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Mut zur Wahrheit ist ihr Credo: Björn Höcke,  Andreas Kalbitz und Alexander Gauland.
© pa/Julian Strate

Tabubrüche und Skandale: Das sind die abenteuerlichsten Rechtfertigungen der AfD

Hitlerbild, Hassmail, Nazibesuch: Für ihre Tabubrüche haben AfD-Politiker stets erstaunliche Begründungen parat. Eine Sammlung.

Neulich im bayerischen Landtag. Präsidentin Ilse Aigner rief zu einer Gedenkminute für den mutmaßlich von einem Rechtsextremen ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke auf und bat die Anwesenden, sich dafür zu erheben. Alle taten es – nur der AfD-Abgeordnete Ralph Müller blieb sitzen.

Nach heftiger öffentlicher Kritik behauptete Müller später, er sei doch lediglich mit „ein paar Sekunden“ Verzögerung aufgestanden. Das ist falsch. Wie Fernsehbilder belegen, blieb er die gesamten zweieinhalb Minuten der Gedenkansprache sitzen, erhob sich erst, als Aigner eines anderen Verstorbenen gedachte.

Weiterhin behauptete Müller, sein Verhalten sei nicht böswillig gewesen, sondern einer Unaufmerksamkeit geschuldet. Er habe eine bevorstehende Rede neu zusammensetzen müssen und sei dadurch „sehr stark abgelenkt“ gewesen.

Schlüssige Begründung oder Ausrede? Ralph Müllers Argumentation reiht sich ein in eine lange Liste abenteuerlicher Erklärungen, mit denen sich führende AfD-Politiker nach Tabubrüchen und anderen Skandalen verteidigen. Der eine will nichts gewusst haben, dem zweiten wurde der E-Mail-Account gehackt, der dritte kann sich angeblich nicht erinnern. Wie passt das zusammen mit einer Partei, die sich ausgerechnet den Slogan „Mut zur Wahrheit“ verschrieben hat? Eine kleine Auswahl.

War nur zur Archivierung gedacht

Der Bundestagsabgeordnete Stefan Keuter geriet in die Kritik, weil er über Whatsapp Bilder von Adolf Hitler mit ausgestrecktem Arm sowie einer Duschkabine mit gekacheltem Hakenkreuz verschickte.

Ein anderes Bild zeigt einen Stahlhelmsoldaten am Maschinengewehr plus Kommentar: „Das schnellste deutsche Asylverfahren, lehnt bis zu 1400 Anträge in der Minute ab!“ Als dies öffentlich wurde, behauptete Keuter zunächst, das Verschicken derartiger Bilder sei ihm „nicht erinnerlich“.

Einige Tage später erinnerte er sich doch – und hatte eine Erklärung parat: Die Bilder habe er lediglich verschickt, damit einer seiner Mitarbeiter diese archivieren könne. Ziel seien eine „Beurteilung und politische Einordnung“ der Unterlagen gewesen. Der Empfänger der Bilder widerspricht Keuter. Eine Anweisung zur Analyse oder Archivierung habe er von Keuter nie erhalten.

Leider unterbrochen worden

Ähnlich unglücklich verlief ein interner AfD-Chat, in dem Nikolaus Kramer, heute Fraktionsvorsitzender im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, ein Foto marschierender Soldaten der Leibstandarte SS Adolf Hitler mit der Aufschrift „Ein schwarzer Block ist nicht grundsätzlich scheiße“ verschickte. Als dies publik wurde, erklärte Kramer, er habe das Bild eigentlich mit einem einordnenden und kritischen Text versehen wollen. Dabei sei er allerdings unterbrochen worden.

Hautfarbe unbekannt

Einen Klassiker der bizarren AfD-Rechtfertigungen lieferte Alexander Gauland. Gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ behauptete er, der Fußballprofi Jérôme Boateng werde zwar als Spieler in der deutschen Nationalmannschaft geschätzt, dies bedeute jedoch keineswegs, dass er nicht als fremd empfunden werde.

Zitat: „Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben.“ Nachdem der DFB-Präsident die Aussage „einfach geschmacklos“ nannte und viele andere sie als rassistisch verurteilten, behauptete Gauland, die Hautfarbe Boatengs zum Zeitpunkt seiner Aussage überhaupt nicht gekannt zu haben: „Ich wusste gar nicht, dass Boateng farbig ist.“

Völlig falsch interpretiert

Der Bundestagsabgeordnete Siegbert Droese ist schon mehrfach unangenehm aufgefallen. Vorläufiger Höhepunkt war das Foto von seinem Besuch des einstigen Führerhauptquartiers Wolfsschanze in Polen. Droese posiert davor mit der rechten Hand auf dem Herzen.

Dem Tagesspiegel erklärte Droese, bei dem Bild handele es sich um einen privaten Schnappschuss, der gegen seinen Willen an die Öffentlichkeit gelangt sei: „Aus einer Reihe von bewegten Bildern wurde genau das Bild extrahiert, das den Eindruck entstehen lässt, ich stünde am Ort mit ,Hand vor dem Herzen‘.“

Seltsam an dieser Rechtfertigung ist, dass Droese das fragliche Foto von sich aus an Parteifreunde verschickte – und zwar in seiner Funktion als „Pressesprecher der AfD/Kreisverband Leipzig“, außerdem mit dem Zusatz: „Der Führerbunker. ER ist also wirklich nicht mehr da.“ Die Pressesprecher-Signatur sei „fälschlicherweise“ verwendet worden, behauptet Droese nun.

Noch erstaunlicher ist aber der eigentliche Grund für den Besuch, den Droese gegenüber dem Tagesspiegel angibt: Er habe sich bloß „die Wirkungsstätte“ des Hitler-Attentäters Graf von Stauffenberg anschauen wollen – und zwar „im Gedenken Stauffenbergs“.

Björn Höcke bestritt jahrelang, "Landolf Ladig" zu sein.
Björn Höcke bestritt jahrelang, "Landolf Ladig" zu sein.
© AFP/Kahnert

Alle verklagen. Oder lieber doch nicht

Seit Langem steht Thüringens Rechtsaußen Björn Höcke unter Verdacht, unter dem Pseudonym „Landolf Ladig“ mehrfach in einer NPD-Zeitung geschrieben, dort gehetzt und den Nationalsozialismus verherrlicht zu haben. Höcke bestritt das stets und drohte, jeden Menschen vor Gericht stellen zu lassen, der ihn mit Landolf Ladig in Verbindung bringe.

Genau dies taten in den vergangenen zwei Jahren etliche Menschen – in der Hoffnung, Höcke wage sich tatsächlich vor Gericht und gebe eine eidesstattliche Versicherung ab.

Björn Höcke hat sein Versprechen nicht wahr gemacht. Die Personen, die ihn ausdrücklich Landolf Ladig nannten, wurden nicht von ihm angezeigt. Inzwischen hält auch der Verfassungsschutz die These, hinter Landolf Ladig stecke Höcke, für „nahezu unbestreitbar“.

[Mehr zum Thema: Machtkampf bei den Rechtspopulisten - Höcke hat seinen Gegnern in der AfD einen Gefallen getan]

Bin provoziert worden

Vergangenes Jahr wurde AfD-Hardliner Kay Nerstheimer, Mitglied im Berliner Abgeordnetenhaus, wegen Volksverhetzung verurteilt. Unter anderem hatte er Homosexuelle als „degenerierte Spezies“ bezeichnet.

Gegenüber dem Tagesspiegel gab Nerstheimer eine simple Erklärung ab: Er sei von einem Menschen im Internet „so lange provoziert“ worden, bis er diese Aussage getätigt habe. Dass er 2013 bei der vom Verfassungsschutz beobachteten „German Defence League“ aktiv war und dort eine Miliz aufbauen wollte, begründete er wie folgt: „Wissen Sie, wenn Sie eine Organisation aufbauen, dann wollen Sie das möglichst effizient tun. Und eine militärische Struktur ist eben die effizienteste.“

So in Richtung Jugendarbeit

Über Brandenburgs AfD-Chef Andreas Kalbitz wurde vergangenes Jahr bekannt, dass er 2007 das Pflingstlager der rechtsradikalen, inzwischen verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ besucht hatte. Zunächst behauptete Kalbitz, die Teilnahme sei ihm „nicht erinnerlich“. 

Nachdem ihm Bilder gezeigt wurden, hatte er eine schlüssige Erklärung: „Der Kontext war, dass man weiß, dass man erfahren hat, es gibt da eine Organisation, die sich für Jugendarbeit interessiert und da was macht in die Richtung. Das hat mich mal generell interessiert …“

Holger Arppe wurde wegen Volksverhetzung verurteilt.
Holger Arppe wurde wegen Volksverhetzung verurteilt.
© pa/Stefan Sauer

War wohl jemand anderes

2018 stand der Landtagsabgeordnete Holger Arppe vor dem Landgericht Rostock. Er hatte Jahre zuvor auf einer rechtsradikalen Internetseite geschrieben, man könne England „sehr gut als europäisches Zentralreservat für alle in der EU lebenden Moslems nutzen.

Als Quarantäne-Insel sozusagen wie früher die Seuchenkolonien“. Arppe behauptete, er sei nicht der Urheber gewesen – ein Unbekannter habe seinen Account benutzt. Das Gericht glaubte ihm nicht und verurteilte Arppe wegen Volksverhetzung.

Wieso denn rechtsextrem?

Der Bundestagsabgeordnete Petr Bystron geriet Ende des vergangenen Jahres in die Kritik, weil er während einer vom Parlament bezahlten Dienstreise nach Südafrika Vertreter der rechtsextremen, rassistischen Organisation „Suidlanders“ traf – und mit ihnen einen Schießstand ausprobierte.

Bystrons Rechtfertigung: Er habe die „Suidlanders“ für eine Organisation der südafrikanischen Zivilgesellschaft gehalten: „Ich habe das so empfunden, dass das eine Organisation ist von überwiegend weißen Farmern, die Angst haben um ihr Leben und die sich organisieren, um zu überleben, sollte es zum schlimmsten Fall kommen.“

Andreas Wild mit Kornblume im Abgeordnetenhaus.
Andreas Wild mit Kornblume im Abgeordnetenhaus.
© Kumm/dpa

Zum ersten Mal gehört

Der Berliner Abgeordnete Andreas Wild fiel im November unangenehm auf, weil er während eines Schweigemarschs zum Gedenken an die Opfer der Reichspogromnacht zum Holocaust-Mahnmal eine blaue Kornblume am Revers trug, die während der 30er Jahre das Erkennungszeichen österreichischer Nationalsozialisten war.

Wild sagt, er habe mit der Blume bloß seine Verbundenheit zum Vaterland zum Ausdruck bringen wollen: „Dass das ein Nazi-Symbol sein soll, höre ich zum ersten Mal.“ Zur Parlamentssitzung drei Wochen später heftete er sich die Kornblume erneut ans Revers.

Keine Erinnerung

Nachdem die Fremdsprachenkorrespondentin Alexandra Walter im Oktober 2018 in den hessischen Landtag gewählt wurde, wurden radikale Statements bekannt, die über Monate hinweg von ihrem Facebook-Account getätigt wurden. Migranten nannte sie demnach „Braungebrannte“, den verurteilten Kriegsverbrecher Dries Coolens lobte sie als einen „tollen Menschen“. Zum Verlauf des Zweiten Weltkriegs erklärte Alexandra Walter: „Verrat an jeder Ecke hat zur Niederlage Deutschlands nicht unwesentlich beigetragen.“

Als Medien auf die Aussagen aufmerksam wurden, verschwanden sie von Walters Account. Die Politikerin erklärte, sie könne sich nicht erinnern, die Kommentare selbst verfasst zu haben. Ihr Account sei wohl gehackt worden. Warum die fraglichen Kommentare dann über Monate hinweg online standen, ohne dass Walter sie je von sich aus gelöscht hätte, erklärte sie dem Tagesspiegel nicht.

[Mehr zum Thema: Grüne gegen AfD in Falkensee - Der Ort, der die politische Spaltung Deutschlands zeigt]

Jedenfalls nie gesagt

Anfang 2016 verschickte Peter Boehringer, heute Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender des Haushaltsausschusses, eine Nachricht über einen E-Mail-Verteiler, in dem er unter anderem behauptete, die „Merkelnutte“ lasse zu, dass der deutsche „Volkskörper“ durch Flüchtlinge „gewaltsam penetriert“ werde.

Als die E-Mail öffentlich wurde und diverse Medien darüber berichteten, teilte Boehringer dem „Spiegel“ mit, er könne in seinem Archiv nur eine weniger scharfe Fassung finden. Falls er doch die beleidigende Version versandt haben sollte, dann nur an einen „ganz kleinen Privatkreis“. In Interviews erklärt Boehringer gern, er habe diese Begriffe „nicht gesagt“, was wörtlich genommen natürlich stimmt. 

Das Alter ist schuld

Andreas Winhart, heute Landtagsabgeordneter in Bayern, warnte im September vor Flüchtlingen, die massenhaft Krankheiten einschleppten: „Wenn mich in der Nachbarschaft ein Neger anküsst oder anhustet, dann muss ich wissen, ist der krank oder ist der nicht krank?“

Die folgende Empörung versuchte er mit der Erklärung zu dämpfen, bei seiner Aussage sei es „vom Kern her ausschließlich um die Kritik an den Gesundheitsbehörden“ gegangen. Dass er „Schwarzafrikaner nicht politisch korrekt angesprochen“ habe, liege auch daran, dass er „einer Generation angehöre, der diese Begriffe im täglichen Sprachgebrauch begegneten, sei es als Süßspeise oder in diversen literarischen Erzählungen …“ Andreas Winhart ist heute 36 Jahre alt.

Doris von Sayn-Wittgenstein warb für den rechtsextremen Verein „Gedächtnisstätte“
Doris von Sayn-Wittgenstein warb für den rechtsextremen Verein „Gedächtnisstätte“
© dpa

Aber nie Mitglied

Doris von Sayn-Wittgenstein, heute Abgeordnete im Kieler Landtag, rief im Jahr 2014 zur Unterstützung des rechtsextremen Vereins „Gedächtnisstätte“ auf, zu dessen Gründern die Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck-Wetzel zählt. Sayn-Wittgenstein rechtfertigte sich, sie sei zu keinem Zeitpunkt Mitglied des Vereins gewesen, außerdem sei dieser damals als gemeinnützig anerkannt gewesen.

Probleme mit der Technik

Nachdem die damalige AfD-Chefin Frauke Petry im Januar 2016 erklärt hatte, Polizisten müssten illegalen Grenzübertritt verhindern und dabei „notfalls auch von der Schusswaffe Gebrauch machen“, schaltete sich Beatrix von Storch, damals Europaabgeordnete, auf Facebook in die Diskussion ein.

Auf die Nachfrage: „Wollt Ihr etwa Frauen mit Kindern an der grünen Wiese den Zutritt mit Waffengewalt verhindern?“, antwortete von Storch mit einem schlichten „Ja“. Eine Erklärung lieferte ihr Parteifreund Alexander Gauland gegenüber dem Tagesspiegel: „Sie wissen, ich bin kein Freund von Facebook.

Sie hat offensichtlich, sie hat uns das erklärt, im Grunde genommen etwas gepostet und das war nur die Hälfte, das andere ist nicht mitgegangen. Fragen Sie mich technisch etwas Leichteres, weil ich davon überhaupt nichts verstehe …“ Die Behauptung, von Storch habe gegenüber Parteifreunden erklärt, sie sei mit der Maus „abgerutscht“, bestreitet diese vehement und zog deshalb vors Berliner Landgericht.

Die Technik sei auch 2017 schuld gewesen, als auf ihrem Twitter-Profil folgender Post erschien: „Je länger Merkel am Ruder der CDU bleibt, desto mehr Fleisch werden wir von ihrem Kadaver reißen.“ Später behauptete Storch, der Tweet sei nicht von ihr selbst, sondern von ihrem „Team“ abgesetzt worden. Sie selbst habe das jedoch nicht mitbekommen und eingreifen können, da sie in einem Funkloch gesteckt habe.

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