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AfD-Chef Alexander Gauland
© imago/photothek

AfD-Chef Alexander Gauland: Der Radikale

Früher war Alexander Gauland ein Vorzeigekonservativer, heute verharmlost der AfD-Chef die Nazi-Zeit. Alte Weggefährten unterstellen ihm völkisches Denken. Was ist passiert?

Es muss für ihn eine Schlüsselszene sein, so oft hat Alexander Gauland sie in kleinen Runden schon erzählt. Da ist der konservative „Berliner Kreis“ der CDU 2012 beim damaligen Generalsekretär Hermann Gröhe im Konrad-Adenauer-Haus zu Gast. Gauland – damals seit fast 40 Jahren in der CDU – sitzt in der Runde, auch der spätere AfD-Mitgründer Konrad Adam. Die Gruppe will ihren Positionen Gehör verschaffen.

Doch Hermann Gröhe behandelt die Männer von oben herab, gibt ihnen zu verstehen, dass sie nicht gebraucht werden. So zumindest erinnert sich Gauland. Und was für ihn fast genauso demütigend ist: das schlechte Essen, das ihnen aufgetischt wird. Auf dem Weg im Aufzug nach unten ist ihm und Adam klar: Das war es jetzt.

Diese Szene ist keine Erklärung. Nicht für den Menschen Gauland von heute, nicht für die Grenzüberschreitungen des AfD-Chefs, der die Nazi-Zeit in einer Rede am Samstag als „Vogelschiss“ der Geschichte bezeichnete. Aber sie markiert doch den endgültigen Bruch Gaulands mit der CDU. Sie markiert den Punkt, an dem Gauland begann, sich vom Vorzeigekonservativen zu einem zu wandeln, von dem manche glauben, er bringe die Demokratie in Gefahr.

Wie konnte das passieren? Der Lebensweg von Alexander Gauland beginnt 1941 in Chemnitz. Nach dem Abitur flieht er in den Westen, 1973 tritt er in die CDU ein. Gauland arbeitet als Büroleiter für den hessischen CDU-Politiker Walter Wallmann. 1979 holt Gauland 250 Vietnamesen nach Frankfurt am Main, die vor der kommunistischen Regierung nach Hongkong geflohen waren.

In den 80ern wird Gaulands Chef Wallmann hessischer Ministerpräsident und Gauland Chef der Staatskanzlei. In dieser Zeit erwirbt er sich einen Ruf als geschickter Strippenzieher, als „graue Eminenz“. Schon damals erfasst ihn im Winter immer wieder die Schwermut, Depressionen, wie er später Journalisten erzählen wird. Sie haben ihn bis heute begleitet.

Nachdem Wallmann 1991 sein Amt verliert, wird Gauland Herausgeber der Märkischen Allgemeinen in Potsdam. Er schreibt Aufsätze für verschiedene Medien, ist Kolumnist für den Tagesspiegel. Gauland ist ein geschätzter Konservativer, ein Intellektueller.

Doch nach dem Bruch mit der CDU tritt Gauland in die AfD ein, ist von Anfang an dabei. Er wird Stellvertreter von Parteigründer Bernd Lucke und Frauke Petry, Landesvorsitzender in Brandenburg, einer der einflussreichsten Protagonisten in der Partei. Und Gauland merkt, womit er die AfD-Anhänger begeistern kann. Er doziert über die Gefahren des Flüchtlingszuzuges, zieht Verbindungen zu Anschlägen, fordert: Merkel muss weg.

Dennoch ist Gauland in den ersten Jahren noch das besonnene Gesicht der AfD. Er schüttelt den Kopf über jene in der Partei, die bürgerliche Wähler mit allzu scharfer Rhetorik verschrecken. Er befürchtet, dass sie das Bild, das der politische Gegner von der AfD zeichnet, nur bestätigen. Heute hat der 77-Jährige selbst diese Rolle übernommen.

Er pflegt zwar noch immer den bürgerlichen Habitus und vollendete Umgangsformen – Frauen begrüßt er zuweilen mit angedeutetem Handkuss – doch ab 2016 beginnt Gauland regelmäßig Schlagzeilen zu machen. Da sagt er der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ (FAS), die Leute fänden einen dunkelhäutigen Innenverteidiger wie Jerôme Boateng als Fußballspieler gut. „Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben.“ Der Sturm der Empörung ist groß. Gauland erklärt später, es sei ihm ja nur um eine „Beschreibung von Gefühlen“ gegangen. Ganz harmlos alles. Er kann ganz offensichtlich nicht erkennen, was es Schlimmes an seinen Worten gibt.

Gauland streitet ab, sich radikalisiert zu haben

2017 tritt er in der heißen Wahlkampfphase im thüringischen Eichsfeld auf. Es ist das Revier seines Freundes Björn Höcke, dem thüringischen Landeschef und „spiritus rector“ der nationalistischen „Flügel“-Vereinigung in der AfD. Gauland will etwas zu Aydan Özoguz sagen: Die damalige Integrationsbeauftragte der Bundesregierung hat in einem Gastbeitrag im Tagesspiegel geschrieben, „eine spezifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifizierbar“. Gauland fordert seine Parteifreunde auf: „Ladet sie mal ins Eichsfeld ein und sagt ihr dann, was spezifisch deutsche Kultur ist. Danach kommt sie hier nie wieder her, und wir werden sie dann auch, Gott sei Dank, in Anatolien entsorgen können.“

Einige Tage darauf hält er auf dem jährlichen Kyffhäuser-Treffen des „Flügels“ eine Rede. Da steht er – wie üblich mit seiner grünen Hundekrawatte und auf die Nasenspitze gerückter Brille – am Pult und spricht über die Nazi-Zeit. Er sagt: „Man muss uns diese zwölf Jahre nicht mehr vorhalten. Sie betreffen unsere Identität heute nicht mehr.“ Und er fordert das Recht, „stolz zu sein auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen.“ Der damalige Justizminister Heiko Maas nennt Gauland daraufhin einen Rechtsextremen.

Doch Gauland bleibt bei seinen Aussagen. Er meint sie so, scheint sogar zufrieden mit dem, was sie ausgelöst haben. Dem Tagesspiegel sagt er im Interview: „Nach der Rede sind mir alte Mütterchen um den Hals gefallen, die nun die Bilder ihrer Väter und Brüder wieder respektvoll und dankbar ansehen können.“

Gauland sitzt damals in seinem Lieblingsrestaurant am Tiefen See in Potsdam. Hier kennt man ihn beim Namen, weiß, welchen Rosé er am liebsten hat. Da muss Gauland auch die Frage beantworten: Ist aus dem Intellektuellen Gauland der Populist Gauland geworden? Hat er sich radikalisiert? Gauland streitet das ab. Sagt aber auch, dass es die Gefahr gebe, dass sich Menschen radikalisieren, wenn sie ununterbrochen angegriffen würden. „Wir sind Rassisten genannt worden. Das gilt für alle, mich eingeschlossen. Ich habe auch einen Teil meiner Freunde verloren, einen Teil meiner Familie.“

Er meint seine Tochter Dorothea. Sie ist Pfarrerin, engagiert in der Flüchtlingshilfe, und über die Äußerungen ihres Vaters entsetzt. Auch sein alter Weggefährte Jochen Lengemann, einst Landtagspräsident in Hessen, schrieb in einem offenen Brief, er erkenne den Gauland von früher nicht wieder: „Du bist einfach ein mit allen Mitteln Aufmerksamkeit haschender Tabubrecher.“ Gaulands Aussagen nach der Bundestagswahl – „Wir werden sie jagen“ und „Wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen" – ließen völkisches Denken erkennen.

Gauland kann das nicht gänzlich kalt lassen, aber es hält ihn auch nicht davon ab, weiterhin Tabus zu brechen, Ressentiments zu schüren oder die Nazi-Zeit zu verharmlosen. Es geht ihm nicht nur um Provokation oder politischen Opportunismus. Was Gauland sagt, entspricht heute ganz offensichtlich seiner Überzeugung.

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