule einer einschlägigen Familie angehört, der Ehemann AfD-Funktionär, die Tochter bei der rechtsextremen Identitären Bewegung aktiv.
Bautzen ist auch, wenn der große Spielwarenhändler im Zentrum Publikationen von Ivo Sasek anbietet, einem Rechtsesoteriker und Sektenführer, der sich auf die antisemitische Hetzschrift „Die Protokolle der Weisen von Zion“ bezieht.
Auf dem Lkw steht „White Power“
Bautzen ist, wenn ein örtliches Fuhrunternehmen in altdeutscher Schrift den Slogan „White Power“ auf der Frontscheibe seines Lkw anbringen lässt, dazu zwei Eiserne Kreuze. Gegenüber dem Tagesspiegel erklärt das Unternehmen, der Spruch sei gar nicht rassistisch gemeint, er beziehe sich selbstverständlich bloß auf die Lackfarbe des Wagens. Was es dann mit den Eisernen Kreuzen auf sich hat, sagt die Firma nicht.
Bautzen ist, wenn SPD, CDU, Linke und Grüne im Stadtrat keine Mehrheit haben, weil die AfD und das lokale Bürgerbündnis so stark sind. „Bautzen ist komplett im Arsch“, schrieb Annalena Schmidt dazu neulich auf Twitter. Und erntete wieder Beschimpfungen.
Die Protestierer entlang der B 96 organisieren sich über Facebook-Gruppen. Dort teilen Aktivisten extrem rechte Blogs, bejubeln Pegida. Gruppenmitglieder verbreiten rassistische Sprüche und NS-Parolen, teilen Mordfantasien gegen Flüchtlinge, rufen zum Umsturz auf. Es wird sich auch hier beschwert, dass der Mainstream versuche, den Protest der B 96 in die rechte Ecke zu stellen.
In Weigsdorf-Köblitz stehen an diesem Sonntag auch mehrere Neonazis an der B 96, die gezielt Pressevertreter einschüchtern. Ein großgewachsener Mann mit Reichskriegsflagge kommt an, will den Namen des Journalisten wissen und sagt: „Wir haben dich im Auge.“ Ein anderer sagt: „Schreib lieber nichts Falsches, das könnte sonst Folgen haben.“
„Das steht im Internet“
Freundlicher sind die drei Frauen etwas weiter den Hügel herunter. Sie sagen, sie hätten es einfach satt, angelogen zu werden, sie seien für die Wahrheit und sonst nichts. Deutschland drifte gerade in die Diktatur ab. Das Ermächtigungsgesetz, das Angela Merkel erlassen habe und das besage, dass sie aktuell alles alleine entscheiden könne, müsse unbedingt zurückgenommen werden. Auch das Immunitätsgesetz, weswegen jetzt jeder Deutsche einen Ausweis bei sich tragen müsse, der angibt, ob man Covid-19 schon hatte oder nicht, müsse abgeschafft werden.
„Ich glaube, das Gesetz gibt es noch gar nicht, das wurde nur angedacht“, wendet eine Frau ein.
„Ja gut, aber es kommt bestimmt bald.“
Sie erzählen dann noch, dass die deutsche Presse leider nie über die Homosexuellen berichte, die gegen Pfarrer hetzten. Und darüber, dass Männer, die sich für Frauen hielten, nach einer Straftat ins Frauengefängnis kämen und dort Frauen vergewaltigten. Und darüber, dass sich in Deutschland schon eine ganze Woche lang niemand mehr mit Corona infiziert habe.
Sehr oft fällt in diesem Gespräch der Satz: „Das steht im Internet.“
Er sei kein Reichsbürger, sagt er
Ein paar Meter weiter erklärt ein älterer Herr, warum er eine umgedrehte Deutschlandfahne in die Höhe hält. Er sei kein Reichsbürger, sagt er. Er habe das einfach so gemacht, und die Fahne bleibe jetzt auf dem Kopf, bis sich in diesem Staat grundsätzlich etwas ändere. Bis Deutschland wieder den Deutschen gehöre. Rico Maleskat, der Mann, der es unfair findet, dass die Demo in die rechte Ecke gestellt wird, sagt: „Wenn wir diese Fahnen nicht halten würden, würden wir in Berlin nicht wahrgenommen werden.“
Es gibt in Bautzen zwei Männer mit großem Einfluss. Der eine ist der Unternehmer Jörg Drews, Geschäftsführer der Hentschke Bau GmbH, die Firma ist der größte Steuerzahler der Stadt und einer der wichtigsten Arbeitgeber.
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Drews gibt viel Geld aus für das Sponsoring von Sportvereinen und Kulturveranstaltungen, aber auch für Plattformen, die im Internet Verschwörungsmythen verbreiten. Dazu organisiert er sogenannte „Bürgerforen“ mit, bei denen Referenten wie Christoph Hörstel sprechen dürfen. Hörstel ist regelmäßiger Redner auf dem antisemitischen Al-Quds-Marsch in Berlin. Er glaubt, Angela Merkel sei jüdisch. Er behauptet, Hitler sei nur durch die geheime Hilfe von Zionisten an die Macht gekommen.
Ein anderer von Drews eingeladener Referent ist für seine Aussage bekannt, der Weg in den Ersten Weltkrieg sei „gekennzeichnet gewesen durch jüdische Interessen“.
Rechtsradikale Truppen im Rathaus
Jörg Drews selbst sagt, in einer multikulturellen Gesellschaft gingen Werte verloren. Dagegen engagiere er sich. Auf einer asylkritischen Demonstration in Bautzen erklärte er, es könne nicht der richtige Weg sein, „unser Volk einfach zu überschwemmen“.
Der zweite einflussreiche Mann ist Alexander Ahrens, der Oberbürgermeister von der SPD. Er ist über die Region hinaus bekannt dafür, dass er Rechtsextreme nicht ausgrenzen will. Nach der Hetzjagd von 2016 lud er gar Vertreter rechtsradikaler Truppen wie der „Nationalen Front Bautzen“ ins Rathaus.
Diese Woche hat er sich auch zu den Protesten an der B 96 geäußert: Es sei sicher „ein spezifisch sächsisches Phänomen, dass man bei einer Unzufriedenheit schnell auf die Straße geht“. Es sei aber auch „typisch für den Rest des Landes, diese Leute dann schnell in die rechte Ecke abzuschieben“. Ahrens warnt davor, die Demonstranten „als Extremisten abzutun“.
„Wir werden dich vergiften“
„Die Strategie des Oberbürgermeisters, mit den Rechten zu reden, ist total gescheitert“, sagt Annalena Schmidt, die Stadträtin der Grünen. Statt entschiedenen Widerspruch und klarer Abgrenzung habe er den Rechten Räume geboten, die diese sich dann auch genommen hätten. Sie seien mutiger geworden, verbreiteten ihre Hetze immer offener.
Annalena Schmidt hat viele Drohungen erhalten. Im März vergangenen Jahres bekam sie einen anonymen Anruf, die Stimme sagte: „Wir werden dich vergiften, du wirst langsam und qualvoll sterben.“ Schmidt erstattete Anzeige, erfolglos, die Polizei konnte die Spur lediglich bis zu einer Bautzener Telefonzelle zurückverfolgen.
Manche fürchten Konsequenzen von ihrem Arbeitgeber
Schon damals in Hessen, in Marburg und später in Gießen, hat sich Schmidt gegen Rechtsextremismus engagiert. Das sei etwas völlig anderes gewesen als heute. So wahnsinnig leicht im Vergleich. „Wir gingen auf Demos, haben uns dabei gut gefühlt, danach sind wir ein Glas Wein trinken gegangen.“ Hier in Bautzen fühle sie sich anschließend meistens schlecht, weil sich wieder so wenige Demokraten auf die Straße getraut hätten.
Als Rechte einmal in Gießen versuchten, einen Pegida-Ableger in der Stadt zu etablieren, seien die acht Teilnehmer von 1500 Gegendemonstranten schon am Bahnhof gestoppt worden. In Bautzen können AfDler und Verschwörungstheoretiker seit Wochen in der Innenstadt aufmarschieren, ohne dass ihnen überhaupt irgendwo Gegenprotest droht.
Es gibt auch viele in Bautzen, die sich gern offen gegen die Rechtsextremen positionieren würden, sagt Birgit Kieschnick von der Bautzener Fraueninitiative. „Aber es herrscht Angst.“ Manche fürchteten Anfeindungen. Manche fürchten Konsequenzen von ihrem Arbeitgeber. Kieschnick beobachtet seit Jahren die hiesige Szene der Reichsbürger und sogenannten Neuen Rechten. Sie sagt: „Ein zäher völkischer und rechtsesoterischer Brei überzieht die Stadt und vergiftet das Klima.“
Kieschnick berichtet von einem lokalen CDU-Politiker, der über die Rechten und ihre Veranstaltungen sagte: „Die kriegen den Saal voll, die müssen ja etwas richtig machen.“ Sie erzählt auch von Polizisten, die sich von der AfD einschüchtern lassen. „Sie sagen mir ehrlich, sie müssen da aufpassen. Man wisse ja nicht, wer bald in Sachsen regiert und dann ihr Dienstherr ist.“
SPD-Frau auf Parkplatz bedrängt
Eine, die sich in der Öffentlichkeit kritisch über die B 96-Proteste äußert, ist Anja Hennersdorf, die Vorsitzende des SPD-Ortsverbands Bischofswerda. Seit Wochen fährt sie jeden Sonntagvormittag denselben Abschnitt der B 96 entlang, dokumentiert, wie sich die Proteste radikalisieren, die Zahl der Reichskriegs- und Reichsbürgerflaggen zunimmt, die moderaten Demonstranten weniger werden.
An diesem Sonntag wird sie Zeuge, wie Männer im Dorf Oppach die Fahrbahn blockieren. Als sie in Weigsdorf-Köblitz auf einem Parkplatz anhält, stellen sich Männer vor und hinter ihr Auto, hindern Hennersdorf am Weiterfahren und filmen sie. Besorgt sei sie auch über die „anscheinende Akzeptanz der Bevölkerung und die Bereitschaft, rechtsextreme Symbolik zu verharmlosen und als normale Meinungsäußerung zu legitimieren.“ Das mache sie derzeit „rat- und sprachlos“.
Annalena Schmidt, die Stadträtin der Grünen, sagt ebenfalls, Bautzen und seine Bewohner hätten auch viele gute Seiten. Zum Beispiel habe sie noch nie so schnell Freundschaften geschlossen wie hier nach ihrem Herzug. Allerdings hätten einige enge Freunde die Stadt mittlerweile verlassen. Schmidt sagt: „Die haben die Zustände nicht mehr ausgehalten.“