Bautzen, Freital, Radebeul: Rechte Hegemonie in der sächsischen Provinz
Ein AfD-naher Gesangsverein bekommt Staatsgeld, ein Oberbürgermeister tritt aus der CDU aus. Aktuelle Momentaufnahmen aus Sachsen.
Die Freitaler AfD frohlockte: „Wir beglückwünschen die Genannten ausdrücklich zu diesem mutigen Schritt und sprechen ihnen unsere Achtung aus“, schrieb die rechtsradikale Partei auf Facebook. Kurz zuvor war bekannt geworden, dass der örtliche Oberbürgermeister Uwe Rumberg seinen Austritt aus der CDU erklärt hatte, gemeinsam mit acht weiteren bekannten Mitgliedern des Stadtverbands, darunter auch dessen Chef Peter Pfitzenreiter.
Die spektakuläre Erosion der CDU in der Stadt bei Dresden kam nicht aus dem Nichts. Vielen örtlichen Funktionären war die CDU schon lange zu links geworden - und das ausgerechnet in Sachsen, wo sich die Union traditionell konservativ positioniert. In der „rechts und rechtsextrem geprägten Stadtgesellschaft“ war die Freitaler CDU, wie ein Beobachter notierte, eifrig mitgesegelt.
In einer Erklärung der neun Ex-Mitglieder ist die Rede von „großen inhaltlichen Differenzen zu verschiedenen politischen Themen“ innerhalb des Freitaler CDU-Stadtverbandes.
Rumberg selbst pflegte den Opfer-Mythos der Stadt, die 2015 Asylbewerber im ehemaligen Leonardo-Hotel aufnehmen musste. Kurz nach seinem Amtsantritt vor fünf Jahren sprach er im Zusammenhang mit Asylsuchenden von „Glücksrittern, die nach Deutschland kommen, um auf Kosten der Gemeinschaft ein sorgloses Leben ohne Gegenleistung zu führen“.
Rechtsterroristen verübten mehrere Brandanschläge
Später, als aus der örtlichen Bürgerwehr FTL 360 die rechtsterroristische „Gruppe Freital“ entstanden war, die mehrere Sprengstoffanschläge verübte, versicherte er: „Eine Neonaziszene, wie man sie klischeehaft aus den 1990ern kennt, gibt es in Freital nicht.“
Stattdessen betonte er, dass in Freital kein Platz sei für Menschenfeindlichkeit, Extremismus, gewaltbereite Demonstranten und aggressive Auseinandersetzungen.
Die ganz überwiegende Mehrheit in Freital seien „friedliebende, fleißige Bürger, die hier gern leben, hier gern arbeiten“. Zum Prozessbeginn gegen die „Gruppe Freital“ 2017 sagte Rumberg: „Es ist eine Handvoll vielleicht, die das Treiben hier verrückt machen. Das darf man nicht schönreden und da darf man auch nicht weggucken, aber man sollte es auch nicht überbewerten.“
Ob sich Rumberg und seine bisherigen Parteifreunde nun der AfD anschließen oder den Freien Wählern? Als möglich gilt beides - aber noch sind keine Entscheidungen bekannt. Sicher aber ist: Freital ist ein Beispiel dafür, wie Rechte in sächsischen Kommunen triumphieren, sich Vorherrschaft erkämpfen, in der Regel unter Zutun der AfD, für die Sachsen eine ihrer Hochburgen ist.
Ein anderes Beispiel: die ostsächsische Stadt Bautzen, in der es jüngst gleich zwei merkwürdige Vorgänge gab. Zum einen bot sich Oberbürgermeister Alexander Ahrens, ein SPD-Mann, an, das Grußwort bei einer Kundgebung zu sprechen, bei der als Redner der für rechte Provokationen bekannte Kabarettist Uwe Steimle, die inzwischen AfD-nahe ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Vera Lengsfeld und die Moderatorin eines Youtube-Kanals für Verschwörungstheorien auftreten wollten.
Veranstalter sollte David Vandeven mit seinem Ostsachsen-TV sein, die „Sächsische Zeitung“ zeichnete akribisch die Verbindungen dieses Senders zu Verschwörungsideologen, Reichsbürgern, Rechtsextremen und AfD nach.
„Bautzener Liedertafel“ beim Pegida-Geburtstag
Etwa zeitgleich wurde bekannt, dass ein AfD-naher Verein, die „Bautzener Liedertafel“ aus dem Bundesprogramm „Demokratie leben“ gefördert wird. Das ist ein Gesangsverein, der immer wieder bei Kundgebungen der Partei auftrat. Er sang gemeinsam mit AfD-Funktionären wie Landeschef Jörg Urban und dem Bundestagsabgeordneten Karsten Hilse. Im Oktober 2018 war er beim vierten Geburtstag der fremdenfeindlichen Pegida-Bewegung in Dresden unterwegs, zuletzt auch bei Corona-Protesten in Bautzen. Seine „Volksliederabende“ finden im AfD-Bürgerbüro statt. Die Partei lobt in ihren Publikationen die „patriotischen Texte“ des Klubs.
Das für das Bundesprogramm „Demokratie leben“ zuständige Bundesfamilienministerium schließt laut Berichten der Lokalpresse Sanktionen nicht aus. Möglich wurde die Förderung wegen der kommunalpolitischen Mehrheiten in Bautzen: Sieben Stadträte stellt die AfD, weitere sieben das Bautzener Bürgerbündnis, dem eine Nähe zu Verschwörungsideologen nachgesagt wird und dessen prominenter Vertreter Jörg Drews, ein Bauunternehmer, auch schon für die AfD spendete. Gemeinsam mit zwei FDP-Stadträten und einem nach rechts offenen CDU-Mann ist das die Mehrheit gegen den Rest der Stadträte der CDU, Linke, SPD und Grüne.
[Alle wichtigen Updates des Tages finden Sie im kostenlosen Tagesspiegel-Newsletter „Fragen des Tages“. Dazu die wichtigsten Nachrichten, Leseempfehlungen und Debatten. Zur Anmeldung geht es hier.]
Entsprechend diesen Machtverhältnissen wurde auch im zuständigen Gremium, dem in Bautzen eingesetzten sogenannten Begleitausschuss, über die Förderung aus dem Bundesprogramm entschieden.
Pointiert drückte die Grünen-Stadträtin Annalena Schmidt vor einigen Tagen ihre Kritik aus: „Bautzen ist komplett im Arsch!“, schrieb sie in einem viel geteilten Tweet: „Hier haben CDU, Grüne, SPD und Linke gemeinsam keine Mehrheit mehr!“
Schmidt spricht von „sehr gefährlichen Allianzen“ in Bautzen - und wirft Hauptakteuren der Stadt wie Oberbürgermeister Ahrens vor, rechtes und verschwörungsideologisches Gedankengut, das in großen Teilen der Bevölkerung vorhanden sei, zu stärken. Den geplanten Auftritt von Ahrens bei der Kundgebung mit Steimle und Lengsfeld - sie hätte am vergangenen Wochenende stattfinden sollen und wurde letztlich kurzfristig abgesagt - kritisiert sie scharf: „Egal, was er sagt. Er hätte dort nicht reden dürfen. Er trägt dazu bei, dass krudes und rechtes Gedankengut normalisiert wird.“
Bautzen-OB Ahrens: Vorverurteilungen bringen uns nicht weiter
Ahrens sieht das anders: „Ich bin kein Fan von Uwe Steimle, erst recht nicht von Vera Lengsfeld. Dennoch bin ich der Überzeugung, dass wir keine Streitkultur haben, wenn wir Veranstaltungen, zu denen die beiden eingeladen sind, von vornherein verteufeln“, schrieb er in einem am Dienstag auf der Homepage der Stadt veröffentlichten Statement: „Vorverurteilungen sind das Gegenteil von Meinungsfreiheit, sie bringen uns keinen Schritt weiter.“
Schon länger vertritt Ahrens die Devise: „Ich gehe offen mit der AfD um, ich rede mit denen ganz normal.“
[Wenn Sie die wichtigsten News aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Die Förderung für die „Bautzener Liedertafel“ verteidigte der persönliche Referent des Oberbürgermeisters, Markus Gießler. Es sei aus dem Bundesprogramm ein breites Spektrum gefördert worden, „damit sind wir glücklich als Stadt“, sagte er der „Sächsischen Zeitung“. Und: „Wir sind keine Ideologie-Prüfer, sondern als Verwaltung an die Reden gebunden.“
In Radebeul wurde der neurechte Lyriker Bernig beinahe Kulturamtsleiter
Drittes Beispiel für rechte Hegemonie in sächsischen Kommunen: Radebeul bei Dresden. Hier wurde im Mai der neurechte Lyriker Jörg Bernig mit den Stimmen von AfD und CDU zum Kulturamtsleiter der Stadt gewählt. Ins Amt kam er letztlich doch nicht: Der parteilose und CDU-nahe Oberbürgermeister Bert Wendsche erzwang mit seinem Veto einen zweiten Wahlgang, für den Bernig seine Kandidatur kurzfristig zurückzog.
Die örtliche CDU-Fraktion aber verurteilte nach dem Rückzug von Bernig die nach ihren Worten „beispiellose Kampagne“ gegen den Autor - unter anderem der Schriftstellerverband PEN hatte gegen die Berufung Bernigs protestiert. Aber der Autor hatte im Streit um den Posten des Kulturamtsleiters auch prominente Fürsprecher: Uwe Steimle und Vera Lengsfeld beispielsweise, jene rechtspopulistische Prominenz also, die auf der Kundgebung in Bautzen hätte auftreten sollen.